1.298 Tage Krieg in der Ukraine: Schulbeginn, staatlich erleichtert
In der Ukraine werden seit diesem Sommer Erstklässler finanziell vom Staat unterstützt. Doch Geld ist dort nur eins der Probleme von Eltern.

D er Beginn des neuen Schuljahres im September ist in der Ukraine immer ein besonderes Ereignis. Nicht nur die Erstklässler kommen festlich gekleidet in die Schule – der Dresscode für diesen Tag ist stets feierlich. Auch Blumensträuße für die Lehrerinnen gehören zur Tradition.
In den letzten Jahren hat sich jedoch vieles verändert: zuerst durch Covid, dann durch die russische Invasion. Aus Sicherheitsgründen konnten auch dieses Jahr nicht alle Schulen den ersten Schultag feiern. Manche Schulleitungen baten die Eltern darum, statt Blumen lieber Spenden für verletzte Kinder oder verwundete Soldaten zu geben.
Eines jedoch bleibt unverändert: In den letzten Ferienwochen laufen die Eltern durch die Geschäfte, um alle notwendigen Dinge zu besorgen – Hefte, Sportschuhe, Schulranzen und alles, was dazugehört. Dazu kommt neue Kleidung, da die Kinder in den drei Sommerferienmonaten meist erheblich gewachsen sind. All das heißt „Schulvorbereitung“ – und das ist nicht nur viel Aufwand, sondern kostet auch viel Geld.
Maya wurde zum ersten Schultag von ihrer Großmutter begleitet. Ihre Eltern sind seit einigen Jahren getrennt, und der Vater hat den Kontakt zur Tochter verloren. Die Mutter war immer im Hotel- und Gaststättenbereich tätig. In ihrer kleinen Heimatstadt Kaniw gab es für sie aber keine Arbeit.
Für die Menschen in der Ukraine ist der Krieg ein Teil ihres Alltags geworden. Trotz der Todesangst vor Luftangriffen und Kämpfen geht das Leben weiter: Die Menschen gehen zur Arbeit, zur Schule und zur Uni. Sie lieben, lachen, heiraten, bekommen Kinder, machen Urlaub. Sie trauern, sorgen sich – und hoffen auf Frieden.
Auf Zypern für den Schulstart der Tochter schuften
Für die Saison unterschrieb sie deshalb einen Vertrag in einem Restaurant auf Zypern. Ihre Motivation war, etwas Geld für den Schulstart der Tochter zu verdienen. Die Saison endet allerdings erst im November, so dass die Mutter Maya zwar finanziell unterstützen kann, aber nicht da ist. Vor Ort übernimmt die Großmutter.
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Im Frühjahr wusste die Mutter jedoch noch nicht, dass es seit Juli eine staatliche Unterstützung für Familien mit Erstklässlern gibt. Der Staat versucht, den Schulbesuch in der Ukraine attraktiver zu machen, um die Kinder nicht zu verlieren.
Der Prozess läuft schnell und digitalisiert ab: Sobald ein Kind eingeschult wird, dürfen die Eltern finanzielle Hilfe beantragen. Das Geld – 5.000 Hrywnja (ca. 106 Euro) – wird auf ein spezielles Konto überwiesen und darf ausschließlich in bestimmten Kinder- oder Schreibwarengeschäften nur für Schulwaren und Kleidung ausgegeben werden.
„Das reicht natürlich nicht“, sagt Jana, die ebenfalls eine Erstklässlerin hat. „Der billigste Ranzen kostet 1.500 Hrywnja. Schulkleidung und Sportschuhe verschlingen den Rest. Allein ein Set Schreibhefte für Erstklässler kostet 1.000 bis 1.100 Hrywnja“, führt sie als Beispiele an.
Luftschutzkeller reicht nicht für alle Kinder
„Dazu kommt die Federtasche mit Stiften und Zubehör, Knete, Farben und vieles mehr. Nur, wenn man die Summe verdoppeln würde, käme man einigermaßen damit hin. Außerdem sind die Preise in den ausgewählten Kindergeschäften etwas höher als auf dem Markt“, sagt Jana.
Janas zweite Tochter kommt in die erste Klasse einer Grundschule in Irpin. Das Leben kehrt wieder zurück in diese Kyjiwer Vorstadt, die 2022 stark unter der russischen Besatzung gelitten hat. Die Zahl junger Familien ist hier inzwischen deutlich höher als in vielen anderen Regionen. Die Schule ist überfüllt: Fast 2.700 Kinder werden sie im laufenden Jahr besuchen.
Doch die Kapazität des Luftschutzkellers reicht bei Weitem nicht aus. Deshalb werden die Schüler in vier Schichten aufgeteilt: eine am Vormittag, eine am Nachmittag, zwei weitere lernen online. Jede Woche wechseln die Gruppen – wer diese Woche in der Schule war, lernt nächste Woche online und umgekehrt. Jedes Kind braucht also zusätzlich ein Tablet für den Online-Unterricht, das ebenfalls von den Eltern angeschafft werden muss.
Die Schulbücher sind hingegen kostenlos, ebenso das Mittagessen für Grundschulkinder. So beginnt dieses Schuljahr erneut als große Herausforderung – nicht nur für Kinder, Eltern und Lehrkräfte, sondern auch für das Bildungsministerium mit so vielen und so unterschiedlichen Problemen.
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