AKW Fessenheim vor Gericht: Sicherheit oder Jobs

Bald entscheidet sich, ob das AKW Fessenheim weiter betrieben wird. Die Anlage sei unsicher, sagen die Gegner. Gewerkschaften fürchten den Jobverlust.

Direkt am Rheinufer hat das AKW Fessenheim seinen Standort. Bild: dpa

„Nai hämmer gsait!“

Auf deutscher Seite trieb der Protest gegen das Atomkraftwerk Fessenheim schon manch bizarre Blüte. Als 2010 in Berlin CDU und FDP die Laufzeitverlängerung für deutsche Reaktoren durchdrückten, kämpfte die südbadische CDU gegen den Meiler. Die Freiburger Stadtratsfraktion forderte „nachdrücklich die Stilllegung dieses unsicheren Kernkraftwerks“. So konnte die Union punktuelle Atomkritik zur Schau stellen, ohne selbst aktiv werden zu müssen.

Diese spezielle Dialektik hat historische Wurzeln. In Südbaden ist seit dem erfolgreichen Kampf gegen das Atomkraftwerk Wyhl politisch kein Blumentopf mehr zu gewinnen – erst recht nicht, wenn es um Meiler am Oberrhein geht. Das Ziel, die Region frei zu halten von Atomanlagen, gehört in Südbaden längst zum politischen Selbstverständnis.

Deswegen wird seit Jahren quer durch die Parteien ein Abschalten von Fessenheim gefordert. Jene, die aus politischer Opportunität gegen Fessenheim sind, bleiben in Südbaden in der Minderheit. Die Mehrheit betrachtet den Meiler auf der französischen Rheinseite als größte Umweltgefahr der Region.

Der Reaktor sei „das unsicherste Werk in ganz Frankreich“, heißt es auch beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Fessenheim ist das älteste Atomkraftwerk Frankreichs und steht zudem in einer Erdbebenzone.

Diesen Text finden Sie auch in der taz. am wochenende vom 11./12. Mai 2013. Darin außerdem: die Titelgeschichte „Wo fängt irre an?“, eine Fotoreportage über den Drogenkrieg in Mexiko, ein Porträt von Muhlis Ari, der als „Mehmet“ vor 15 Jahren bekannt und abgeschoben wurde, eine Rezension des neuen Daft-Punk-Albums und drei Karottenrezepte von Sarah Wiener. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.

Vom „Gefahrstrom“ spricht Axel Mayer, Geschäftsführer des BUND Südlicher Oberrhein. Nebenbei verweist er darauf, dass das Land Baden-Württemberg den Reaktor mit trägt, weil die landeseigene EnBW an diesem 17,5 Prozent Anteil hat.

Immer wieder treibt Fessenheim die Menschen auf die Straße. Mal sind es Risse im Reaktordruckbehälter, mal ist es die zu dünne Bodenplatte, mal ist es das Erdbebenrisiko.

Aufkleber mit dem Slogan „Fessenheim abschalten“ gehören längst zum Repertoire der badischen Antiatomkraftinitiativen, ebenso Plakate in alemannischer Mundart wie „Fessene? Nai hämmer gsait!“ Und doch legen die Badener Wert darauf, dass ihr Protest als Teil einer grenzüberschreitenden Bewegung wahrgenommen wird, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie mischten sich zu sehr in französische Angelegenheiten ein.

In der Tat hat die deutsch-französische Umweltbewegung am Oberrhein eine lange Geschichte: In den siebziger Jahren kämpften badisch-elsässische Bürgerinitativen gemeinsam gegen Fessenheim. 60 Kilometer nördlich, im französischen Gerstheim, verhinderten sie gemeinsam ein Atomkraftwerk.

Hinsichtlich des bevorstehenden Gerichtsurteils haben die Atomkraftgegner aus dem Dreiländereck zwar wenig Hoffnung. Sie setzen auf ein zweites Verfahren, das in Paris anhängig ist.

Trotz aller juristischen und politischen Auseinandersetzungen aber ist den deutschen Atomkraftgegnern die gute Nachbarschaft über den Rhein wichtig. Deshalb gibt es die Anti-AKW-Sonne auch mit der Aufschrift "Amitié Franco-Allemande". BERNWARD JANZING

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„Schließung wäre Dummheit“

Rund um das AKW Fessenheim im Elsass herrscht Angst. Es ist aber keine Angst vor einer folgenschweren Panne oder einem GAU in Frankreichs ältestem Atomkraftwerk, sondern die Sorge um die rund 2.000 Arbeitsplätze, die im Fall einer definitiven Schließung wegfallen würden.

Zuletzt haben Franzosen vor einer Woche für den Erhalt des Atomkraftwerks demonstriert, unter ihnen sämtliche Gewerkschaften des AKW-Personals und Volksvertreter mit Trikoloreschärpen über der Brust, mit denen sie ein Jahr vor den nächsten Kommunalwahlen zeigen wollen, wessen Interessen sie vertreten.

Die Gewerkschaften haben zudem einen Besuch des für die Organisation der Schließung zuständigen Chefbeamten verhindert und gegen seine Ernennung durch Staatspräsident Hollande Klage eingereicht.

Auch die Bürgermeisterin von Fessenheim, Fabienne Stich, macht sich gern zur Sprecherin der Wut auf die Atomgegner, die hier als Auswärtige gelten. Fabienne Stich sieht in der Ankündigung von François Hollande, das AKW Fessenheim 2016 zu schließen, einen „willkürlichen, antiökonomischen und antisozialen Entscheid aus politischen Motiven“. Man treibe Firmen in den Konkurs und mache Leute arbeitslos, „aus reiner Gefälligkeit für eine ultraminoritäre Ökopartei“.

Gemeint sind Frankreichs Grüne. Wenn die Atomstromproduktion in Fessenheim eingestellt würde, würden 5.000 Menschen aus der Region an der Grenze zu Südbaden abwandern, meint auch Magali Heyer vom Verband „Fessenheim notre énergie“.

Stich und Heyer sind zuversichtlich, so wie die große Mehrheit der Anwohner, dass sie am 16. Mai vor dem Berufungsgericht in Nancy eine weitere Runde gewinnen werden. Es geht dabei um die Rückweisung eines Antrags des Trinationalen Atomschutzverbandes, der aus Sicherheitsgründen den Stopp des AKW verlangt hat, das am Rheinseitenkanal in einer Gegend mit Überschwemmungs- und Erdbebenrisiken liegt.

Das AKW zu schließen wäre „eine Dummheit“, meint auch der Sprecher des CGT-Gewerkschaftsverbands, Jean-Luc Cardoso, der seit 1989 im AKW Fessenheim arbeitet. Das AKW sei sicher, das habe schließlich die Atomsicherheitsbehörde ASN bestätigt.

Tatsächlich hat die ASN nach einer Inspektion für beide Reaktoren die Betriebsbewilligung um zehn Jahre verlängert. Ein paar zusätzliche Investitionen sollen genügen. Dabei geht es um 50 bis 100 Millionen für ein AKW, das offiziell in drei Jahren abgestellt werden soll.

Vor Ort will man glauben, dass mit diesen Revisionsarbeiten ein Sachzwang geschaffen werde. Zudem ist bekannt geworden, dass der Energiekonzern EDF bei einer „vorzeitigen“ Stilllegung für seine Einbußen 5 bis 8 Milliarden Euro vom Staat fordern will, der für solche Kompensationen keine Rücklagen hat. RUDOLF BALMER

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