Die Mütter mit dem Mercedes

„Sie haben Schlangen, die ihre Geldkoffer bewachen“, tuschelt die Seifenhändlerin voller Respekt

aus Lomé BÄRBEL EPP

Rose Creppy macht Gästen ihre gesellschaftliche Stellung klar, bevor sie sie treffen. „Mein Chauffeur wird Sie auf dem Markt abholen“, hat sie mitgeteilt, und jetzt schiebt sich im Schritttempo ein silbern glänzender Mercedes durch das Gedränge auf dem Markt von Lomé, der Hauptstadt Togos. Ohne Protest räumt die Händlerin ihre Schuhe zur Seite, schiebt der Eisverkäufer sein Fahrrad aus dem Weg, hebt die Marktfrau den abgestellten Korb mit Karotten auf ihren Kopf.

Die Menschen in dem westafrikanischen Land haben Respekt vor Frauen wie Rose Creppy. Sie gehört zu den Stoffgroßhändlerinnen „Nana Benz“ – „Mütter“ („Nana“), die ihren Reichtum unter anderem in Autos von Mercedes-Benz anlegen. Ihr Geld machen sie mit dem Weiterverkauf der farbenprächtigen Stoffe der Firma Vlisco aus Holland, die viele Frauen Westafrikas lieben. Zwischenhändlerinnen reisen aus dem Kongo, Niger, Burkina Faso und der Elfenbeinküste nach Lomé, um sich bei den togoischen Grossistinnen mit Vlisco-Ware einzudecken, die bis zu zehnmal mehr kostet als die Konkurrenzprodukte aus Asien und Nigeria.

Der Mercedes gleitet über den Markt, vorbei an den zahllosen kleinen Händlerinnen, deren geringer Verdienst nach einem langen, ermüdenden Markttag zwar für das Abendessen der Familie, aber nicht für die Taxikosten von umgerechnet 50 Euro-Cent reicht, so dass sie zu Fuß nach Hause gehen.

Der Kontrast zwischen dem Lebensstil der einfachen Leute und den Stoffgroßhändlerinnen ist ein guter Nährboden für Mythenbildung. „Die Nana Benz können Geldbündel zählen, ohne sie in die Hand zu nehmen“, hat ein Taxifahrer mit ernstem Gesicht berichtet. Eine Gruppe Jungen spreizen die Arme ganz weit auseinander und lachen sich kaputt: „Sie sind so fett und schwer, dass sie von vier starken Männern die Treppen hochgezerrt werden müssen.“ Eine Seifenhändlerin tuschelt hinter vorgehaltener Hand: „Sie haben Schlangen, die ihre Geldkoffer bewachen.“

Der Wagen hält vor einem zweistöckigen Wohnhaus direkt hinter dem Marktviertel. Rose Creppy, gerade von einem Familienbesuch in Frankreich zurückgekehrt, hält Hof. Ihr Thron ist ein schlichtes Bett, das im geräumigen, gekachelten Flur des Erdgeschosses aufgestellt ist. Kunden und Besucher nehmen auf Sesseln gegenüber dem Bett Platz. Die Chefin sitzt auf der Bettkante, die wulstigen Beine auf einen Schemel gelegt. Sie trägt ein geblümtes Kleid, das ihr über die linke Schulter fällt, und keinen Schmuck. Ihre Augen sind müde, ihr Mund wirkt verkniffen. Ihr Körpervolumen lässt die 76-Jährige schwerfällig erscheinen, doch ihre Finger sind erstaunlich flink, wenn sie die Geldstapel durchwandern oder auf dem Taschenrechner einen Preis ausrechnen.

Rose Creppy gehört zu den Großen der Branche. Gerade hat ihr eine Klientin aus Benin mehrere Geldbündel überreicht, insgesamt gut zwölf Millionen Francs CFA, umgerechnet etwa 18.000 Euro für 500 Stoffbahnen von Vlisco. Bezahlt wird grundsätzlich in bar. Das Risiko tragen die mobilen Händlerinnen, die ihre Barschaft über mehrere Tagesreisen und einige Ländergrenzen hinweg in ihren Handtaschen transportieren.

„Mit dem Stoffgeschäft habe ich bereits mit 19 Jahren angefangen“, erzählt Creppy, während sie weiter die rund 1.200 Geldscheine zählt. „Meine acht Kinder haben alle im Ausland studiert.“ Sie selbst wurde mit zwölf Vollwaise und hat nur vier Jahre lang die Schule besucht. Seit Jahrzehnten verkauft sie zu Hause. In den Räumen im Erdgeschoss stapeln sich die Tuchbahnen bis zur Decke. Creppy schätzt das Lager auf 100 Ballen im Wert von 300.000 Euro, und das in einem Land, in dem man sich für 25 Euro-Cent satt essen kann. Über ihren Umsatz spricht sie nicht. Er muss bei einigen Millionen Euro liegen.

Rose Creppy ist seit 1992 Präsidentin des Interessenverbandes der Vlisco-Händlerinnen. „Wir sind bis zum Präsidenten gegangen, um 1995 gegen die neu eingeführte dreiprozentige Gewinnsteuer BIC zu protestieren“, berichtet sie. Ihr Hauptargument: Durch weitere Abgaben auf Stoffe in Togo stiege der Preis, so dass es sich für die Kundinnen aus der Elfenbeinküste nicht mehr lohne, nach Lomé zu kommen. Am Ende lenkte der Finanzminister des 5-Millionen-Einwohner-Landes ein, denn die Einfuhrsteuern, die Vlisco jährlich bezahlt, machen rund 3,5 Prozent des Gesamthaushaltes Togos aus. Seitdem liegt die umstrittene Steuer für Stoffe bei einem Prozent.

