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20 Jahre Dresscode in der NBAWeiße Autorität

Mit Beginn der Saison 2005/06 waren weite Hosen, Ketten und Durags verboten. Die neue Kleiderordnung richtete sich vor allem gegen Schwarze Spieler.

Stilikone auf und neben dem Platz: Allen Iverson bei einem Spiel seiner Philadelphia 76ers im Jahr 2002

D a schaute er brav vom Titelblatt des NBA-Magazins Hoop: ohne Ohrringe, Kette oder sichtbare Tattoos. Basketball-Superstar Allen Iverson, wie ihn sich der Ligaboss gewünscht hatte – zu schön, um wahr zu sein. War es auch nicht. Iversons Tattoos lagen versteckt unter den Blockbuchstaben der Titelstory, der Schmuck war wegretuschiert, die zu Cornrows geflochtenen Haare in der Tiefenunschärfe verschwommen.

Das manipulierte Titelbild von 1999 war der Vorbote für eine Anordnung, die NBA-Geschäftsführer David Stern wenige Jahre später an alle Teams verschicken sollte. Vor 20 Jahren wurde ein Dresscode eingeführt. Mit Beginn der Saison 2005/06 waren weite Hosen, Ketten und Durags verboten, genauso wie Wanderschuhe (lies: Timberlands). Wer in der NBA spielte, sollte auch abseits des Spielfelds „professionell“ aussehen. Allerdings weniger wie ein Basketballer, eher wie ein Staubsaugervertreter: Business Casual bedeutete Hemd, Jackett und Schnürschuhe.

Stern trieb mit der NBA die globale Expansion voran. Anfang der 2000er spülten internationale Stars wie Yao Ming, Pau Gasol und ein junger Dirk Nowitzki neue Gelder in die Liga. Gleichzeitig blieb die NBA sichtbar eng mit der anrüchigen US-Hiphopkultur verknüpft. Jay-Z saß mit Beyoncé beim All-Star-Game in der ersten Reihe, Shaquille O’Neal tanzte durchs P.-Diddy-Video – und von Hochglanzsclips auf MTV bis zum Betonsportplatz in der hessischen Provinz trugen Gangsterrapper wie Gym­na­si­as­t:in­nen das übergroße Trikot des coolsten Typen der Liga: Allen Iverson.

Der wendige Guard spielte ab 1997 mit 1,83 Meter geballter Athletik und aberwitzigen Dribblings für die notorisch erfolglosen Philadelphia 76ers seinen Gegner Knoten in die Beine. Elfmal All-Star, 2001 wertvollster Spieler, Platz neun der ewigen Scorerliste nach Punkten pro Spiel. Statistisch kaum erfassbar ist sein Einfluss als Stilikone: Tattoos, Goldketten, XXL-Hosen und Shirts wirkten rebellischer als Michael Jordans Saubermann-Image („Republicans buy sneakers, too“) und waren leichter nachzumachen als Dennis Rodmans Auftritte im Brautkleid. Plötzlich zeigte sich die NBA im Hiphop-Look.

Gegen die Hiphopkultur

„Man sah Kobe mit der Diamantkette reinkommen und den weiten Klamotten, und alle haben damit angefangen“, erinnerte sich kürzlich Iverson. „Dann sagte die Liga: ‚Moment, dagegen müssen wir was tun.‘“ Ein Skandalspiel zwischen Detroit und Indiana, das in einer Massenschlägerei endete, bot Stern die Gelegenheit zu Disziplinarmaßnahmen. Sein Dresscode richtete sich gegen Hiphopkultur – und, wie viele fanden: gegen Schwarze Spieler.

„Erstens ist es eine seltsame Art, weiße Autorität über schwarze Körper zu etablieren“, sagt Grant Farred, der an der Cornell University zu Rassismus im Sport forscht. „Zweitens geht es ums Kapital. Die NBA wollte nicht mit Rowdytum (engl.: thuggishness) in Verbindung gebracht werden.“ Für Farred war der Dresscode Sterns letzte große Machtdemonstration. Was folgte, war die Emanzipation der Spieler.

Statt schlicht im Anzug zu erscheinen, interpretierten viele Stars die Kleiderordnung kreativ. Inspiration für einen neuen Black Dandyism fanden sie in italienischer Haute Couture und japanischer Streetwear. Die Vorreiter James Harden und Russell Westbrook prägen bis heute nicht nur als Spielmacher das Erbe Iversons – sondern auch als extravagante Trendsetter. Sie unterwanderten rassistische Stereotype, auf dem Platz und auf der Fashion Week.

Ein noch deutlicheres Modestatement folgte nach dem Mord an George Floyd 2020: 285 Spieler trugen von der Liga abgesegnete Protestparolen wie „Black Lives Matter“ statt ihres Namens auf dem Trikot. Schwer vorstellbar, dass die NBA das in der Ära Trump 2.0 erneut zuließe. Wie streng der Dresscode heute durchgesetzt wird, bleibt unklar. Weder Liga noch Spielergewerkschaft äußern sich dazu. Nur so viel: In seinen Grundzügen bestehe er fort.

Öffentlich geben sich die Stars unbeschwert. Als ein Team der Vogue Russell Westbrook 2019 zur Louis-Vuitton-Modenschau nach Paris begleitete, lacht der in die Kamera: „Das ist das Beste an Mode: Man kann machen, was man will. Das mache ich auch. Warum nicht?“

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