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ARD-Serie „Hundertdreizehn“Die Toten und die Lebenden

Die gelungene Serie „Hundertdreizehn“ dreht sich um die Folgen eines Verkehrsunfalls. Erzählt mit kitschigen Elementen, aber ohne Zeigefinger.

Die Ermittler:innen: Hänno Gudjons (David Hugo Schmitz,l), Jan Auschra (Robert Stadlober) und Anne Goldmundt (Lia von Blarer, r) Foto: Frank Dicks/Windlight Pictures/Satel Film/wdr

Das Drama des Rezensenten ist ja, dass er immer zu viel verraten muss, um zu erzählen, worum es geht. Das trifft auf die Serie „Hundertdreizehn“, die Dienstag und Mittwoch in der ARD gezeigt wird, besonders zu. Allein der Titel verrät fast alles, sobald mal erklärt, wofür er steht.

Wer die Serie über die Folgen eines Verkehrsunfalls anschauen möchte, sollte an dieser Stelle aufhören zu lesen. Nur so viel vorab: Die Serie hat ein gehobenes Niveau, auch wenn sich typische TV-Schmonzettigkeiten eingeschlichen haben. Sie sollen offenbar das Thema für eine Mehrheit kompatibel machen, die „Traumschiff“ und Ähnliches schaut. So funktioniert Unterhaltung mit Anspruch.

Sie lesen weiter? Gut, auf eigene Gefahr. Das Grundkonzept der Serie ist schnell erzählt. Auf der Fahrt von Köln nach Graz verunglückt ein Reisebus. Kurz vor einem Tunnel gerät er auf die Gegenfahrbahn und rast in entgegenkommende Autos. Die Zahl der Opfer ist immens, auch wenn sie nicht genau beziffert wird. Die Bilder der Wracks sind vielsagend.

Die Folgen einer solchen Massenkarambolge erzählt die Serie mit einem bewährten Kniff. Die Älteren werden sich vielleicht noch an die genauso hoch gelobte wie umstrittene ZDF-Serie „Tod eines Schülers“ erinnern. Die erzählte Anfang der 1980er Jahre vom Suizid eines Jugendlichen – in sechs stilbildenden Folgen, jeweils aus der Perspektive eines Hauptbetroffenen, mit sich teils widersprechenden Ergebnissen.

Die Serie

„Hundertdreizehn“, TV-Serie in sechs Teilen mit je 45 Minuten. Die ersten drei Episoden zeigt die ARD am Dienstagabend ab 20.15 Uhr, die Teile 4 bis 6 folgen am Mittwochabend. Alle sechs Episoden stehen bereits in der ARD-Mediathek.

Mit Perspektivwechseln und Zeitsprüngen, Parallelerzählungen und viel Qualm schafft „Hundertdreizehn“ es, den Zu­schaue­r:in­nen das Drama der Autorepublik ohne Zeigefinger nahezubringen: den Unfalltod.

Die erste Folge widmet sich dem Busfahrer Theo, der bei dem Unfall ums Leben kommt. Seine Frau und Tochter müssen feststellen, dass der Vielfahrer am Reiseziel Graz noch eine zweite Familie hatte. Folge 2 dreht sich um den Speditionsunternehmer Richard, der als Augenzeuge des Unfalls mit beginnender Demenz zu kämpfen hat – und mit einem Konkurrenten und Freund, der ihn in die Bredouille bringt.

Pro Leiche 11 Familienangehörige

Folge 3 folgt dem Rettungssanitäter Jesper, der mit einem alten Trauma zu kämpfen hat. Dann gibt es noch eine von der Hochzeit geflohenen Braut und eine Polizistin, die den Hund ihres Kollegen nicht mag, aber in eins der Opfer verliebt war. Wie gesagt, die Serie ist keineswegs frei von TV-Kitsch.

Was sie herausragend macht, ist ihr Umgang mit der titelgebenden Zahl. 113 ist nicht, wie man bei diesem Thema vielleicht vermuten könnte, die ein Tempolimit brechende Geschwindigkeit, die zum Unfall führt. 113 ist, wie ein Polizist fast beiläufig in Folge 2 erwähnt, die Zahl der Menschen, die unmittelbar davon betroffen sind, wenn ein Mensch im Straßenverkehr getötet wird.

Im Schnitt sind pro Leiche 11 Familienangehörige, 4 enge Freunde, 56 Freunde und Bekannte nachhaltig betroffen sowie 42 Einsatzkräfte wie Rettungssanitäter, Feuerwehrkräfte oder Polizisten mit diesem Schicksal konfrontiert.

Die Zahlen stammen aus einer Studie, die das Bundesverkehrsministerium zusammen mit dem Deutschen Verkehrsrat im Jahr 2017 für die Kampagne der Verkehrssicherheitskampagne „Runter vom Gas“ in Auftrag gab. Die Konsequenz damals: ein paar Autobahnplakate mit der Bitte, etwas langsamer zu fahren.

Im Jahr 2024 wurden über 2.770 Menschen im Verkehr getötet. „Hundertdreizehn“ macht klar, wie das die 2.800 mal 113, die über 310.000 Überlebenden in Deutschland traumatisiert. Plakate allein reichen nicht aus. Schmonzetten auch nicht. Aber sie helfen, die Perspektive zu ändern.

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