9/11-Doku: Schaurig schöne Theorien

Sechs Jahre nach 9/11 haben Verschwörungstheoretiker ein komplexes Gedankengebäude errichtet. Eine ZDF-Dokumentation reißt es teilweise ein.

New York am 11. 9. 2001 - wie war das damals? Bild: ap/bernadette tuazon

Die Dokumentation über die Anschläge vom 11. September 2001, die das ZDF heute anlässlich des Jahrestags zeigt, ist ein Eingeständnis: Sechs Jahre danach glauben immer mehr Menschen, dass die offizielle Geschichte der vier entführten Flugzeuge nicht stimme, sondern dass die US-Regierung selbst in der einen oder anderen Form hinter 9/11 stecke. Die Autoren Michael Renz und Guy Smith versuchen, auf die gängigsten Behauptungen der 9/11-Skeptiker einzugehen, und stellen diesen ihre eigene Recherche gegenüber.

Vorlagen liefern ihnen der Bundesminister a. D. Andreas von Bülow, der US-Journalist Alex Jones, der eine schaurig-schön verschwörungstheoretische Website betreibt, und Dylan Avery, der Macher von "Loose Change", dem Prototyp aller verschwörungstheoretischen Filme über den 11. September.

Vier Fragenkomplexe haben die Skeptiker mit tausenden Indizien zu einem Gedankengebäude aufgebaut. Erstens: Ins Pentagon kann kein Flugzeug geflogen sein, dazu sei die Unfallstelle zu klein und die Wrackteile fehlten. Zweitens: Die Zwillingstürme in New York können nicht durch die Flugzeugeinschläge zum Einsturz gebracht worden, sondern müssen von innen gesprengt worden sein. Drittens: Auch das Gebäude 7 des World-Trade-Center-Komplexes, das Stunden später zusammenfiel, obwohl kein Flugzeug hineingeflogen war, muss gesprengt worden sein. Viertens: Die angeblich nach einem Kampf mit den Passagieren nahe Shanksville abgestürzte vierte Maschine ist vermutlich abgeschossen worden. Allen vier Komplexen gehen Renz und Smith nach. Dabei stoßen sie auf erstaunliche, zum Teil neue Fakten und auf eine Mauer des Schweigens seitens der US-Behörden.

Spektakulär sind die Aufnahmen der verbliebenen Stahlteile der Türme und die Ergebnisse einer Brandschutzuntersuchung lange vor dem 11. September, bei der herauskam, dass die Stahlgerüste mit zu wenig oder keinem Brandschutz versehen waren. Geld hätten die Betreiber sparen wollen, und daher waren die Stahlgerippe nicht vorschriftsgemäß gegen Hitze geschützt, sodass sie am 11. September nachgaben. Und wo "Loose Change" kleine Explosionswölkchen erkennen will, erklärt hier ein Fachmann, zusammengepresste Gipsstaubwölkchen seien aus den Fenstern getrieben worden. So einfach.

Das WTC 7, so Renz und Smith, war durch den Einsturz der Türme und übergreifendes Feuer, das rund acht Stunden auf bald 30 Stockwerken brannte, so beschädigt worden, dass auch darin die Stahlkonstruktion nachgab. Und wenn die Skeptiker stets behaupten, American Airlines 93 wäre abgeschossen worden, weil kein Flugzeug komplett in einem Krater verschwinden könne und zugleich seine Wrackteile in einer Umgebung von acht Meilen verstreut sein könnten, so zeigen Smith und Renz, dass diese acht Meilen sich auf den Weg mit dem Auto beziehen - aber nur eine Meile Luftlinie ausmachen, was bei Flugzeugabstürzen ein normaler Radius der Verteilung der Überreste sei.

Ihr Fazit: Der 11. September beruhte nicht auf einer Verschwörung der US-Regierung; er offenbarte aber ein ungeheures Ausmaß von Schlamperei, fehlender Kommunikation und Unvermögen. Das zu vertuschen, hätten sich die Regierungsstellen seither bemüht - und so die Verschwörungstheorien befördert.

Werden also mit der 45-Minuten-Dokumentation die jahrelangen Indizienanhäufungen der Skeptiker so ad absurdum geführt, dass ihnen künftig niemand mehr glauben wird? Natürlich nicht. Auch Renz und Smith sind selektiv vorgegangen, haben Fragen offengelassen. Wo sie Augenzeugen für die Boeing im Pentagon präsentieren, bringen die Verschwörungstheoretiker Ohrenzeugen für Explosionen in den Zwillingstürmen. Außerdem hat sich die "9/11-Wahrheitsbewegung" längst verselbstständigt. Die Fragen und Theorien zum 11. September - sie werden auf Jahrzehnte zum Gedenken dazugehören.

"Mythos und Wahrheit. Der 11. September 2001", ZDF, 20.15 Uhr

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