König der Anden: Wo der Kondor fliegt

In Südperu locken zwei Cañóns den Wanderer mit spektakulären Schluchten und unberührter Natur. Für die rund 380 Kilometer in die Millionenstadt Arequipa benötigt der Bus allerdings zehn Stunden

Kondor im Colca Canon Bild: pixelio.de

Immer schwerer wird der Tritt, Schweiß tropft ungehemmt von der Stirn, und der Atem geht heftig. Noch haben wir mehr als zwei Stunden steilen Aufstieg vor uns, kein Schatten in Sicht und der Rand des Colca-Cañóns - rund 15 Autostunden südöstlich von Lima - ist nur eine vage Vermutung. Vor zwei Tagen, zu Beginn der Wanderung, sah das alles noch spielerisch leicht aus, morgens um 9 Uhr am Cruz del Cóndor, dem Kondorkreuz. Täglich versammeln sich hier in der Hauptsaison mehrere hundert Touristen, um dem König der Anden aus nächster Nähe beim Flug zuzuschauen. Weit unten an den Steilhängen des Colca-Cañóns liegen die unzugänglichen Nester eines der größten Vogels unserer Erde. Die Flügel des Neuweltgeiers erreichen eine beeindruckende Spannweite von mehr als drei Metern.

Wie praktisch, wenn man über solch gewaltige Schwingen verfügt, um sich von der Thermik aus den Cañóntiefen in bis zu 7.000 Meter Höhe tragen zu lassen. Uns dagegen bleiben nur unsere eigenen Beine, um in den tiefsten Cañón der Welt hinabzusteigen. Peru, das drittgrößte Land Südamerikas, ist eher bekannt durch die Ruinenstadt Machu Picchu und den Titicaca-See als für seine Cañóns. Der Andenstaat der Superlative lockt auch mit herrlichen Pflanzen, Kulturdenkmälern und seltenen Tieren. Doch die weltweit tiefsten Cañóns wie den Colca- und Cotahuasi-Cañón kennt kaum ein Tourist. Dabei üben die tiefen, steilen Schluchten eine ganz besondere Faszination auf ihre Besucher aus.

Ist es oben am Kreuz des Kondors noch kühl und zugig, nimmt die Temperatur mit jeder Serpentine abwärts spürbar zu. Nackter Fels und wenig Schatten, wohin das Auge blickt. Gnadenlos brennt die Sonne von einem fast unwirklich tiefblauen Himmel herab. Umso überraschender präsentiert sich der Cañónboden auf gut 2.200 Meter Höhe, den wir nach drei Stunden steilen Abstiegs erreichen. Auf einer stabilen Hängebrücke überqueren wir den Colca-Fluss und finden uns im Schlaraffenland wieder: sanftes Geplätscher von künstlich angelegten Kanälen, Bäume, Pflanzen, grüne Weiden - so könnte der Garten Eden ausgesehen haben. Avocados, Äpfel, Pfirsiche, Orangen, Zitronen, Kürbisse, Kakteenfrüchte - hier gedeiht einfach alles.

Terrassen im Colca Canon Bild: pixelio.de

Viel Platz für Landwirtschaft bleibt den Bauern allerdings nicht. Auf steilen Terrassenfeldern wird jeder Meter Platz genutzt. Nach einer wohlverdienten Rast in dem Ort San Juan de Chucco laufen wir eine Weile bequem ohne größere Höhenunterschiede den Cañón flussabwärts. In Malata führt uns die Besitzerin wenig später durch ihr kleines, aber feines ethnologisches Museum. Sie verblüfft uns mit ihrem Wissen über Heilkräuter und Traditionen. Am späten Nachmittag erreichen wir unser - am Cañónboden gelegenes - Tagesziel mit dem passenden Namen "Oasis". Drei der fünf kleinen Camps der "Oase" verfügen jeweils über einen künstlich angelegten steinernen Pool, in den klares Bergwasser fließt - herrlich erfrischend, denn hier unten im Cañón kann es bis zu vierzig Grad warm werden.