Auf dem Markt, 15 Gehminuten von Rose Creppys Haus entfernt, hat Evelyne Trenou ihre Boutique. Die 49-jährige studierte Ökonomin ist eine „Nana Benz“ der zweiten Generation. Entspannt und stets lächelnd sitzt sie hinter ihrem Tresen. Sie ist immer für ein kleines Wortgeplänkel offen, egal ob auf Französisch, Englisch oder Ewe – ihrer Muttersprache.

Im Laden ist gerade eine Gruppe Händlerinnen aus Benin, die es sich auf den Tuchstapeln bequem gemacht haben, ihr Geld zählen und sich einen Imbiss genehmigen. Ein guter Preis in Afrika braucht seine Zeit, und Gelassenheit ist wichtig bei den Verhandlungen. In der Zwischenzeit erzählt Evelyne Trenou über ihre verstorbene Mutter: „Sie war ihrer Zeit voraus, sehr agil, ist viel gereist und hatte die Seele einer Händlerin.“ Die Mutter fing klein an, nur mit ein bisschen Startkapital ihrer Eltern, die ebenfalls Händler waren. Als Evelyne neun war, starb der Vater.

Da ihre Mutter, eine gebürtige Yoruba aus Nigeria, damals schon Erfolg als Händlerin hatte, durften die vier Kinder bei ihr bleiben, obwohl sie der Tradition folgend im väterlichen Clan auf andere Familien verteilt worden wären. Heute – alle haben im Ausland studiert – haben sie sich als Architekt, Anwalt oder wie Evelyne als Großhändlerin in Lomé niedergelassen.

„Die Frauen, die in Afrika erfolgreich sind, haben meist keine Männer, sind also geschieden oder der Mann ist gestorben“, sagt Trenou. „Verheiratete Frauen müssen immer erst ihren Mann versorgen – auch mit Geld – bevor sie frei sind, ihr Geschäft aufzubauen. In der Regel müssen sie ihren Mann fragen, bevor sie reisen können.“ Für sie gilt das nicht. In der zweiten Generation nach der Unabhängigkeit läuft vieles anders in der Oberschicht der Hauptstadt Lomé. Sie lebt monogam – ihr Vater hatte zwei Frauen – und teilt sich mit ihrem Mann die Kosten für Haushalt und die Ausbildung der Kinder.

Die Stoffgroßhändlerinnen profitieren von der unterschiedlichen Handelspolitik der westafrikanischen Länder. In Togo lagen die Zölle auf Stoffimporte nach der Unabhängigkeit 1960 bei minimalen 5 Prozent – inzwischen sind sie mit rund 40 Prozent immer noch niedriger als in den Nachbarländern. In Nigeria ist die Einfuhr von Vlisco-Stoffen sogar verboten, um die heimischen Produzenten zu schützen. Der Schwarzmarkt blüht. Die nigerianischen Händlerinnen sind bereit, in Lomé einen guten Preis für die Holland-Ware zu bezahlen, und schmuggeln sie dann mit den öffentlichen Bussen nach Nigeria.

Dennoch ist auch für die „Nana Benz“ das Geschäft schwieriger geworden. Vorkaufsrechte oder Exklusivität für bestimmte Designs, die Vlisco früher einräumte, sind inzwischen abgeschafft oder stark eingeschränkt. Außerdem trieb der Generalstreik von November 1992 bis August 1993 für die Durchsetzung einer Nationalkonferenz und einer Übergangsregierung viele Großhändlerinnen in den Ruin. Zehn Monate blieben Markt und Geschäfte in Togo geschlossen, nur einige Mutige, wie Rose Creppy, verkauften weiter von zu Hause aus. Viele Vlisco-Grossistinnen setzten sich ins Ausland ab. Zehn Monate ohne Umsatz brauchten ihr Kapital auf, und danach war an Handel mit der teuren Holland-Ware erst einmal nicht mehr zu denken. Zumal das nächste wirtschaftliche Erdbeben folgte. Im Frühjahr 1994 wurde die westafrikanische Gemeinschaftswährung Francs CFA abgewertet. Über Nacht waren alle Importe doppelt so teuer, ohne dass die Gehälter angepasst wurden.

Die Gewinnspannen sind kleiner geworden, die Preisverhandlungen härter. Das bekommt auch Evelyne Trenou an diesem Vormittag zu spüren. Seit drei Stunden sind die Benin-Händlerinnen nun schon in ihrer Boutique. Dann und wann mal erhebt sich eine aus der Gruppe und spricht die Ladenchefin auf den geforderten Preis an – mit dem vertrauten „Du“, denn man kennt sich – sie kommen zum Teil seit zwanzig Jahren nach Lomé. Woche für Woche gehen sie auf Einkaufstour, immer wenn ein neuer Container aus Holland angekommen ist. 50.000 Francs CFA, rund 76 Euro, möchte die „Nana Benz“ für die elf Meter langen Stoffbahnen mit den neuen Dessins, die sie exklusiv hat. Ausgezeichnet sind sie mit 53.000 Francs CFA, die Frauen aus Benin bieten aber nur 48.000. Trenou bleibt hart, sie muss an ihre Kosten denken. Die Kundinnen verlassen die Boutique mit ihren mit Geld gefüllten Handtaschen unter dem Arm. Die Scheine werden sie später einer der anderen „Nana Benz“ übergeben.