ARD-Doku über Autos und Deutschland: Das Monster, ein Horrorfilm
In „Kraftfahrzeug – Eine deutsche Liebe“ kontrastiert Jan Tenhaven die Emotionalitäten von Autofans und Kritiker:innen. Etwas Hoffnung gibt es auch.

Es gibt Filme, die sind ab der ersten Minute zum Gruseln. Die ARD-Doku „Kraftfahrzeug – Eine deutsche Liebe“ ist sicherlich nicht als Horrorfilm gedacht. Doch sie zeigt eine Republik im Wahn. Genauer gesagt: die Autorepublik Deutschland.
Da schwärmt der Autofotograf René Staud von der Schönheit der Fahrzeuge, die er in aller Perfektion inszenieren darf. „Das Auto ist an sich eine große Persönlichkeit, es hat eine große Seele“, behauptet der Hochglanzgestalter genau dieses Bildes.
Da spricht der Vertriebsvorstand von VW über die Rolle des „Autos als Familienmitglied“.
Da kommen Klangdesigner zu Wort, die den Sound von Elektroautos aus Akkorden von Gustav Mahler so entwickeln, dass sich der Mensch am Steuer nicht nur als Fahrer, sondern „als Komponist“ fühlen könne. Sie schwärmen von der „Leidenschaft, die wir mit dem Fahrzeug projizieren.“
„Kraftfahrzeug – Eine deutsche Liebe“ von Jan Tenhaven, 88 Minuten, zu sehen in der ARD-Mediathek.
Nicht ohne Röhren
Da werden Menschen gezeigt, in erster Linie Männer, die bei einem Autosalon um ein neues Modell schwärmen. Und Käufer:innen, die in Wolfsburg zum neuen Auto die Nacht im Ritz Carlton und die Volkswagen-Currywurst serviert bekommen.
Natürlich darf Ulf Poschardt nicht fehlen. Der Journalist, mittlerweile Herausgeber von Welt und Co., gibt zum wiederholten Mal den Mensch gewordenen Porsche, der von röhrenden Sportwagen als Kulturgut schwärmt. „Das Tempolimit ist wie die Steuererhöhung. Das ist der Freiheitsneid. Das ist Hass auf Menschen, die dich überholen“, sagt Poschardt. Nur um gleich darauf über „die Clowns“ zu schimpfen, die angeblich alle anderen so entschleunigen wollen. „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“, ruft der Ferrari-Fahrer an einer Stelle gleich mehrfach. Man möchte ihm aus vollem Herzen zustimmen. Aber er flucht nur über seinen italienischen Sportwagen, der bei der Fahrt auf der Autobahn nicht so spurten will, wie sein Herrchen.
Die knapp erste halbe Stunde der Doku ist schlichtweg unerträglich. Es geht ausschließlich um Kult, Inszenierung, Emotion, Freiheit, Tempo. Dass das Auto mal erfunden wurde, um von A nach B zu kommen, spielt kaum eine Rolle. Nur wer dieses Konzentrat der Automanie durchhält, bekommt auch kritische Stimmen zu hören, die nach und nach das Bild bestimmen.
Stefan Gössling, Professor für Verkehrswissenschaften, spricht vom Tanz ums goldene Kalb. Die Mobilitätskritikerin Katja Diehl erinnert an die im Schnitt täglich 8 Verkehrstoten und tausenden Verletzten in Deutschland. Die Künstlerin Folke Köbberling erklärt, warum sie in München einen SUV aus Lehm verwittern lies.
Ein Raubtier
Der Filmemacher Jan Tenhaven selbst verzichtet nahezu vollständig auf einen gesprochenen Kommentar. Nur an wenigen Stellen lässt er „das Auto“ mit dräuenden Worten selber philosophieren – was ein wenig gaga wirkt. Aber so oft, wie in dieser Doku dem Blechgefährt eine Seele zugesprochen wird, ist das nur konsequent.
Die Stärke des Films aber liegt in der kontrastreichen Konfrontation verschiedener Stimmen. Da beschreibt zum Beispiel der Verkehrswissenschaftler Gössling, dass die Scheinwerfer der Autos anders als früher nicht mehr rund, sondern schmal sind. Als er seine 12-jährige Tochter gefragt habe, woran sie das erinnere, habe sie ohne Zögern gesagt: „Ein Monster“.
„Es ist nicht verkehrt, wenn man an ein Raubtier erinnert wird“, bestätigt gleich darauf der Chefdesigner der BMW-Gruppe Adrian van Hooydonk. „Und wenn sie dann Platz machen, auch nicht verkehrt“, ergänzt er mit einem Lächeln. Denn das fänden BMW-Kunden bestimmt gut.
An anderer Stelle darf sich Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, darüber echauffieren, dass SUV von Kritiker:innen „Stadtpanzer“ genannt würden. Das sei ein unangemessener Begriff in einer Debatte, „die wir sachlich führen müssen“, sagt Müller. Und gleich danach schildert ein Unfallsanitäter die Gefahren für Fußgänger:innen durch SUV.
„Kulturgut“ über die Autobahn jagen
Wenig später schneidet Tenhaven Fotos von Unfällen hintereinander. Särge, die in einen Leichenwagen gehoben werden. Vollkommen zerfetzte Karosserien. Ein zerbeultes Fahrrad. Rettungssanitäter. Leichensäcke. Es ist die bildgewaltigste Sequenz des Films.
Und die Hoffnung? Die setzt Jan Tenhaven an den Schluss seines Films. Da werden die wunderbaren Filmschnipsel des Digitalkünstlers Jan Kamensky gezeigt, in denen erst Autos, Ampeln, Verkehrsschilder wegfliegen, um dann Platz für Pflanzen, Straßenbahnen und Menschen zu machen. „Ich bin kein Stadtplaner, ich bin Utopist“, sagt Kamensky dazu.
Überraschender aber noch sind die Statements der Autonarren. Selbst ein Ulf Poschardt fordert am Ende eine Verkehrswende, den Bau von Radwegen und eine S-Bahn im Ferrari-Stil – wenn er denn weiterhin sein CO2-schleuderndes „Kulturgut“ über die Autobahn jagen darf. Und der Chefdesigner von BMW orakelt, dass Innenstädte bald möglicherweise autofrei sein könnten – ganz so wie in Kamenskys Utopien.
Das Schlussswort aber überlässt Tenhaven dem Auto. Es werde bleiben, sagt es.
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