Abends kühlt es allerdings deutlich ab, so dass wir dankbar für ein Lagerfeuer sind. Die Nacht verbringen die Besucher in einfachsten Schilfhütten, durch deren Ritzen das Mondlicht scheint. Die Erholung ist wichtig, steht doch am nächsten Tag der lange Aufstieg nach Cabanaconde am Cañónrand an. Am besten nimmt man ihn am frühen Morgen in Angriff. Wer nicht so gut zu Fuß ist, kann die Strecke für rund sieben Euro auf einem Esel reiten. Vielleicht sitzt man ja auf einem rechtskräftig verurteilten Vierbeiner. Cabanaconde verfügt - ähnlich wie andere Orte des Cañóns - über ein Tiergefängnis. Frisst ein Esel die Ernte des Nachbarn, wird er eingebuchtet, bis ihn sein Besitzer wieder freikauft. Das Geld erhält der Geschädigte als Ausgleich.

Immer weiter entfernen wir uns von der "Oase", deren Badebecken bald nur noch als kleine blaue Flecken, umgeben von Palmen, zu sehen sind. Steine, Kakteen und tolle Ausblicke sind unsere Begleiter während des langen Aufstiegs. Schließlich ist es geschafft, und ein kräftiges Frühstück in Cabanaconde mit Rührei, Speck und Brot versorgt unsere matten Körper mit frischer Energie. Nach einer kurzen Busfahrt können wir uns in den heißen Quellen von Chivay - dem größten Ort des Cañóns - aalen.

Früh starten wir unsere Fahrt am Morgen Richtung Cotahuasi-Cañón, der mit der bis zu 3.400 Meter tiefen Colca-Schlucht um den Titel "tiefster Cañón der Erde" streitet. Uns erwartet eine Fahrt über eine selten befahrene Strecke, Luftlinie rund 100 Kilometer, aber dafür braucht man hier zwei Tage. Mehr als vier bis fünf Autos begegnen uns nicht auf der traumhaft schönen und einsamen Bergroute, die über das Minencamp Orcopampa und die Vulkane von Andagua durch majestätische Andenlandschaften führt - fast immer in Höhen zwischen 4.000 und 4.800 Metern. Herden von Vikuñas - den wilden Verwandten der in Peru heimischen Lamas - ziehen gemächlich grasend über die kargen Weiden des Hochplateaus.

Auf den ersten Blick wirkt Cotahuasi - der Hauptort des gleichnamigen Cañóns - verträumt, beschaulich, zeitlos. Statt Autos bevölkern Esel die Straße. Nachbarn halten vor den zahlreichen Krämerläden einen Schwatz. Doch die Idylle trügt: Bei näherem Hinschauen fallen immer mehr Wellblechdächer statt der traditionell roten Dachziegel auf. Zwei Internetcafés besitzt der Ort inzwischen, und der gigantische Sendemast für Mobilfunksignale vor den Ortsgrenzen steht kurz vor der Vollendung. So richtig davon beeindrucken lassen sich die Bewohner nicht: Die meisten von ihnen sind Bauern. Und sie ernten das Getreide - Kiwicha und Quinoa - auf ihren Feldern noch immer überwiegend mit der Hand. Doch immer mehr Fremde gelangen nach Cotahuasi.

Touristen haben den rund 3.400 Meter tiefen Cañón entdeckt. Auf zahlreichen Wanderwegen gelangen sie zu gewaltigen Wasserfällen, eindrucksvollen Steinwäldern, präinkaischen Ruinenstätten oder winzigen Andendörfern. Auch Kletterer, Gleitschirmflieger und Mountainbiker kommen hier voll auf ihre Kosten. Sie müssen ihre Ausrüstung allerdings mitbringen.

Noch zeigt sich viel Ursprünglichkeit im Cotahuasi-Cañón. Dass es hier noch keinen Gruppentourismus à la Colca-Cañón gibt, liegt vor allem an der langen, beschwerlichen Anreise. Für die rund 380 Kilometer in die Millionenstadt Arequipa benötigt der Bus rund 10 Stunden und er fährt auch nur nachts.

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