Abgeordnete über Verfassungsschutz: „Kein Halt mehr vor Kindern“

Der Hamburger Senat will das Verfassungs­schutzgesetz erneuern. Linken-Politikerin Christiane Schneider über die geplante Überwachung Minderjähriger.

Kinder und Jugendliche bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus.

Sollen vom Verfassungsschutz beobachtet werden können: Politisch aktive Kinder unter 14 Jahren Foto: Jannis Große/Imago

taz: Frau Schneider, das Hamburger Verfassungsschutzgesetz soll erneuert werden. Demnach sollen zukünftig auch Kinder unter 14 Jahren beobachtet werden.

Christiane Schneider: Minderjährige konnte der Verfassungsschutz auch bisher schon beobachten. Das Alter wird nun aber abgesenkt. Es sollen auch Daten von Minderjährigen zwischen 12 und 14 Jahren erhoben und verarbeitet, also gespeichert werden können, das ist neu.

Gibt es dafür bestimmte Voraussetzungen?

Es gibt Sonderregelungen. Es müssen Daten von erheblicher Bedeutung sein und die Speicherfristen sind im Prinzip kürzer.

Trotzdem finden Sie das problematisch?

Es ist eine beunruhigende Entwicklung, dass der Verfassungsschutz nicht mal mehr vor Kindern Halt macht. Hier steht das Kindeswohl auf dem Spiel. Wir wissen, dass Kinder in Verbrechen des sogenannten Islamischen Staates einbezogen wurden und die Regelung wird mit der von IS-Rückkehrern ausgehenden Gefahr begründet. Als Norm formuliert betrifft sie aber alle Felder, in denen der Verfassungsschutz geheimdienstmäßig unterwegs ist. Und das kann dann auch junge Antifa-Gruppen treffen, die in Hamburg aktiv sind.

71, ist seit 12 Jahren Mitglied der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft und u. a. Fachsprecherin für Innenpolitik und Antifaschismus.

Zum Beispiel?

Die Antifa Altona Ost ist ein Paradebeispiel. Die Gruppe wird vom Verfassungsschutz beobachtet und als linksextremistisch dargestellt. Da sind auch ganz junge Leute aktiv. Dass ihre Daten jetzt vom Verfassungsschutz gespeichert werden können, finde ich sehr heikel. Das ist das eine. Das andere ist, dass die Behörde künftig unter bestimmten Bedingungen ihre Informationen auch an öffentliche Stellen, zum Beispiel Schulen, und nicht öffentliche Stellen, wie zum Beispiel Vereine, weitergeben kann. Das ist ein absolutes No-Go.

Was bedeutet das genau?

Also mal angenommen, da ist ein 16-Jähriger aus Nazi-Strukturen im Sportverein und versucht, Gleichaltrige zu beeinflussen. Das ist natürlich ein Problem, aber keines, das ein Geheimdienst mit einer Meldung lösen kann. Die Auseinandersetzung damit ist Aufgabe der Zivilgesellschaft und man muss deshalb Vereine bestärken und befähigen, solchen Bestrebungen entgegenzuwirken.

Aber damit ein Verein etwas tun kann, muss er doch erst mal Bescheid wissen.

Die Zivilgesellschaft ist doch keine Blackbox. Man muss sie viel mehr bestärken, sich kritisch mit den jungen Menschen auseinanderzusetzen. Es ist auch nicht in jedem Fall angebracht, einen Jugendlichen, um bei dem Beispiel zu bleiben, einfach rauszuwerfen. Damit nimmt man ihm vielleicht die Chance, sich mit anderen Dingen zu befassen und aus solchen Strukturen zu lösen. Und das ist eben Aufgabe der Zivilgesellschaft und nicht eines Geheimdienstes. Übrigens sieht auch der Datenschutzbeauftragte insgesamt die Herabsetzung des Schutzes Minderjähriger sehr kritisch.

Inwieweit ist dessen Arbeit von den Neuerungen betroffen?

Die Beobachtungen durch den Verfassungsschutz sind geheime Maßnahmen. Der oder die Betroffene bekommt sie nicht mit, dadurch wird sehr tief in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Deshalb braucht es eine unabhängige Stelle mit starken Kontrollrechten. Und nach unserem Eindruck sind die Kontrollrechte des Datenschutzbeauftragten in diesem Gesetz sehr gering.

