Forschung zum Übergewicht: Seehofer würgt Verzehrstudie ab

Im Januar stellte Horst Seehofer stolz die Nationale Verzehrstudie vor. Nun lässt er die Arbeit weitgehend einstellen, klagen Forscher, obwohl die Daten noch nicht richtig ausgewertet sind.

Sind Pommes und Wurst Schuld am bundesdeutschen Übergewicht? Bild: dpa

Macht Rauchen dick? Kann man sich fett futtern? Fördert Schlaf ein gesundes Essverhalten? - Solche Fragen beschäftigen die Forscher, seit klar ist, dass auch die Deutschen immer dicker werden. Die Daten, das näher zu beleuchten, sind mit der aktuellen Verzehrstudie des Verbraucherministers Horst Seehofer verfügbar. Doch diese Daten werden nicht in der nötigen Tiefe analysiert, klagen beteiligte Forscher. Stattdessen hungere das Ministerium die Wissenschaftler aus: Obwohl weit über die Hälfte der Daten noch nicht einmal bearbeitet, geschweige denn ausgewertet sind, wird das Projekt Ende April weitgehend eingestellt.

Seit 2005 befragten Forscher über 20.000 Frauen und Männer in seitenlangen Fragebögen und endlosen Telefonaten zu ihren Essgewohnheiten. Ein "wahrer Datenschatz" sei dadurch entstanden, urteilen Forscher, die an der zweiten Nationalen Verzehrstudie (NVS II) arbeiten. Zwanzig Jahre liegt die letzte große Studie dieser Art zurück, die neue Verzehrstudie sollte ein völlig neues Fundament für die Ernährungspolitik legen.

Ende Januar hatte Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) die Verzehrstudie mit großem Pomp vorgestellt. Doch sie basiert bislang nur auf einer "sehr oberflächlichen Basisauswertung", wie Mitarbeiter der Studie gegenüber der taz betonen. Ein großer Teil der Daten werde gar nicht ausgewertet, da die Mittel fehlen.

Ulrich Oltersdorf, der ehemalige Leiter der Studie, ist besonders enttäuscht: "Das war blinder Aktionismus", sagte er der taz. "Es wurde ständig Druck ausgeübt, man wollte einfach schnelle Ergebnisse - mehr nicht." Wenn Seehofer wirklich an einer nachhaltigen Ernährungspolitik interessiert sei, hätte er mehr Ressourcen in die Detailauswertung der Studie gesteckt.

Die vom Bund mit fünf Millionen Euro finanzierte Studie soll Grundlage für den "Aktionsplan Ernährung und Bewegung" sein, den Horst Seehofer bereits für Mitte letzten Jahres angekündigt hatte. Seehofer hat die noch von seiner grünen Vorgängerin Renate Künast geerbte Verzehrstudie in einem internen Schreiben als sein "Leuchtturmprojekt" bezeichnet, über das "die Öffentlichkeit intensiv und kontinuierlich unterrichtet werden soll".

Einige der Forscher sehen das anders. "Seehofer interessiert sich nicht für die wirklich interessanten und brauchbaren Ergebnisse", sagt einer der Forscher, der nicht mit Namen genannt werden will. Besonders die Formel "Doof gleich dick", wie sie Ende Januar vielfach in den Medien verbreitet wurde, sei stark vereinfacht.

Die Daten der NVS II wurden auf zwei Arten erhoben. Durch Fragebögen wurden demografische Angaben zu Alter, Geschlecht, Bildung und Einkommen sowie das Essverhalten des vergangenen Monats erfasst. Auf diesen Fragebögen beruhen die bisherigen Ergebnisse. Wesentlich aufwendiger dagegen waren die über 30.000 Telefoninterviews, in denen die Teilnehmer gefragt wurden, was und wie viel sie in den vergangenen 24 Stunden gegessen hatten.

Mit der Auswertung dieser Interviews wurde noch nicht begonnen, "dabei sind die 24-Stunden-Daten wesentlich aufschlussreicher und detaillierter", so einer der Wissenschaftler. Aus ihnen ließe sich beispielsweise ablesen, ob sich Schlafverhalten, Nikotin- und Alkoholkonsum und andere Lebensumstände auf das Essverhalten auswirken. Zudem könne sich ein Mensch an den vergangenen Tag viel besser erinnern als an den vergangenen Monat.

Die Experten behaupten nicht, dass die bisherigen Ergebnisse der Studie falsch seien. Aber sie sind sehr oberflächlich. "Es wäre sehr unglücklich und eine Verschwendung von Ressourcen, wenn jetzt die wirklich interessanten Daten nicht ausgewertet werden", sagt auch Christine Brombach, die die NVS II bis Ende 2006 leitete.

Gerhard Rechkemmer, Chef des ausführenden Max-Rubner-Instituts, eines Nachfolgers des früheren Bundesinstituts für Ernährungsforschung, wiegelt ab. "Natürlich werden alle Daten ausgewertet." Die zwei Leute, die nach April übrig bleiben, seien genug Personal, um die weiteren Details auszuwerten. Allerdings waren bislang rund zehn bis 14 Personen beteiligt. Die zwei Forscher haben zudem vor allem die Aufgabe, das sogenannte Monitoring zu übernehmen, eine Folgebefragung von etwa 2.000 Personen über die nächsten Jahre. Das Max-Rubner-Institut unterliegt den Vorgaben des Verbraucherministeriums.

Am Donnerstag stand das Thema auf Antrag der Grünen auf der Tagesordnung des Bundestages. "Angesichts der ersten Ergebnisse der Verzehrstudie besteht jetzt akuter Handlungsbedarf", sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Ulrike Höfken. Auch sie zweifelt angesichts der Personalkürzung daran, dass Seehofer das Projekt wirklich ernst nimmt.

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