Kultusminister & Pisa: Wie es euch gefällt

Eine Analyse des Pisaforschers K.-J. Tillmann zeigt, dass die Politiker mit den Ergebnissen immer gemacht haben, was sie wollten. Und in Zukunft machen sie die Pisastudie selber.

Prenzel setzt auf Sachsen. Bild: ap

So offen war Manfred Prenzel nie. Der Kieler Professor und Pisachef kritisierte die westdeutschen Länder, dass sie einen regelrechten Wettbewerb um unterschiedliche Bildungssysteme veranstalten würden. "Wir brauchen aber nicht zu viele unterschiedliche Modelle", sagte Prenzel. Das zeige der Erfolg im Osten, wo es sehr einfache und homogene Bildungssysteme gebe.

Die erste Pisastudie im Dezember 2001 brachte das Ergebnis, das die Kultusminister wie die Nation erschreckte. Fast ein Viertel der 15-Jährigen wurde als Risikoschüler eingestuft: als jemand, der auf Grundschulniveau liest. Die Kultusminister beschlossen sieben Handlungsfelder - von der Verbesserung der Sprachkompetenz der Migranten über die Förderung Benachteiligter bis zum Ausbau der Ganztagsschulen. In Pisa 2006 lauten die Quoten der Risikoschüler nun so: Zwölf Länder (Baden-Württemberg bis Hamburg) haben zwischen 19 und 28 Prozent Risikoschüler, Saarland und Thüringen 17, Bayern 16 und Sachsen 12 Prozent. CIF

Bisher hatte sich Prenzel bei schulstrukturellen Fragen immer zurückgehalten. Diesmal aber hatte er ein starkes Argument für seine These - Sachsen. Das Bundesland hat in Lesen, Mathe und Naturwissenschaften den Ländervergleich gewonnen - und hat in den Naturwissenschaften zum Pisasieger Finnland aufgeschlossen. Sachsen aber hat nur noch zwei Schulformen - das Gymnasium und die Mittelschule. In der Mittelschule schafft das Land es sogar, die deutsche Krankheit abzulegen - den hohen Anteil an Risikoschülern. Sachsen hat in Naturwissenschaften in der Mittelschule nur noch 8,5 Prozent solcher Schüler, die unter dem Pisaniveau der Stufe zwei verharren. Zum Vergleich: In den Stadtstaaten sind es teilweise 70 Prozent Risikoschüler in der untersten Schulform, aber auch in Bayern und Hessen finden sich in den Hauptschulen zwischen 28 und 58 Prozent Risikoschüler. Wenn man so will hat Sachsen mit den Hauptschulen zugleich die Risikoschüler abgeschafft.

Was also hat Pisa gebracht? Mit der am Dienstag vorgestellten Ergänzungsstudie ist der große Pisazyklus beendet, der am 4. Dezember 2001 mit dem Pisaschock begann und seitdem alle drei Jahre Schüttelfrost verursachte. Die Kultusminister haben auf den Schock im Jahr 2001 über Nacht sieben Handlungsfelder beschlossen, um auf Pisa zu reagieren. (Siehe Kasten)

Gestern sagte nun die amtierende Chefin der Kultusminister, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), dass es Zeit sei zu bilanzieren, ob man "nachsteuern" müsse oder ob die Handlungsfelder vielleicht die falschen waren. Die Antwort verstand man dann leider nicht, weil alles irgendwie eine Ermutigung sei, wiewohl es aber auch Probleme gebe. Sicher lässt sich eins sagen: Was eindeutig gelitten hat seit der ersten Pisastudie ist die Fähigkeit der Kultusminister, verständliche Sätze zu formulieren, die mit der Wirklichkeit zu tun haben.

Weil die Kultusminister es also nicht können, hat es Klaus-Jürgen Tillmann, einer der ersten und einer der nachdenklichsten Pisaforscher, versucht. Er wollte wissen, ob das sogenannte Steuerungswissen, das Pisa den Ministern liefert, eigentlich genutzt wurde. Seine Bilanz ist erschreckend. Zwar haben die Pisaergebnisse "massive Auswirkungen auf bildungspolitische Verläufe und schulische Innovationen genommen". Aber es ist ziemlich egal, was genau in den Studien steht. Die Politik nutzt die Aufregung um die Studie, um lange auf Halde liegende Vorhaben durchzuboxen. Ein Beispiel dafür sind etwa zentrale Abschlussprüfungen - die mit nichts aus Pisa ableitbar wären, die von der Politik aber allenthalben als famoses Mittel gepriesen wurden.

In einem Radiointerview hat Tillmann das für den Laien deutlich gemacht, was Pisa heißt: Die Minister lassen ständig Röntgenaufnahmen der Schule anfertigen - aber dann lege sie die Bilder beiseite und tun, was sie immer schon tun wollten.

Ob sich daran etwas ändern wird? Das ist eher unwahrscheinlich, denn bislang war wenigstens gewährleistet, dass die Pisaforscher halbwegs unabhängig sind. Damit ist aber bald Schluss. Zumindest die Ländervergleiche nimmt künftig das "Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen" vor. Das ist ein Institut, in dessen Vorstand praktischerweise direkt die Kultusministerkonferenz sitzt - und zwar gleich mit drei Leuten. Mit anderen Worten: Bislang mussten die Kultusminister ex post unangenehmen Pisaergebnisse auf ihre politischen Mühlen leiten. Ab sofort können sie ex ante mitbestimmen, was und zu welchem Ende so alles gefragt wird.

Nicht nur ein unabhängiger Pisaforscher berichtete der taz, wie stark der Druck bereits jetzt war. So hätten die Kultusminister immer wieder darauf gedrungen, die seltsamen sozialen Abhängigkeiten bei den Pisaergebnissen wegzulassen - oder sie unauffälliger zu präsentieren.

Als Prenzel gestern Kritik an der komplizierten Schulstruktur übte, griff das Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) auf. Man könne relativ leicht eine Grundstruktur für ganz Deutschland finden. Denn die Veränderungen in den neuen Ländern, in Hamburg, Saarland, Berlin und Schleswig-Holstein zielten alle in dieselbe Richtung - auf ein zweigliedriges System wie beim Pisasieger Sachsen. Als Zöllner gefragt wurde, ob damit die Schulstruktur ein neues Handlungsfeld der Kultusminister sei, sagte er: Nein, nein, das ist meine Privatmeinung. Und KMK-Generalsekretär Erich Thies meint nur: Doch, doch, wir reden gern darüber - an Weihnachten!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.