Dschungel auf Riesenrundbild: "Hey, der hat was in mir berührt"

Mit seinen Panoramabildern in den ausgedienten Gasometern von Leipzig und Dresden will der Künstler Yadegar Asisi die Besucher zum Staunen bringen. Neues Projekt: der amazonische Regenwald

Amazonien - Asisis neues 360°-Panorama aus der Vogelperspektive Bild: Asisi Visual Culture GmbH

taz: Herr Asisi, nach "1756 Dresden" und nach "Rom zu Zeiten Konstantins" wird nun in Leipzig ein neues Panoramabild zu Amazonien entstehen. Warum begeistert Sie das Riesenrundbild?

Yadegar Asisi: Ich habe mich schon immer für illusionistische Malerei interessiert, denn ich habe gemerkt, dass dieses Element ganz schnell ins Auge geht. Es hat eine Faszination. Ich bin Anfang der 90er-Jahre auf die Panoramen gekommen. Sie sind die ideale Form, wenn man 1:1 projizieren will. Steht man unten, ist nur ein rundes Bild zu sehen, aber wenn man dann von oben auf den Horizont blickt, dann ist das wie Magie.

Sozusagen Raum total?

Genau. Man steht auf der Hofmauer und blickt auf Dresden 1756. Haben Sie schon mal jemanden gesehen, der vier Stunden vor einem Bild steht? Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber das passiert. Wenn das Bild gerade hinge, würden die Leute vielleicht zehn Minuten davorstehen. Aber in dem Augenblick, in dem ich es räumlich inszeniere und die Räumlichkeit sozusagen zum Leben erwecke, tauchen die Leute in eine Faszination ein. Diese entsteht, weil sie selbst die Regisseure des Blickes sind.

Aber das Bild ändert sich doch nicht …

Es kommen Leute zu mir und sagen: Ich war schon zehnmal hier. Ich frage sie dann, ob es nicht langsam langweilig wird, und sie sagen: Nein, ich könnte immer weiterschauen.

Was hat Sie an Dresden gereizt?

Ich habe lange in Dresden gelebt. Die spannende Frage stelle ich jetzt an die Dresdner: Wollen wir nicht das kollektive Wissen, das in unserer Stadt existiert - in den Katakomben, in den Kellern und Dachböden - zusammentragen? Arbeiten wir uns doch ein wie die Historiker oder Archäologen, wir könnten die ganze Stadt noch genauer an damals anpassen. Dieses Bild ist eigentlich der Versuch eines Dialogs mit der Stadt.

Und funktioniert dieser Dialog?

Das Asisi Panometer in Leipzig in einem ehemaligen Gasometer Bild: Asisi Visual Culture GmbH

Sensationell. Im Moment sind die Leute von dem Eindruck so überwältigt, dass sie jetzt nicht den Mut haben zu kritisieren. Aber nein, gebt euch den Mut, denn ich würde dann, wenn ich genügend Stoff habe, das Bild mit den neuen Aspekten noch einmal machen. Es ist doch nur ein blödes Bild. Wir können an dem Bild letztendlich so lange operieren, bis wir sagen: So, jetzt stimmt es.

Warum das Thema Amazonien, Ihr neues 360-Grad-Panoramagemälde "359Amazonas" , im alten Gasometer von Leipzig?

Wenn diese Faszination für das Räumliche da ist, dann müssen wir nur die Themen für heute finden. Wir sind mitten im Humboldt-Jahr. Humboldt hat sich eigentlich dieses Bild gewünscht. Er hat gesagt: Warum macht nicht jemand dieses Zauberbild der Natur.

Und nun haben Sie es entworfen?

Der Künstler darf raffen, er darf zusammenführen. Mein Lehrkonzept ist: über das Sehen das Staunen wieder aktivieren. Das Sehen ist eine der Grundfähigkeiten, die wir haben. Wir nutzen sie aber nicht mehr. Ich will sozusagen an den archaischen Dingen wieder anknüpfen.

Sie wollen uns also das Sehen lehren?

