Nicht nur für Fromme: Heiligenparty mit Stier

Bis Mitte Mai feiert Madrid eine Woche lang seinen Stadtheiligen San Isidro. Dann finden auch die größten Stierkämpfe in der Arena von Las Ventas statt. Rockkonzerte, Ballett, Opern - umsonst oder sehr günstig - beglücken auch die weniger Frommen. Ein Stadtbummel zwischen Tradition und Moderne

Stierkampf in Madrid: Diesmal gewinnt der wirklich Stärkere Bild: dpa

In der Mehrzahl dunkel gekleidete Frauen mit schwarzem Spitzenschleier und großen Spangen im Haar folgen der Prozession durch das Zentrum Madrids. Vorneweg die Statue des Stadtheiligen San Isidro und seiner gleich mit heiliggesprochen Ehefrau Maria de la Cabeza. Dahinter behäbiger Klerus, ab und zu ein älteres Ehepaar. In der hektischen, modernen Großstadt scheint dieser Zug der Frommen einem Buñuel-Film entstiegen oder eine Einstiegszene des Filmemachers Pedro Almodóvar zu sein. Doch das pulsierende Madrid steht mit seinen religiösen Festen dem dafür eher bekannten Süden Spaniens in nichts nach. Carmen, die mich begleitet, findet den Rummel übertrieben. Wahrscheinlich wie ich Silvester am Brandenburger Tor.

Die Stierkampf-Saison in Spanien geht von März bis Oktober. Karten für die großen Kämpfe müssen rechtzeitig bestellt werden. Die Eintrittspreise für einen Stierkampf reichen von 5 Euro Einheitspreis, z. B. bei schlechtem Wetter und bei Novillas, bis zu 120 Euro und mehr bei großen Veranstaltungen. Vorverkauf: www.tauroentrada.com Stierkampf-Informationen: www.mundotoro.com

Info zu San Isidro: Esmadrid, Avenida Ribera del Sena 21, Planta Baja. 28042 Madrid, www.esmadrid.com, www.spain.info

Wer den Stierkampf liebt, kann sich im La Taurina alte Stierkampffotos ansehen und dabei mittelmäßige spanische Küche genießen. Hier zieren nicht Hirschgeweihe, sondern Stierhörner die Wände. Immer gut besucht. Calle San Jerónimo 5, 28014 Madrid, Tel. +3 49 15 31 39 69.

Essen, wo auch der König speist: im Casa Lucio beispielsweise. Ein gutes spanisches Restaurant in Madrid de los Austrias. Immer voll, deshalb unbedingt reservieren. Besonders zu empfehlen: huevas con patatas - Eier mit Kartoffeln. Cava Baja 35, 28005 Madrid, Spain, Tel. +3 49 13 65 32 52 www.casalucio.es

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Das einwöchige Stadtfest San Isidro bis zum 15. Mai ist ein riesiges Spektakel mit religiöser Folklore. San Isidro, ein Bauer - häufig mit Pflug und Engeln dargestellt, die gottlob für ihn arbeiten -, ist Schutzpatron der spanischen Hauptstadt. Sein "unvergänglicher Körper" liegt in der Stiftskirche San Isidro mitten im Zentrum, nicht weit von der Plaza Major aufgebahrt. Die Frommen defilieren zum Stadtfest in langen Schlangen an seinem Reliquienschrein vorbei. Auch wir stellen uns geduldig in die lange Schlange vor der Kirche.

Im Zentrum der Stadt geht es weniger andächtig zu. In der Calle de los Cuchilleros tanzen Paare den Chotis. Musik beschallt die ganze Straße. Manche haben zu Ehren San Isidros die Madrider Tracht hervorgeholt: das lange, farbenfrohe, körperbetonte Rüschenkleid für Frauen; grau karierter Anzug mit Weste und Schiebermütze für Männer. Der Anzug des Chulos, des coolen Typs, des Machos, der sich auch beim Chotis höchst sparsam bewegt und die Frau um sich herumtänzeln lässt.

