Der Jude, das Grillhähnchen

Im März 2004 startet in Deutschland eine Kampagne der Tierrechtler von Peta. Auf Plakaten wird Tierquälerei mit dem Holocaust verglichen

aus Berlin DANIEL SCHULZ

Kinder hinter Stacheldraht. Daneben Ferkel hinter Gittern. Das eine war ein Konzentrationslager der Nazis. Das andere ist ein Schlachthof. Für die Tierrechtler von Peta ist es dasselbe.

„Holocaust auf deinem Teller“ heißt die Kampagne, mit der die Organisation People for the Ethical Treatment of Animals ab März 2004 in Deutschland für Tierrechte wirbt. Große Plakate zeigen Bilder aus Konzentrationslagern neben Bildern toter und gequälter Tieren. Dazu Sätze wie: „Unsere Enkel werden uns eines Tages fragen: Was habt ihr gegen den Holocaust der Tiere getan? Wir können uns nicht zum zweiten Mal damit entschuldigen, wir hätten nichts gewusst.“

„Absolut ungeheuerlich“ findet Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrates der Juden, die Kampagne. Das Anliegen der Tierrechtler sei ein gutes, aber die Plakate eine „Beleidigung aller Opfer des Holocaust“. Der Zentralrat prüft juristische Schritte. Viele Tierschutzverbände dagegen halten sich mit Kritik zurück. Der Vegetarierbund ringt sich ein „nicht angemessen“ ab.

Harald Ullmann, Vizechef von Peta Deutschland, wird die Schockwerbung in Deutschland starten lassen. „Warum sollten wir sie stoppen? Wir minimieren den Holocaust ja nicht.“ Deutschlands Geschichte, die Diskussion um das Holocaust-Mahnmal, Möllemann und Hohmann – alles keine Gründe für nochmaliges Nachdenken. „Die Kampagne wurde für ganz Europa konzipiert“, sagt Ullmann. Deshalb starte sie eben auch in Deutschland. Die Erfinder in Amerika seien sich der Sensibilität des Themas bewusst. Deshalb hat Peta den Zentralrat der Juden in einem Brief um Unterstützung gebeten: „Ein paar Zeilen des Wohlwollens wären schön.“

Peta hat bereits des Öfteren für Irritationen gesorgt. Als palästinensiche Terroristen einen Esel mit Sprengstoff beluden, der dann vorzeitig explodierte, schrieb Peta einen Brief an Palästinenserpräsident Jassir Arafat: Man solle doch bitte Tiere aus dem Konflikt heraushalten. Die Gemeiden „Fischen“ im Allgäu sollte sich umbenennen – ihr Name verherrliche Massenmord. Für die weltweit 750.000 Mitglieder von Peta gibt es keine Unterschiede zwischen Mensch und Tier. Wer ein Steak isst oder Lederschuhe trägt, ist ein Mörder. „Tiere empfinden Schmerzen wie Menschen, es gibt keine Unterschiede“, sagt Harald Ullmann. Wer solche Unterschiede macht, ist des „Speziesismus“ schuldig – Rassismus gegenüber Tieren. Ullmann weiß die 20.000 deutschen Peta-Mitglieder hinter sich: „Die Reaktionen auf die Kampagne waren durchweg positiv.“ Promimente wie Britney Spears oder Reinhard Mey unterstützen Peta ebenfalls. Rapper Thomas D. sagte dem ZDF, der Holocaust-Vergleich sei nicht radikal genug.

Seit einem Jahr läuft die Peta-Kampagne bereits in Nordamerika. Jüdische Verbände und Bürgerrechtsgruppen protestierten. Manuel Prutschi, Sprecher des Canadian Jewish Congress, sagte im Februar der National Post: „Eines der größten Verbrechen der Menschheit mit der Misshandlung von Tieren gleichzusetzen ist obszön.“ Holocaust-Opfer waren entsetzt. Sel Hubert sah mit 13 Jahren die Erschießung seiner Eltern in Litauen. Er sagte dem New Yorker Internetmagazin The Journal News: „Die Kampagne ist widerwärtig.“ Der Nachrichtensender CNN bekam etwa 1.000 Mails von zumeist aufgebrachten Zuschauern. Ein Mann schrieb: „Unter den Bergen von Holocaust-Toten sind meine Onkel und Kusinen. Wenn ich sehe, dass sie mit Essen verglichen werden, geht es weit über das hinaus, was ich mit höflichen Worten beschreiben kann.“

In einem Interview mit CNN gab Lisa Lange, Vizechefin der Kommunikationsabteilung von Peta, zu: „Ja der Vergleich ist schockierend. Aber es soll auch hart sein.“ Peta wolle die Mentalität der Menschen angreifen. „Die Leute wissen, das 12 Millionen Menschen durch den Holocaust umgekommen sind, aber allein heute sterben in den USA 28 Millionen Tiere.“

Peta meint, dass das fabrikmäßige Quälen und Töten von Tieren den gleichen Mechanismen entspreche wie der Holocaust. Beides sei planmäßige Vernichtung von Leben. Hühner, Kühe, Schweine litten in engen Käfigen und Viehtransporten unter Angst und Hunger. Er wolle Juden nicht zu Menschen zweiter Klasse degradieren, sagt der Erfinder der Kampagne Matt Presscott, Peta-Werbefachmann und selbst Jude. Menschen versuchten Tiere abzuwerten und dadurch den Massenmord zu rechtfertigen. „Genau das ist mit Juden passiert. Wir müssen doch Lehren aus dem Holocaust gezogen haben; so etwas darf nicht noch einmal passieren.“

Um diese Logik zu stützen, werden berühmte Juden zitiert. Meist verstorbene, die zur Verwendung ihrer Worte nichts mehr sagen können. So wirbt Peta mit einem Zitat aus einem Roman des jüdischen Nobelpreisträgers Isaac Bashevis Singer, mit dem Tierrechtler schon seit Jahren hausieren: „Für die Tiere sind wir alle Nazis. Für sie ist jeden Tag Treblinka.“ Auf den Peta-Webseiten kommt auch Theodor Adorno zu Wort: „Auschwitz beginnt dort, wo Menschen auf ein Schlachthaus schauen und denken: Das sind doch bloß Tiere.“ Diejenigen, die solch einen Umgang mit Zitaten kritisieren, soll die moralische Autorität der Verwandten beruhigen. So gibt Singers Enkel Stephen Dujack Peta Rückendeckung. Der Herausgeber einer Umweltzeitung schreibt: „Mein Großvater hätte Sie von ganzem Herzen unterstützt.“

Den Holocaust-Vergleich in Deutschland zu verbieten wird kaum möglich sein. „Für Non-Profit-Werbung gibt es keine Kontrollinstanz“, sagt Volker Nickel vom Deutschen Werberat. „Wir kontrollieren die Wirtschaft, aber gemeinnützige Organisationen können im Prinzip machen, was sie wollen.“ Auch die eigenen Anhänger können Peta nicht stoppen. Zev Lenchus, ein vegetarischer Jude aus Florida, schrieb an Peta: „Das Leiden der Tiere zu beenden ist eine gute Sache. Aber es ist absolut falsch, den Holocaust mit Tierquälerei zu vergleichen.“ Auch viele andere Vegetarier protestierten in Briefen. Die Antwort: „Es mag Ihnen helfen, wenn Sie wissen, dass die Kampagne von einem jüdischen Menschenfreund ins Leben gerufen wurde.“ Wer noch mehr Fragen habe, solle einfach schreiben.