„1000 Airplanes on the Roof“ in Berlin: Wenn niemand dir glaubt
An der Neuköllner Oper wird aus Philip Glass’ Science-Fiction-Oper mit Flinta*-Ensemble eine große Erzählarie über die Erfahrungen von trans* Menschen.
Von einem Coffee Shop in Berlin Neukölln kann es schnell in die unendlichen Weiten des Universums gehen. So geschieht es jedenfalls „M“, der Hauptfigur aus Philip Glass’ erstmals 1989 aufgeführter Science-Fiction-Oper. Damals war „M“ noch in New York zu Hause, wie die als spektakulär beschriebenen Projektionen der Uraufführung in einem Wiener Flugzeughangar nahelegten.
Jetzt in Neukölln ist der Berliner Kiez der Handlungsort. Und Mara Snip, aus den Niederlanden stammende trans* Performer*in, verkörpert in eng anliegendem Glitzerkleid eine „M“, die eigentlich Schauspielerin ist, sich dem Dasein als Tresenkraft im Coffeeshop aber derart angepasst hat, dass ihr nicht einmal der aktuelle Lover den künstlerischen Hintergrund abnimmt.
Snip berichtet in ihrer Rolle locker-ironisch von der Misere nicht ausreichend anerkannter Kreativberufler. Auf einem mit Stimmenloops angereicherten, fast orchesterhaft wirkenden Klangteppich erzählt die mit beachtlichem Stimmvolumen ausgestattete Berliner Club-Größe aber auch von den politischen und gesellschaftlichen Einschränkungen, die immer stärker das Leben von trans* Menschen belasten.
„1000 Airplanes on the Roof“, Neuköllner Oper, jeweils Di., Do.–So., bis 9. November
In diesem Kontext wirkt der Strahl aus Klang und Licht, der laut Text aus einem Loch im Himmel kommt und sie aus dieser multiplen Misere in die Weiten des Universums entführt, wie eine echte Befreiung. Schienen Glass und dessen Librettist David Henry Hwang noch stark beeinflusst von den Ufo-Erzählungen der 1960er und 1970er Jahre, in denen Menschen von – vermeintlichen – Entführungen durch Aliens zu berichten wussten und die Aufmerksamkeit vor allem auf den Gewaltakt gerichtet war -, so steht bei dieser Version der Zauber der Verwandlung im Mittelpunkt.
In Liebe zu „M“
Koloratursopran Sarah Bodle entwickelt in einer hinreißenden Vokalpartie eine geheimnisvolle Instanz, die in Liebe zu „M“ schier zu zerschmelzen scheint. Die Begegnung verhilft „M“ sogar zu seherischen Fähigkeiten zurück auf der Erde.
Der zentrale Satz des Stücks „Niemand wird dir glauben“ – ursprünglich gemünzt auf das Alienabenteuer – bezieht sich in der Fassung von Regisseurin Paige Eakin Young allerdings auf die mangelnde Anerkennung von trans* Personen in der gegenwärtigen Gesellschaft. Diese inhaltliche Transformation kommt an in der neu aufgestellten Neuköllner Oper.
Das Premierenpublikum trampelt begeistert im einstigen Ballsaal in Rixdorf. Unter dem neuen Leiter Rainer Simon, der zuletzt an der Seite von Intendant Barrie Kosky die Außenspielstätten der Komischen Oper verantwortete, orientiert sich das 1976 aus einem Kammerchor heraus gegründete und früher stark mit Kiez-verbundenen Musicals aufgefallene Haus deutlich in Richtung Avantgarde und Retroavantgarde.
Den Auftakt der neuen Spielzeit machte „Hunter“. In diesem Stück der belgischen Universalklangkünstlerin Liesa van der Aa traten die Sängerinnen des Bodies-Ensemble auf einem Basketball-Court gegeneinander an und sorgten für ein gefeiertes Crossover aus Ballregeln und kompositorischer Partitur. Im Oktober gab es mit „Crime of Passion“ eine Verschmelzung der Kritik am häufigen Frauentod in der Oper mit dem Entsetzen über reale Femizide.
Ein Hauch von großer Musikwelt
Für Simon, der offen schwul lebt, sind queere Themen wichtig. „Wir haben aber keine vorgefertigte queere Agenda“, sagte er zu Spielzeitbeginn in einem Interview mit der Siegessäule. Queere Schwerpunkte ergäben sich vor allem durch Arbeit mit den Künstler*innen selbst. So auch bei „1000 Airplanes on the Roof“. „Erst haben wir das Stück ausgesucht, danach habe ich die trans* Regisseurin Paige Eakin Young gefragt, deren Arbeit ich schätze und die ich schon vor ihrer Transition kannte. Sie erklärte mir, dass sie im Stück trans* Diskurse reflektiert sehe. Dann kam die Idee auf: Lasst uns doch ein All-Flinta*-Team zusammenstellen“, erklärte Simon die Genese.
Auch mit seinem alten Haus, der Komischen Oper, will Simon im Rahmen der Uraufführung der Frühlingsoper „Selemo“ zusammenarbeiten. Es kommt ein Hauch von großer Musikwelt in die Neuköllner Karl-Marx-Straße.
Bei der Glass-Adaption hätte man sich allerdings ein stärker retrofuturistisch ausgerichtetes Bühnenbild gewünscht, das über Discokugel, Windmaschinen, Flattergaze und ein karges LED-Quadrat hinausgeht. Es muss ja nicht gleich ein Flugzeughangar sein wie bei der Uraufführung in Wien oder eine echte Concorde wie beim Lammermuir-Festival in Schottland 2011. Aber Glass’ pulsierender Minimalismus in den Klängen verlangt bei einer szenischen Umsetzung doch auch Futter fürs Auge.
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