Woran wird das deutlich?

Die Frage ist, ob der Eingriff in Grundrechte verhältnismäßig ist. Und ob der Datenschutzbeauftragte das wirksam kontrollieren und beispielsweise erreichen kann, dass die Maßnahme eingestellt oder seiner Kritik entsprochen wird. Und so wie ich das Gesetz bisher lese, ist das nicht so. Er ist praktisch ein Papiertiger.

Es gibt aber noch den Parlamentarischen Kontrollausschuss (PKA).

Ich bin selbst Mitglied darin und deshalb zur Verschwiegenheit verpflichtet. Tatsache ist aber, dass der PKA keine wirksame Kontrolle ist. Was uns der Verfassungsschutz über seine Maßnahmen berichtet, entscheidet er und gezielt nachfragen können wir nur, wenn wir schon mehr wissen, als er uns berichtet. Das ist eben ein Geheimdienst, und wenn man von geheimdienstlichen Tätigkeiten nichts erfährt, kann man sie auch nicht kontrollieren.

Ein weiterer Punkt des Gesetzes ist, dass angehende Polizist*innen künftig vom Verfassungsschutz überprüft werden sollen. Ist das nicht begrüßenswert?

Es gibt das Problem, dass ein gewisser Anteil von Polizeibeamten und -beamtinnen rechtes Gedankengut hat. Das hat auch das Maß eines Einzelfalls überschritten. Es gibt aber auch Beamtinnen und Beamte beim Verfassungsschutz, die auffällig werden. Das haben die taz-Recherchen zu Uniter ja auch gezeigt. Ich glaube, dass man bei der Einstellung von jungen Beamtinnen und Beamten sehr aufmerksam sein muss, aber ich sehe das nicht als Aufgabe des Verfassungsschutzes und wage zu bezweifeln, dass er dafür wirklich geeignet ist.

Warum?

Vielleicht wächst beim Verfassungsschutz langsam die Erkenntnis, dass die Gefahr von rechts kommt. Aber wenn man sieht, was der Verfassungsschutz bundesweit so tut, dann wird deutlich, dass der Feind immer noch links steht.

Woran machen Sie das fest? Es soll doch in Hamburg jetzt die Spezialeinheit gegen Rechtsextremismus aufgebaut werden.

Ja, aber am Beispiel der Antifa Altona Ost wird das deutlich. Der öffentliche Vorwurf gegen diese Gruppe ist, dass sie den multikulturellen Anspruch Altonas verteidigt. Das ist für den Verfassungsschutz ein Grund, sie als „linksextremistisch“ zu beobachten. Als wäre die Antifa Altona Ost strukturell auch nichts anderes als eine gewalttätige Nazibande. Das wird mit dem Begriff „extremistisch“ einfach gleichgesetzt.

Werden in Hamburg künftig weiter Vertrauensleute (V-Leute) eingesetzt?

Darauf kann man Gift nehmen und das ist wirklich ein großes Problem. Zum einen wissen wir aus den NSU-Untersuchungsausschüssen, dass V-Leute, also Spitzel, bezahlte Täter sind. Zum anderen steht immer der Quellenschutz vor Aufklärung. Wir mussten immer wieder bitter erfahren, dass der Verfassungsschutz Aufklärung aktiv behindert, wenn es um den Schutz von Quellen geht. Deshalb sind wir strikt gegen den Einsatz von V-Leuten.

Wie geht es mit der Hamburger Novelle weiter?

Wenn es nach dem Senat geht, sollen wir den Entwurf jetzt im Schnellverfahren, im Januar oder Februar, kurz vor den Wahlen, in der Bürgerschaft beschließen.

Warum die Eile?

Das fragen wir uns auch und deshalb fordern wir, dass die Novelle gestoppt wird. Wir brauchen nicht ständig Verschärfungen und neue Sicherheitsgesetze, wenn noch nicht einmal die Auswirkungen der bestehenden evaluiert sind.

Wie meinen Sie das?

Es muss geprüft werden, ob das, was bisher falsch gelaufen ist, an unzureichenden Gesetzen oder an problematischen Behörden liegt. Es muss überprüft werden, was die bisherigen Gesetze gebracht haben, wo wirklich Bedarf ist.

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