Asisi bei einer Vorstudie zum Amazonien"-Panorama Bild: Asisi Visual Culture GmbH

Ja. Ich war 2003 auf einer Reise im Dschungel und fühlte mich wie Humboldt: zeichnen, sich langsam rantasten. Gerade die Biologen sind die reinsten Seher. Wenn wir uns einmal hinsetzen und zeichnen, dann begreifen wir auf einmal die komplexesten Dinge. Leonardo da Vinci hat bis zu seinem Lebensende Natur studiert, das hat er nicht gemacht, weil er zeichnen wollte, sondern weil er begriffen hat, dass man durch Zeichnen ganz anders versteht. Zum Beispiel wäre das Zeichnen auch heute in ganz vielen Berufen essenziell, doch das wird jetzt gerade wegdefiniert.

Wie entsteht eine solche Großansicht?

Die weltgrößten Panoramen in Leipzig und Dresden sind über 100 Meter lang und rund 30 Meter hoch. In einer 360-Grad-Rundumsicht können Besucher auf einer zwölf Meter hohen Plattform in den unendlich scheinenden Horizont des Bildes blicken. Im alten Gasometer in Dresden wird das Dresden vom 29. August 1756 dargestellt, in Leipzig wurde bis Ende Januar "Rom 312" gezeigt. Panometer ist eine Wortschöpfung des Berliner Künstlers Yadegar Asisi, gebildet durch das Zusammenziehen der Wörter Panorama und Gasometer. Schautafeln und Bilder informieren beispielsweise bei Dresden über Geschichte, historische Persönlichkeiten und ihre Funktionen im Leben der Stadt.

Beide Panometer sind das Werk des Künstlers und Architekten Yadegar Asisi. Geboren 1955 in Wien zog es ihn 1973 wegen seines Studiums zunächst nach Dresden, dann nach Berlin. Nach vielen Projekten in Kunst und Architektur sowie einer Professur an der TFH Berlin erfüllte er sich 2003 mit seinen Panometern einen lang gehegten Wunsch: Er möchte den Besuchern die "Lust am Sehen zurückgeben." Eine Lust, die im Zeitalter der alltäglichen Bilderflut verloren gegangen sei. Ab 28. März wird in Leipzig das neue Rundbild, an dem das 80-köpfige Team des Künstlers gerade arbeitet, zu sehen sein: Amazonien. www.panometer.de

Das ist bei organischen Vorlagen, die man abbildet, ganz schön kompliziert. Ich habe fast 30.000 Bilder geschossen. Sie müssen sich vorstellen, dass ich auf sieben Metern einen Baum habe, den ich von allen Höhen fotografieren muss, um ein authentisches Bild zu erhalten. Sie müssen von oben die Wurzel nach unten fotografieren. Ich muss perspektivisch immer die richtigen Situationen und das richtig Licht treffen. Ich arbeite an diesem Bild Amazoniens jetzt schon eineinhalb Jahre. Ganze fertige Teile wurden wieder ausgetauscht, weil sie nicht logisch waren. Dabei haben mich die Botaniker unterstützt.

Setzen Sie auch auf das Thema Umweltzerstörung?

Von vornherein war mein Ziel, nicht über die Abholzung des Regenwaldes zu reden. Ich wollte, dass sich der Besucher, wenn er aus "Amazonien" hinausgeht, fragt: "Boah, das war ja echt wahnsinnig, warum holzt man das ab?"

Wer besucht Ihre Panometer?

Wissen Sie, was ich da für Leute reinkriege? Ich bekomme da Leute rein, die noch nie in einer Ausstellung waren, die völlig borniert erst mal sagen, mich kann das nicht begeistern. Die kommen dann raus und sagen: "Hey, der hat was in mir berührt, was andere mit dicken Büchern nicht geschafft haben."

Bei Ihnen scheint das Emotionale sehr wichtig zu sein?

Ja, genau richtig, damit haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Das Wissen ist ein rationaler Moment, zum Begreifen nur ein ganz kleiner Bereich. Ich glaube, dass unsere Intuition viel komplexer ist als alles, was wir im Kopf bewegen können.

Welches Gefühl wünschen Sie den Besuchern, wenn sie aus Ihrer Ausstellung kommen?

Staunen, denn daraus entsteht ein Interesse am Thema. Diese Emotionalität, wenn die Leute rausgehen und ganz weich in ihrer Anmutung sind - als Künstler kann mir nichts Besseres passieren, als Menschen emotional zu berühren!

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