Schäubles Liebling

Otto Depenheuer sucht den Weg zum Ausnahmezustand. Sein neues Buch ist einer der gefährlichsten Beiträge zur Antiterrordebatte

„Lesen Sie einmal das Buch ‚Selbstbehauptung des Rechtsstaats‘ von Otto Depenheuer und verschaffen Sie sich einen aktuellen Stand zur Diskussion“, so empfahl Innenminister Wolfgang Schäuble jüngst im Zeit-Interview eines der einseitigsten und gefährlichsten Bücher zur Antiterrorpolitik.

Der Kölner Rechtsprofessor Depenheuer stellt in dem schmalen Bändchen auch gar keinen Diskussionsstand dar, sondern seine persönliche, extreme Meinung. Man kann nur hoffen, dass es nicht auch die Meinung des Innenministers ist. Denn: Wenn sie es wäre, müsste er umgehend zurücktreten.

Depenheuer hält nämlich das Grundgesetz im „langen Krieg“ gegen den islamistischen Terror für ein „Sicherheitsrisiko“. Deshalb prüft er Wege zu dessen Überwindung. Wie den NS-Staatstheoretiker Carl Schmitt interessiert ihn vor allem der Ausnahmezustand. Für Depenheuer kommt zwar die terroristische Bedrohung dem Verteidigungsfall nahe, doch müsse die Rechtsordnung jetzt nicht generell, sondern nur „im Einzelfall“ umgestellt werden.

Islamistische Terroristen beschreibt er als „Feinde“, die nicht Bürger sein können, weil sie den säkularen Rechtsstaat generell ablehnen. „Verfassungstheoretisch“ könne man solche Menschen durchaus rechtlos nach Guantánamo stecken, bis die Gefahr vorbei ist, meint Depenheuer. Zu seinem offensichtlichen Bedauern steht die Verfassungsordnung Deutschlands dem aber entgegen. Sie sieht auch den Terroristen als Menschen mit Würde und Grundrechten und garantiert rechtsstaatliche Strafverfahren. Depenheuer hält so etwas für „wenig angemessen“, lässt aber offen, wie weit er in die andere Richtung gehen würde.

Depenheuers Grundfehler ist die Annahme, dass der freiheitliche Verfassungsstaat durch den islamistischen Terror „erstmals“ existenziell in Frage gestellt werde. Die RAF, die braunen Kameradschaften oder mafiöse Parallelgesellschaften unterschlägt er einfach. Dabei hat der Staat hier mit zwar umstrittenen, aber im Ergebnis noch rechtsstaatlichen Mitteln gezeigt, dass eine erfolgreiche Auseinandersetzung auch ohne Feindrecht à la Guantánamo möglich ist.

Dem Bundesverfassungsgericht wirft Depenheuer im zweiten Schwerpunkt des Buches eine „Perversion des Rechtsdenkens“ vor, weil es 2006 eine Regelung zum Abschuss von entführten Passagiermaschinen für verfassungswidrig erklärt hat. Der Staat dürfe nicht im Namen der Menschenwürde – in diesem Fall der unschuldigen Flugzeugpassagiere – auf seine „Selbstbehauptung“ verzichten, so Depenheuer. Wenn der Staat stattdessen von den Passagieren ein „Bürgeropfer“, das heißt ihr Leben, verlange, sei das gerechtfertigt.

Die Kritik am Karlsruher Luftsicherheitsurteil ist überdimensioniert und überzogen. An der ziemlich hypothetischen Frage, ob Flugzeuge im Extremfall legal abgeschossen werden können, wird sich Deutschlands Sicherheit wohl kaum entscheiden.

Das Bundesverfassungsgericht ist auch gar nicht davon ausgegangen, dass der Staat „tatenlos“ zusieht, wenn ein Jet als Waffe missbraucht wird, wie Depenheuer behauptet. Vielmehr legt das Urteil nahe, dass der Verteidigungsminister dann den Abschuss befiehlt und sich vor Gericht auf einen übergesetzlichen Notstand beruft. Dass bei einem Terroranschlag mit Flugzeugen gleich der Staat insgesamt auf dem Spiel stehe, ist dagegen eine fixe Idee Depenheuers – und leider eben auch Schäubles. Karlsruhe hatte den Gedanken völlig zu Recht verworfen.

Um die Selbstbehauptung des Rechtsstaats muss man sich deshalb weniger Sorgen machen als um den Innenminister, der auf Ratgeber wie Depenheuer vertraut. CHRISTIAN RATH

Otto Depenheuer: „Selbstbehauptung des Rechtsstaats“. Schöningh, Paderborn 2007, 127 Seiten, 19,90 Euro