Heißer Sommer in Sarajevo

Ein Brauereibesitzer und ein Tageszeitungschef bezichtigen sich gegenseitig des Verbrechens. Es geht um publizistische Macht, denn der größten Zeitung Sarajevos gehört auch die einzige Druckerei

aus Sarajevo ERICH RATHFELDER

Der „Sarajevoer Sommer“ zieht jeden Abend zehntausende von Menschen in das Zentrum der Stadt. Lokale Schlagerstars mühen sich vor den Cafés voller diskutierender, disputierender oder einfach nur die Szenerie betrachtender Menschen um Gehör. An vielen Ecken und Hinterhöfen wird gejazzt und gerockt. Man amüsiert sich.

Daran hat auch der Anschlag vom 4. August nichts geändert. Damals trauten die Menschen allerdings ihren Ohren nicht. Denn plötzlich unterbrach eine Detonation das friedliche Treiben. Eine Anti-Panzer-Rakete war in das Haus des stadtbekannten Direktors der Brauerei „Sarajevska Pivara“, Hilmo Selimović, eingeschlagen. Trotz der Wucht der Detonation kam die Familie glücklicherweise unbeschadet davon.

Es war ein Akt des Terrorismus. Doch alle jene, die sogleich vermutet hatten, die Granate hätte einen ethnisch-politischen Hintergrund, die also glaubten, die „Serben“ hätten die Granate abgeschossen, mussten zunächst mal in eine andere Richtung denken. Denn Selimović beschuldigte sogleich Fahrudin Radončić, den Besitzer von Dnevni avaz („Tägliche Stimme“). Der Besitzer der größten Zeitung der Stadt sollte hinter dem Anschlag stecken? Der Medienzar als Terrorist?

Der dynamische Mittvierziger wird respektiert. Denn fast aus dem Nichts hat Radončić seit 1995, also gleich nach dem Krieg, ein für Bosnien beeindruckendes Imperium aufgebaut. Die Tageszeitung Dnevni avaz hat mit der Auflage von rund 100.000 Exemplaren die ehemals führende Tageszeitung Oslobodjenje weit hinter sich gelassen.

Dnevni avaz ist auf den ersten Blick weit professioneller gemacht als ihre Konkurrentin, hat bessere Serviceteile, man kann sich also sogar darauf verlassen, dass die zu dem angegebenen Zeitpunkt angekündigte Kinovorstellung tatsächlich stattfindet. Dnevni avaz bekommt den Löwenanteil der Anzeigen aus der Stadt. Und Radončić war deshalb finanziell in der Lage, eine während des Krieges zum Symbol des Wiederstandswillens der Stadt aufgestiegene Ruine zu kaufen und zu sanieren. Er kaufte sie von der kränkelnden Oslobodjenje, und in ihrem Keller befindet sich eine Druckerei.

Radončić wagte es sogar, sich gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung zu stellen. Während diese die Ruine wie die „Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“ in Berlin als Mahnmal gegen den Krieg erhalten wollte, ist er dabei, das Gebäude wieder aufzubauen.

Mit der Druckerei kontrolliert er indirekt auch die anderen Medien. Selbst Oslobodjenje muss bei ihm drucken lassen, die kritischen Wochenzeitungen Dani und Slobodna Bosna ebenso. Radončić verfügt also über eine Monopolstellung.

Dass der Direktor der Brauerei, Hilmo Selimović, der ebenfalls ein dynamischer Nachkriegsaufsteiger ist, sich nach dem Anschlag mit diesem Mann anlegte, zeugte von großer Wut. Der Konflikt zwischen den beiden Männern schwelt nämlich seit langem. Vor Monaten entzog Selimović Dnevni avaz die Anzeigen der Brauerei. Das brachte Radončić so in Rage, dass er eine Pressekampagne gegen Selimović in Gang setzte. Dieser habe die Brauerei unredlich übernommen.

Der bisher ungeklärte Tod des Teilhabers Selimović’ wurde von der Zeitung als „Mord“ interpretiert. Der Leser konnte ahnen, wer nach Meinung der Zeitung dahinter steckte. Selimović ließ sich aber nicht beirren. Er ging noch einen Schritt weiter. Er kaufte sich den Titel der bankrotten Zeitung San („Traum“), die er zu einer Konkurrentin von Dnevni avaz aufbauen will. Nicht genug damit, er soll gerade dabei sein, eine Zeitungsdruckerei zu installieren. Die Maschinen seien schon im Lande, behaupten lokale Journalisten.

Der Verleger Radončić hat also allen Grund, Selimović als Konkurrenten ernst zu nehmen. Ob er aber wirklich hinter den Terroranschlägen steckt, ist bisher nicht erwiesen. Das soll ein Gericht jetzt klären. Mit seiner Pressekampagne jedoch hat er eine Atmosphäre geschaffen, die nationalistisch eingestellte Bosniaken und die muslimischen Veteranen des Krieges gegen den Chef der Brauerei aufbringt und zu Aktionen animiert. In der Tat kam es noch zu weiteren Anschlägen wie jenem auf einen Lastwagen von Selimović’ Brauerei.

Der Erfolg von Dnevni avaz beruht gerade darauf, dass die Zeitung mit nationalen Gefühlen spielt. Und der Vorwurf des Medienzars, der Brauer wolle die bei den Wahlen 2002 geschlagenen antinationalistischen Kräfte, wie die Sozialdemokraten, unterstützen, scheint nicht ganz aus der Luft gegriffen. Viele demokratische und multikulturell eingestellte Intellektuelle, die im Getümmel des Sarajevoer Sommers weiterhin unbeirrt an ihrem Espresso nippen, sehen in dem Brauer eine positive Figur, die angetreten ist, die von „Schmutzkampagnen gegen unliebsame Personen nur so starrende Dnevni avaz“ zu entzaubern.