100.Geburtstag Onetti: Der Nihilist vom Río de la Plata

Am 1.Juli würde der uruguayische Schriftsteller Juan Carlos Onetti, Autor von "Die Werft" und "Für diese Nacht", 100. Mario Vargas Llosa würdigt ihn am Mittwoch in Frankfurt.

Dichter über Dichter: Mario Vargas Llosa spricht über Onetti. Bild: ap

Heute stellt der Schriftsteller Mario Vargas Llosa seinen Essay "Die Welt des Juan Carlos Onetti" in Frankfurt am Main vor. Im Suhrkamp Verlag, der das Werk Onettis auf Deutsch betreut, ist soeben "Für diese Nacht" erschienen. Im Herbst folgt der dritte von fünf Bänden einer Werkausgabe in überarbeiteter Übersetzung.

Werner Schroeters Verfilmung "Diese Nacht" kam im April in die Kinos. Drei Gespräche mit Onetti finden sich im Schreibheft 70 (2008).

Virtuell kann man sich Onetti auf der zweisprachigen Website www.onetti.net nähern.

Fünfzehn Jahre nach Juan Carlos Onettis Tod in Madrid und pünktlich zu seinem 100. Geburtstag am 1. Juli haben die Verehrer des uruguayischen Romanciers am Río de la Plata in Spanien und auch in Deutschland einen beträchtlichen Publicitywirbel entfacht. Der prominenteste ist der Schriftsteller Mario Vargas Llosa mit seiner neuen Studie "Die Welt des Juan Carlos Onetti".

Onetti wurde vor allem im Sog des "Booms" lateinamerikanischer Literatur in den 1970ern international bekannt. Da reihte man ihn unter die ganz Großen ein, irgendwo zwischen dem Argentinier Jorge Luis Borges und Gabriel García Márquez aus Kolumbien. Im Jahr 1980 erhielt Onetti die wichtigste Literaturauszeichnung in der spanischsprachigen Welt, den Cervantespreis. Doch bis heute gilt er als schwierig zu lesen - als düsterer, tief pessimistischer Sonderling.

In Uruguay fällt der Kontrast zu Mario Benedetti auf, seinem Freund und vor Kurzem verstorbenen Landsmann. Man verehrt ihn dort wie einen Popstar. Onetti hingegen blieb ein Außenseiter, dem alles Bürgerliche bis hin zum etablierten Literaturbetrieb zuwider war.

Die fiktive Provinzstadt Santa María ist jener Mikrokosmos, in dem die meisten von Onettis Erzählungen spielen, ähnlich wie das in den US-Südstaaten angesiedelte Yoknapatawpha County seines großen Vorbilds William Faulkner. Santa María ist das literarische Pendant zur Großregion des Río de la Plata, die Buenos Aires umfasst, wo Onetti fünfzehn Jahre lang wohnte, samt Montevideo als Hinterland.

Kunstrezensionen hätten seinen Stil geprägt, schrieb Onetti einmal. Besonders zogen ihn die Expressionisten an, für die der freie schöpferische Umgang mit Farbe und Form wichtig war. "Ich sah vor mir, bereits endgültig, die beiden großen Fenster, die auf den Platz gingen", heißt es in "Das kurze Leben" (1950), seinem formal gewagtesten Roman. Er schreibt: "Autos, Kirche, Klub, Konsumgenossenschaft, Apotheke, Konditorei, Standbild, Bäume, dunkelhäutige, barfüßige Kinder, blonde, eilige Männer; auf plötzliche Einsamkeiten, Mittagsruhe und manche Nächte mit milchigem Himmel, in denen sich die Klaviermusik des Konservatoriums ausbreitete."

Als einer der ersten lateinamerikanischen Autoren entdeckte Onetti die urbane Welt als Sujet. Die Stadt ist mehr als ein imaginärer Ort, sie ist Nährboden von Angst, Einsamkeit und Verzweiflung. Es sei notwendig, forderte er 1939, "dass unsere Schriftsteller um sich herumschauen und über sich selbst und ihre Erfahrung berichten, dass sie sich die Mühe machen, uns zu erzählen, wie die Seele ihrer Stadt aussieht".

"Die Werft", der Bestseller aus dem Jahr 1961, lässt sich als Parabel auf das menschliche Scheitern lesen. Und es ist auch eine prophetische Vision des Niedergangs am Río de la Plata, "das vielleicht fürchterlichste Porträt Uruguays, das jemals geschrieben wurde", wie Onettis Landsmann Eduardo Galeano findet, "ein großartiger, aber auch grausamer Roman".

Schauplatz ist die Werft im Hafen von Santa María mit bröckelnder Architektur, schmutzigen Straßen und verwahrlosten Anlagen. "Onetti hatte einen Freund zu einer Werft in Rosario begleitet", berichtet sein Biograf Carlos María Domínguez. "Er lernte dabei Du Petrie, Besitzer und zugleich Geschäftsführer der Werft, kennen. Wegen Schulden waren seine Büros an der Floridastraße in Buenos Aires geschlossen worden." Onetti habe die "staubbedeckten Schreibtische, die toten Akten und die Illusion eines Mannes erlebt, der glaubte, die Firma wieder flottmachen zu können."