Im Süden der Stadt, auf der anderen Flussseite des Manzanares, dessen heruntergekommenes Ufer gerade aufwendig zur Promenade aufgehübscht wird, steht die Kapelle des Heiligen. Davor, auf dem Pradera de San Isidro, drängeln sich massenhaft Madrilenen und zugezogene Latinos vor Buden mit Zuckerbrezeln oder dem selbst gebackenen Brot. Dazu gibt es alles vom Schwein bis hin zu den knusprigen Schweinsöhrchen. Wir schieben uns durch den Rummel. Klaustrophobisch sollte man hier nicht sein. Die Stadt lässt sich ihren San Isidro etwas kosten: Sie bietet Rockkonzerte, Ballett, Opern - umsonst oder sehr günstig - für jeden Geschmack etwas. San Isidro beglückt auch die weniger Frommen.

Nun beginnt auch die Hochsaison des Stierkampfs, der Corrida. Die wichtigsten Kämpfe im Jahr finden in der Arena Las Ventas zu San Isidro statt. Ein soziales Gemisch aus Wohlhabenden und weniger Wohlhabenden, Männern wie Frauen, Touristen und Einheimischen drängelt sich in die ausverkaufte Arena von Las Ventas. Das im maurischen Stil erbaute Stadion von Madrid ist die Hochburg der Corrida. Weltweit. Die "Kathedrale des Stierkampfs", wie die Madrilenen sagen. Wer dort gegen den Stier kämpft, hat es geschafft. Er gehört zur Spitze der Stierkämpfer. Die besseren Plätze befinden sich in den unteren Reihen, nach oben hin werden sie billiger. Allerdings sind die obersten Reihen überdacht. Das kann zu einem wichtigen Kaufargument werden, wenn die Madrider Sonne noch um 18 Uhr - dann beginnt die Corrida - erbarmungslos herunterbrennt.

Religion und Stierkampf sind für viele Madrilenen kulturelle Insignien der Konservativen. "Auch Franco war nicht nur erzkatholisch, sondern ein aficionado, ein Liebhaber des Stierkampfs", sagt Carmen. Gerade bei der gebildeten Mittelschicht gibt es harte Kritik an dem archaischen Ritual: "Das Tier wird gequält und hat nicht wirklich eine Chance", sagt meine Begleiterin und weigert sich, den Kampf mit mir anzuschauen. Trotz aller Anfechtungen - es gibt sogar Anstrengungen in der EU, den Stierkampf zu verbieten - ist Stierkampf in Madrid nach wie vor populär. Besonders bei der Ober- und Unterschicht. Und auch bei Touristen. "Für Amerikaner und Japaner ist Stierkampf die touristische Attraktion Madrids", sagt José María López Montes vom Madrider Tourismusbüro. "Besonders die Japaner sind ganz verrückt danach."

Chulo und Chula aus Madrid beim San-Isidro-Fest Bild: R. Wandler

Der Stierkampf ist eine ritualisierte Inszenierung in drei Akten mit kostbaren Kostümen, geschmückten Pferden und theatralischer Pasadoblemusik. Ein tödliches Drama zwischen Eleganz und Barbarei, das immer blutig mit dem Tod des Stiers endet. Hauptfigur des Stierkampfs ist der matador de toros, der Stiertöter. Ein Matador beginnt als novillero, als Neuling. In dieser Zeit kämpft er mit Jungtieren. Erreicht er ein gewisses Niveau und hat er genügend Kämpfe als Novillero bestritten, wird er zum matador de toros - fortan darf er gegen ausgewachsene Kampfstiere kämpfen. Weitere Beteiligte: die beim Publikum ungeliebten picadores, meist etwas dickliche Lanzenreiter zu Pferd, und die banderilleros, die den Stier mit ihren geschmückten Lanzen frontal anstechen. Der eigentliche Kampf besteht aus drei Teilen. Sie werden durch Hornsignale voneinander getrennt. Das Publikum auf den Rängen kommentiert das blutige Ballett zwischen Mensch und Tier lautstark mit abwertenden Pfiffen oder anfeuernden Rufen.

