26 Stunden im IC: „Vereiste Leitungen, Feierabend“

Der CDU-Politiker Thorsten Schatz wollte heim nach Berlin, dann fror sein Zug fest – über 26 Stunden lang. Ein Interview auf der Strecke.

Leerer Bahnsteig in Emden

Hier ging nichts mehr: der vereiste Bahnhof von Emden am Montag. Foto: dpa

taz: Hallo Herr Schatz, alles in Ordnung?

Thorsten Schatz: Ja, muss ja.

Sie wollten von Ostfriesland zurück in Ihre Heimat Berlin fahren. Jetzt sitzen Sie schon die ganze Nacht in einem eingefrorenen Zug fest. Wieso steigen Sie nicht aus?

Was sollte das bringen? Zum einen standen wir die meiste Zeit ja ohnehin auf offener Strecke, und außerdem gibt es hier ja weit und breit nichts. Nein, nein, ich will mal nicht meckern: Immerhin ist es warm hier im Zug.

Wo stehen Sie denn gerade?

Jetzt gerade rollen wir wieder.

Ach, das ist ja schön.

Mal gucken, wie lange noch.

32, ist Vize-Fraktionschef der CDU in der Berliner Bezirksverordnetenversammlung Spandau, Fachgebiet Bildung und Kultur. Nach einem Urlaub auf Norderney stieg er am Sonntag in einen Zug gen Berlin. Die Reise dauerte über 24 Stunden.

Und wo sind Sie?

Gerade bin ich in Hude.

Sie haben eine ganze Nacht in diesem IC verbracht. Was war denn da los?

Ich war über Silvester auf Norderney und bin am Sonntagnachmittag in Norddeich in den Zug gestiegen, Richtung Berlin, fünfeinhalb Stunden, eigentlich. Wir kamen aber nicht sehr weit. Auf einem Feld zwischen Norddeich und Emden war Schluss. Vereiste Oberleitungen, Feierabend. Nach vier Stunden kam die Feuerwehr. Nach fünfeinhalb Stunden hatten sie uns dann abgeschleppt in den Marinehafe. Da gab es ein paar Getränke. Nach acht Stunden saßen wir wieder im Zug.

Wieso das denn?

Wir mussten ja irgendwo schlafen, da saßen immerhin 600 Leute in dem Zug.

Und wo haben Sie dann geschlafen?

Wir haben die Nacht dann zu fünft in einem Bahnabteil verbracht, haben uns zu zweit eine Pritsche geteilt, und dann haben wir es uns in den kuscheligen Decken vom Roten Kreuz gemütlich gemacht. Ich bin ja kirchentagserfahren. Da ist man es gewöhnt, zu improvisieren und zusammenzurücken, wenn es nötig ist.

Oweia. Und kannten Sie die Person, die neben Ihnen lag, schon vorher oder haben Sie sich kennengelernt?

Ich kannte die Person sehr gut, immerhin.

Und wie ging es dann am nächsten Morgen weiter?

Am Montagmorgen um 7 Uhr sollte eine Lok aus Bremen kommen und den Weg eisfrei machen. Die Lok traf um 8.30 Uhr ein, wurde angekoppelt, und nach 20-minütiger Diskussion fuhr die Lok dann ohne uns ab. Der Grund: Die Lok hatte keinen Auftrag, uns abzuschleppen.

Aha.

Ja. Das scheint ein Kommunikationsproblem zwischen zwei Tochtergesellschaften der Bahn gewesen zu sein. Dann fuhr der Zug irgendwann aus eigener Kraft weiter. Dann blieb er nach hundert Metern aber wieder stehen. Problem: Da lag vor uns noch eine Regionalbahn auf den Gleisen. Dann fuhren wir wieder rückwärts gen Norddeich.

Aber jetzt fahren Sie ja wieder.

Ja, genau. Gleich bin ich bei Hannover, also hoffentlich.

Glückwunsch. Und was haben Sie gelernt?

Ich weiß jetzt, dass es in bestimmten Situationen hilfreich sein kann, sich beim Sitzen und Stehen abzuwechseln, damit die Gesamtstimmung einer Gruppe nicht übermäßig getrübt wird.

Anmerkung der Redaktion: Um 17 Uhr am Montag erreichte Herr Schatz tatsächlich den Bahnhof Berlin-Spandau - nach 26 Stunden Fahrt.

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