Jeremías Petrus, wie der Unternehmer im Roman heißt, überzeugt den etwa fünfzigjährigen Larsen, die ruinierte Werft als Geschäftsführer zu sanieren - ein hoffnungsloses Projekt. Auch sein Versuch, Petrus Tochter zu heiraten, schlägt fehl.

Doch die "wirkliche Geschichte verläuft innen und ist aus Pausen und Schweigen gemacht", hat der Kritiker Emir Rodríguez Monegal erkannt. Larsen ist auf der vergeblichen Suche nach dem Sinn des Lebens, das trübe Wetter passt dazu: "Er erkannte den genauen Grauton, den nur die Elenden an einem Regenhimmel unterscheiden können; die feine eitrige Linie, welche die Wolken teilt, das dröhnende, weit entfernte, durch Schäbigkeit gefilterte Licht." Wer die heruntergekommenen Außenbezirke von Buenos Aires oder Montevideo einmal im Winter erlebt hat, für den wird die Lektüre der "Werft" zum Déjà-vu-Erlebnis.

Onetti selbst hob schon 1975 hervor, "dass etwas gewaltig faul war, nicht nur in Uruguay oder in Dänemark. Der Gestank nimmt heute zu." Zwei Jahre zuvor hatten die Militärs in Uruguay die Macht an sich gerissen. Auch Onetti wurde verhaftet - wegen angeblicher "Förderung der Pornografie". Als Jurymitglied eines Literaturwettbewerbs der linken Zeitschrift Marcha hatte er die Erzählung "Der Leibwächter" von Nelson Marra mit ausgezeichnet.

Marra wurde vier Jahre lang in der Haft gefoltert, und auch der damals vierundsechzigjährige Onetti landete für drei Monate in einem Polizeipräsidium, im Stadion und in der Psychiatrie. Anschließend ging er traumatisiert ins Exil nach Madrid, das er bis zu seinem Tod 1994 nicht mehr verlassen wollte.

Anders als Benedetti, Galeano oder die Autoren des "Booms" winkte Onetti immer ab, wenn er um Stellungnahmen zu politischen Problemen gebeten wurde. Als junger Mann, 1936, erwog er kurz, als Freiwilliger auf Seite der Republik in den Spanischen Bürgerkrieg zu ziehen. Sechs Jahre später nahm er die Berichte zweier Anarchisten zum Anlass, "Für diese Nacht" zu schreiben, einen Roman, den kürzlich Werner Schroeter frei verfilmt hat. In der Vorbemerkung zur ersten Auflage erwähnt Onetti die, die "in vielen Teilen der Welt … verschiedene Überzeugungen des Autors physisch verteidigten". Doch ein politisch engagiertes Buch will "Für diese Nacht" nicht sein. Eher erinnert es an die Krimis Chandlers oder den Film noir. "Literatur sollte niemals politischen Zielen verpflichtet sein", sagte Onetti, "sie sollte einfach gute Literatur sein. Meine ist nur mir selbst verpflichtet."

Jeder Triumph endet

Sein Leben lang habe er auf der Seite der Schwachen gestanden, bekannte er 1989, "auf der Seite der Juden gegen Hitler, und jetzt auf der Seite der Palästinenser". Vargas Llosa nimmt dies allerdings nur widerstrebend zur Kenntnis. In den 60er- und 70er-Jahren hätten die Sympathien Onettis "in seinem tiefsten Inneren wohl eher den Revolutionären als ihren Unterdrückern gegolten", schreibt der streitbare Liberale lapidar. Bei der Beantwortung des Proustschen Fragebogens gab Onetti als "Held im wirklichen Leben" Che Guevara an - eine überraschende Wahl für einen bekennenden Nihilisten. Oder doch nicht? "Alle sind wir zum Scheitern verurteilt, denn wir wissen ja, wie jeglicher vorübergehende Triumph endet", sagte er später, "glücklich jene, die eine Religion haben".

Vargas Llosas Würdigung Onettis wird durch die Penetranz getrübt, mit der er immer wieder eine zentrale These variiert: "Der Autor der Frustration und der Flucht aus einer verhassten Realität durch die Fantasie ist sehr repräsentativ für das Lateinamerika des Scheiterns und der Unterentwicklung", schreibt er.

Im fiktiven Universum Onettis, so Vargas Llosa, seien "die Menschen eine abscheuliche Horde nachtragender, kleinlicher, mittelmäßiger Kanaillen, unter denen nur die Niedrigsten sich hervortun und überleben". Dagegen sprechen Onettis melancholische Liebesgeschichten und sein hintersinniger Humor. Ein Zyniker war er nie.

Die letzten 14 Jahre vor seinem Tod verbrachte er vorzugsweise im Bett, mit Whisky und Zigaretten, schreibend oder Krimi lesend. Er ließ sich von seiner vierten Frau Dolly Muhr verwöhnen und gab lange Interviews.

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