Wer nicht live dabei ist, kann in vielen Madrider Bars dem Stierkampf auf dem Bildschirm in Direktübertragung folgen. Beispielsweise im zentralen Stadtteil Chueca. In einer typischen Bar in der Calle Pelayo, die vom Plaza Chueca abzweigt, kommentieren ältere Herren erregt den Kampf zwischen Mensch und Tier, der über den Bildschirm flimmert. Ein Stück weiter tratscht die ältere Frau aus dem Fenster lautstark mit dem Türsteher in schwerer Lederbekleidung vor der Schwulenbar. Wer die Calle Libertad hinunterschlendert, hat auf wenigen Metern die Auswahl zwischen neuer spanischer Küche, traditioneller Hausmannskost verschiedener spanischer Regionen und lateinamerikanischer Küche. Auf der Plaza Chueca, gleich am U-Bahn-Ausgang, drängeln sich die Gäste in der klassische Bodega La Antiqua Casa Angel Sierra mit ihren bunten, klassischen Fliesenmustern. Schwule Pärchen stehen neben Arbeitern im Blaumann am Tresen. Carmen warnt vor dem süßen Wermut aus dem Zapfhahn. Auf dem Platz erledigen Hausfrauen ihre Einkäufe und werfen einen scheuen Blick auf die neuste Herrenunterwäsche, die aufreizend im Schaufenster ausgestellt ist. Daneben alteingesessene Läden wie der Gemüsemarkt oder das Eisenwarengeschäft, die schon immer dort waren. Hier findet man den Buchladen für Schwule, die Videothek, das Kraftstudio, den schrägen Sexshop, Szenekneipen, Galerien. Wer den besonderen Kick sucht, der geht in Clubs wie das Into The Tank in der Calle Calatrava, wo für Insider "thematische Sexfeste" geboten werden - die Schwulenszene hat das Viertel fest im Griff.

Hier im Stadtteil Chueca begann in den Achtzigerjahren das, was "die Movida" genannt wird. Kneipen ohne Sperrstunde. Gestalten hocken beim Joint und beim Bier, im Hintergrund der neuste spanische Pop. Nach der repressiven Franco-Zeit träumten alle vom kreativen Projekt und Leben. Der Filmemacher Almodóvar ist einer von denen, die es geschafft haben. "Ende der Achtzigerjahre eroberte das Heroin die Straßen und Plätze von Chueca. Dank der Schwulenszene hatte das Viertel in den Neunzigerjahren sein schickes Coming-out", kommentiert Carmen.

Chulapas in Madrid Bild: R. Wandler

"Madrid hat alles außer Strand", sagt der junge Modemacher David Delfin in Abgrenzung vom ewigen Konkurrenten, dem attraktiven Barcelona. "Ich glaube, dass Madrid in Bezug auf Mode größere Potenziale als Barcelona aufweist." Seit nunmehr sieben Jahren macht der Beuys-Fan sportlich-edle Kleider für androgyne Typen. David Delfins Laden in der Calle Jorge Juan 31 liegt im eleganten Stadtviertel Salamanca. Hier wie im In-Viertel Chueca findet der Flaneur die eigenwilligste Mode, schöne Schuhe, ausgefallene Designerklamotten, und in Dutzenden Läden Kleinigkeiten für den, der schon alles hat.

Madrids Zentrum ist auch die perfekte Adresse für Leute, die die kühlere Nacht zum Tag machen und zwischen Tapa-Bar, Wermut-Tresen und Bodega hin und her ziehen. Wenn in der Morgendämmerung die letzten Versprengten auf ihrer "tour de Copas", ihrer Kneipentour, durch die Straßen laufen, öffnen schon die ersten Cafés im Zentrum von Madrid. Vor allem im Sommer, wenn tagsüber die Sonne unerbittlich in die Häuserschluchten brennt, lebt Madrid nachts. "Madrid me mata", Madrid bringt mich um - so wird das Klima in den Hitzemonaten Juli und August von den Madrilenen drastisch umschrieben. Heute ist "Madrid me mata" werbewirksamer Slogan der Stadt. Den seufzt sicherlich auch der heilige San Isidro mit dem unvergänglichen Körper, wenn er vom tiefkatholischen Himmel aus das Treiben in seiner Stadt beobachtet.

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