Türen in die Stadtgeschichte

Was vom Abriss übrigblieb: Hinter dem Ladenschild „Alte Bauelemente“ in der Lehrter Straße versteckt sich nicht nur die wohl größte Sammlung von Altbautüren in Berlin, sondern auch ein Stück Berliner Baugeschichte seit den Villen der Gründerzeit

VON JESSICA ZELLER

Wolfram Liebchen empfängt seine Kunden standesgemäß im „Herrenzimmer“. So nennt der „Liebhaber alter Gegenstände“ die Blockhütte, die er aus alten Dielen und Dachbalken Mitte der Achtzigerjahre selbst zusammengezimmert hat. Der 50-Jährige mit den schulterlangen blonden Haaren passt ganz gut in das Ambiente seines Ladens: Der Ort und sein Erbauer strahlen beide etwas Verschrobenes aus, was einem sofort sympathisch ist.

„Alte Bauelemente“, heißt es fast ein bisschen bescheiden an der Eingangstür. Was einen hinter dem verwitterten und mit Pflanzen umwachsenen Eisentor an der Lehrter Straße erwartet, sprengt selbst für flohmarkterfahrene und sammelbegeisterte Besucher die Vorstellungskraft. In zwei mehrstöckigen Lagerräumen sind über 1.000 Altbautüren mit verschiedensten Fensterchen, Griffen und Dekorationen versammelt, dazu filigran bemalte Kacheln aus dem 19. Jahrhundert und herrschaftliche Säulen, die eigentlich besser an den Eingang irgendeines Schinkel-Gebäudes passen würden. Außerdem gibt es Dielen in jeder erdenklichen Form und Farbe und 50 antike Kachelöfen in rund, eckig, klein und charmant oder je nach Geschmack auch zimmerausfüllend.

Die Begriffe Schatztruhe und Rumpelkammer treffen für den Ort gleichermaßen zu. Hier wird nichts weggeworfen, sondern im Notfall lieber in Kisten verpackt aufeinandergestapelt. „Bei manchen Gegenständen muss man wirklich Geduld haben“, sagt Liebchen und scheint das als Schicksal seines Ladens hinzunehmen. Denn in der Auswahl liegt sein Kapital. Wer auf der Suche nach einer extravaganten Badezimmerfliese, einem wasserspuckenden Steinfrosch für den Brunnen auf dem Balkon oder einem schmiedeeisernen Tor für die geerbte Villa ist: Hier wird er fündig. Hinzu kommt, dass Altbautüren alle unterschiedliche Maße haben. Ob 95, 92 oder 87 cm Breite und dann welche Höhe oder Tiefe, dazu ist schon ein enormer Lagerraum nötig.

In einer Ecke des Ladens steht ein urgemütlicher Kamin, an den rustikalen Wänden hängen selbstgemalte Bilder von Liebchens Kindern. Er selbst sitzt mittendrin, raucht eine Kippe nach der anderen und erzählt. Indem er über seinen Laden redet, vermittelt er ein lebhaftes Bild von der Berliner Kulturgeschichte. Über zwanzig Jahre ist es her, seit er gemeinsam mit seinen Freunden Hardy und Martin das 900 Quadratmeter große Gelände in der Lehrter Straße 25/26 in Moabit pachtete. „Wir waren auf der Suche, und die Besitzer, damals die Verwaltung der ehemaligen Reichsbahn, wollten alles, nur keine Kfz-Werkstätten. Da kamen wir ihnen mit unseren alten Türen und Öfen gerade recht“, erzählt er. Seit 1989 betreibt er das Geschäft in der Nähe vom heutigen Hauptbahnhof allein.

An diesem Mittwochvormittag kommt trotz strömendem Regen regelmäßig Kundschaft. Der italienische Lebensmittelbesitzer Giovanni Fantone aus Charlottenburg sucht nach dem passenden Dekor für die Theke seines Cafés, das er demnächst eröffnen will. Alexandra und ihre Freundin, zwei Frauen um die dreißig, lassen sich von Liebchen und seiner Mitarbeiterin Anamarie Michnevich darin beraten, wie sie ihre Wohnung in Prenzlauer Berg schön und trotzdem günstig mit ein bisschen Gründerzeitcharme aufpeppen können.

Die Preise variieren stark. Ein paar Deko-Kacheln um 1890 mit Blumenmuster bekommt man schon für weniger als hundert Euro, für die Flügeltür mit fachgerechtem Einbau muss man schon 1.500 Euro lockermachen. „Das ist zwar immer noch billiger als die Handarbeit vom Schreiner, aber klar, wir merken auch, dass das Portemonnaie bei den Leuten nicht mehr so locker sitzt“, erzählt Liebchen, dessen Herz ziemlich weit links schlägt. Vor allem in den Siebziger- und Achtzigerjahren sah der Markt noch etwas anders aus. Mit der Ölkrise und der Öko-Bewegung stieg vor allem in Westdeutschland der Bedarf nach Kachelöfen und Einrichtung aus zweiter Hand. In dieser Zeit fielen in Westberlin rund 1.000 teilweise noch gut erhaltene Altbauten jährlich der Abrisspolitik des damaligen Senats zum Opfer. Liebchen und seine Crew, damals noch Studenten und handwerkliche Autodidakten, erkannten den Verlust und später auch das Geschäft und „retteten“ in vielen Fällen die Bauelemente vor der Müllabfuhr.

Heute wird zwar weniger zerstört, aber auch weniger gefunden. Mit seinem Kombi mit Anhänger aus DDR-Zeiten ist der emsige Sammler und Händler zwar noch fast täglich unterwegs, wenn ihn bekannte Architekten und Bauleiter über einen Abriss informieren, doch die wertvollen Messingklinken wurden dann meist schon unter der Hand verscherbelt. Und einfach so etwas mitgehen lassen, das widerspricht Liebchens Berufsethik. Denn obwohl er nur knapp über die Runden kommt, ist seine Liebe zu den Dingen stärker als die zum Geld.

Kurz nach der Wende habe er mal den Tipp bekommen, auf welcher Halde die übrig gebliebenen Teile des abgerissenen Stadtschlosses liegen: „Ich bin hingefahren, aber mit leeren Händen zurückgefahren. Denn die Engelchen dort, die gehören nun wirklich ins Museum.“

„Antike Bauelemente“, Wolfram Liebchen, Lehrter Straße 25/26, 10557 Berlin, geöffnet Mi. und Sa. 10–14 Uhr und nach tel. Vereinbarung: (0 30) 3 94 59 85