100-jähriger Regisseur de Oliveira: Verliebtheiten eines Stiesels

Der 1908 geborene Manoel de Oliveira zeigt im Berlinale-Special seinen neuen Film "Singularidades de uma rapariga loura".

Filmregisseur Manoel de Oliveira während Dreharbeiten zu seinem neuen Film «Singularidades de uma rapariga loura» in Lissabon. Bild: dpa

Irgendwo in der Frühzeit der Unterhaltung gab es Erzählungen und Theaterstücke, in denen jede Person genau eine Eigenschaft hatte - wie der Fuchs in der Fabel. Verwickelt wird es, wenn die Figuren noch ein zweites Attribut haben. Eines von beiden ist dann falsch und die Geschichte muss sich jetzt entscheiden, ob Lug und Trug oder Verstellung aus edlen Motiven vorliegen.

"Singularidades de uma rapariga loira" ("Eigenheiten einer jungen Blondine") von Manoel de Oliveira spielt im heutigen Lissabon, aber in einer Welt, wo ein Mann die Frau seiner Träume dadurch kennen lernt, dass er sich von einem Freund in deren Familie einführen lässt. Er fragt auch, ob das "gute Leute" sind. Und er bittet seinen Onkel, bei dem er angestellt ist, um die Erlaubnis, um die Hand der Angebeteten anhalten zu dürfen.

Manoel de Oliveira lässt den stieseligen Verliebten seine Geschichte selbst erzählen. Die Credits laufen über ein stehendes Bild der vollbesetzten letzten sechs Sitzreihen eines gemächlich Richtung Algarve zuckelnden portugiesischen Eisenbahnwaggons, während der Schaffner höflich jede einzelne Fahrkarte abknipst. Dann beginnt der Arme, einer fremden Dame zu erzählen, wie er so unglücklich werden konnte, dass nur noch die Algarve helfen kann. Viele Regisseure haben sehr viel mehr Zeit gebraucht, um zu zeigen, dass eine Bahnfahrt lang sein kann.

Die Liebesgeschichte aus dem Mund des Spießers nimmt folgerichtig starre Bilder der Faszination an, so formelhaft wie katholisch schön. Manoel de Oliveira erzählt einen Witz über die Überblendungen und andere filmische Formen: Der Spießer sitzt in seinem Büro und starrt aus dem Fenster. Das Fenster. Eine ältere Frau. Er mutmaßt, wie sie ausgesehen habe, wie lebendig sie gewesen sein mag, als sie jung war. Sie geht weg und gibt den Blick auf ein Gemälde frei, das sie etwas jünger zeigt. Dann tritt die schöne junge Blonde mit dem chinesischen Fächer ans Fenster. Und schaut heraus. Und lässt die Gazevorhänge herunter.

In Lissabon wird mit edlem Tuch gehandelt und hin und wieder bricht man zu den Kapverden auf, um in Geschäften ein Vermögen zu machen. Der 100-jährige Regisseur hat die Vorlage von Eça de Queiroz, die noch älter ist als er selbst, nicht, wie er im Vorspann behauptet, "aktualisiert".

Um den Scherz dieser Irreführung auf die Spitze zu treiben, lässt er fast ein Drittel der Geschichte in dem nach Queiroz benannten literarischen Club spielen, eine ehrwürdige Institution einer geselligen Literaturpflege, wie man sie in den iberischen Ländern liebt - vor allem vor circa 80, 90 Jahren. Sie gibt ihm die Gelegenheit, in üppigen Spiegelrahmen und doppelten Spiegelungen und über lange Salonfluchten hinweg zu erzählen. So wenig wie möglich schwenken, so viel wie möglich in Rahmen setzen. Selbst das Schaufenster des Restaurant Belcanto wird wie ein Gemälde zelebriert. Es sieht auch in Wirklichkeit aus wie eine De-Oliveira-Komposition, Spezialität: Rosbife à padeiro.

Am Ende hatte das blonde Mädchen dann doch noch eine andere Eigenschaft.

DIEDRICH DIEDERICHSEN

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.