Wüppesahl-Fall vor Euro-Gericht

Der frühere Polizist und Bundestagsabgeordnete Thomas Wüppesahl lässt vor Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte seine Verurteilung wegen Planung eines Überfalls prüfen

Von Kai von Appen
und Marco Carini

An seiner Haftstrafe wird sie nichts mehr ändern – aber die Klage kann zu seiner Rehabilitierung führen: Thomas Wüppesahl, ehemals Polizist in Hamburg und Bundestagsabgeordneter der Grünen, hat über seinen Anwalt Bernd Wagner jetzt eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg eingereicht. Beweisen will der 51-Jährige damit, dass seine Verurteilung zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe, die das Hamburger Landgericht im Juli 2005 wegen Planung eines Verbrechens gegen ihn verhängt hat, unrechtmäßig war.

Im Oktober 2004 war Wüppesahl mit dem Vorwurf verhaftet worden, gemeinsam mit seinem Ex-Kollegen Andreas Schellen einen Überfall auf einen Geldtransporter in Berlin geplant zu haben, bei dem die Erschießung mindestens eines Sicherheitsbeamten mit geplant gewesen sei.

Schellen hatte den Plan frühzeitig der Kripo offenbart und war anschließend als V-Mann eingesetzt worden. Fortan dokumentierten die Ermittler die Zusammenkünfte Schellens mit Wüppesahl detailliert per Video und Abhörwanzen. Schellen selbst instruierten die Leute vom Landeskriminalamt (LKA) vor jedem dieser Treffen.

Bei seiner Verurteilung ging das Landgericht davon aus, dass Wüppesahl tatsächlich vorhatte, den äußerst brutalen Plan umzusetzen. Dagegen erklärte der Beschuldigte, eine Räuberpistole ersponnen zu haben, um Schellen als Polizeispitzel zu entlarven – und zu beweisen, dass die Hamburger Polizei Himmel und Hölle in Bewegung setze, um ihn, Wüppesahl, von der Bildfläche verschwinden zu lassen.

Als Bundesvorsitzender der „Kritischen Polizisten“ war der unbequeme Wüppesahl in den Jahren vor seiner Verhaftung mehrfach vom Dienst suspendiert und mit rekordverdächtigen 36 Straf- und Disziplinarverfahren überzogen worden – allesamt hielten diese einer juristischen Prüfung nicht stand.

Seine Behauptung, durch den vermeintlichen Überfallplan Schellen und das Hamburger LKA zu demontieren, hatte Wüppesahl jedoch nicht gerichtsfest belegen können: Eingeweiht in sein Entlarvungsvorhaben hatte er nämlich niemanden.

Die Beschwerde, die Anwalt Wagner eingereicht hat, fußt auf zwei zentralen Punkten. Zum einen habe Schellen als V-Mann Wüppesahl „in die Straftat geführt“: Im Auftrag der Ermittler habe Schellen sich an der Ausarbeitung des perfiden Plans aktiv beteiligt und sogar die Tatwaffe besorgt, mit der das Verbrechen ausgeführt werden sollte. Klar ist: Bevor Schellen als verlängerter Arm der Fahnder den Kontakt zu Wüppesahl pflegte, lag keine Straftat vor, für die der Beschuldigte hätte angeklagt werden können.

Die europäische Rechtssprechung aber, sagt Wagner, sei „eindeutig“: Provoziert der Staat mit verdeckten Ermittlern eine Straftat oder gestaltet sie zumindest aktiv mit, darf der so Verführte nicht juristisch belangt werden. Genau dies aber sei im Wüppesahl-Prozess zweifelsfrei passiert.

Zudem seien Wüppesahls „Verteidigungsrechte“ beschnitten worden: Ihm und seinen Anwälten habe man vor dem Landgericht verwehrt, Schellen als einzigen Belastungszeugen in die Mangel zu nehmen. Schellens Aussage, Wüppesahl habe es mit dem geplanten Raub „von Anfang an ernst gemeint“, konnte die Verteidigung nicht erschüttern: Viele Fragen ließ das Gericht schlicht nicht zu.

So musste Schellen auch niemanden benennen, mit dem er während seines Einsatzes als V-Mann über den Fall gesprochen hatte und dessen Befragung vor Gericht möglicherweise ein anderes Licht auf den Fall hätte werfen können. Genau dieses „Konfrontationsrecht“ sei aber in einem solchen Verfahren „ein elementares Recht des Angeklagten“, sagt Rechtsanwalt Wagner.

Ob die Beschwerde, die am 27. Dezember eingereicht wurde, vom EGMH zugelassen wird, entscheidet sich wohl nicht vor dem Frühjahr. Da sich das Verfahren über mehrere Jahre hinziehen dürfte, wird sein Ausgang auch nichts mehr daran ändern, dass Wüppesahl die verhängte Strafe verbüßen muss. Indirekte Auswirkungen könnte es aber auf die Dauer der Haftzeit haben: „Die Entlassung nach zwei Dritteln seiner Strafzeit wird in der Regel nur einem Gefangenen gewährt, der sich mit den Folgen seiner Tat auseinander setzt und Reue zeigt“, sagt Wüppesahls Anwalt Ernst Medecke. Ein solches Schuldeingeständnis könne aber von keinem Verurteilten verlangt werden, dessen Verfahren noch auf irgend einer juristischen Ebene anhängig ist.

Medecke will nun in den kommenden Wochen für seinen Mandanten, der die Hälfte seiner Haftstrafe bereits abgesessen hat, den Antrag stellen, ihn nach der Verbüßung der Zweidrittelstrafe freizulassen.

Folgt das Straßburger Gericht gar Wüppesahls Beschwerde, müsste auch nach verbüßter Haft „der Fall vor Gericht neu aufgerollt werden“, prognostiziert Wagner. Dann gehe es „nur noch um die Bestätigung des Urteils oder Freispruch“. Im Falle eines Freispruchs wäre Wüppesahl nicht nur voll rehabilitiert, er könnte auch alle erworbenen Pensionsansprüche voll geltend zu machen – und hätte sogar das Recht, in den Polizeidienst zurückzukehren.

Dagegen jedoch, mutmaßt Rechtsanwalt Medecke, „wird die Polizei mit allen Mitteln Sturm laufen“.