piwik no script img

Abgeordneter zu neuem Radikalenerlass„Das verunsichert Menschen, die sich kritisch engagieren“

Um Islamisten aus dem Staatsdienst zu halten, plant Hamburg Regelabfragen beim Verfassungsschutz. Laut Linken-Politiker Celik reicht eine Einzelprüfung.

Déjà-vu: Demonstration gegen Berufsverbote 1975 in Stuttgart Foto: Rolf Haid/dpa
Kaija Kutter

Interview von

Kaija Kutter

taz: Deniz Celik, Hamburg plant eine Regelabfrage an den Verfassungsschutz für alle Staatsbediensteten. Was stört Sie daran?

Deniz Celik: Auch wir möchten nicht, dass zum Beispiel Rechtsextreme wie Höcke etwa als Lehrer arbeiten. Aber wir haben ein großes Problem damit, dass alle Be­wer­be­r*in­nen unter Generalverdacht gestellt werden. Diese Regelabfrage beim Verfassungsschutz soll bei jeder Einstellung, Versetzung oder auch Beförderung erfolgen. Zugleich heißt es in dem Gesetzentwurf, dass die überwältigende Mehrheit verfassungstreu sei. Dann verstehen wir nicht, weshalb man nicht wie bisher eine Einzelfallprüfung bei konkreten Anhaltspunkten auf den Weg bringt.

taz: Im Gesetzentwurf heißt es, Islamisten hätten das Ziel, den Staat zu unterwandern. Es seien bereits 50 Islamisten im Staatsdienst gewesen. Das wäre nicht anders zu verhindern.

Celik: Aber diese 50 wurden ja enttarnt. Ich habe das ja auch beobachtet. Das sind ja zum Teil Menschen aus dem Spektrum ‚Muslim interaktiv', die auch öffentlich und auf Social Media durch Aussagen auffielen, die man als verfassungsfeindlich einstufen könnte.

taz: Wie „Kalifat ist die Lösung“?

Celik: Genau, das ist öffentlich. Diese Demos waren nicht irgendwie konspirativ und geheim. Im Gegenteil. Man konnte mit einer Internetrecherche relativ schnell herausfinden, dass diese Menschen diese Aussagen tätigen und entsprechend agieren. Und dieses Beispiel zeigt mir, dass es mit einer Einzelfallprüfung und den jetzigen Instrumenten funktioniert.

taz: Woher nehmen Sie, dass sich dieses Gesetz auch gegen Linke richten wird?

Celik: Wir haben ja die Erfahrung mit dem Radikalenerlass in den 1970er-Jahren gehabt. Damals hieß es auch, es sollen alle Extremisten aus dem Staatsdienst rausgehalten werden. Aber betroffen von dem Berufsverbot waren in sehr großer Mehrheit linke Aktivisten. Und wir haben jetzt das Beispiel mit Lisa Poettinger aus Bayern, der ja als Klimaaktivistin ihr Referendariat verweigert wurde. Auch wer die Eigentumsverhältnisse oder den Kapitalismus infrage stellt, gerät schnell unter Extremismusverdacht.

Bild: Marcus Brandt/dpa
Im Interview: Deniz Celik

46, ist Politikwissenschaftler und seit 2020 innenpolitischer Sprecher der Hamburger Linken-Fraktion.

taz: Das ist aber Bayern und nicht Hamburg.

Celik: Es gibt auch aus Hamburg Beispiele. Der Verfassungsschutz warnte davor, bei „Hamburg enteignen“ mitzumachen. Oder die Marxistische Abendschule wurde als extremistisch eingestuft, was nur durch eine Klage wieder zurückgenommen wurde. Das zeigt, dass linke Strukturen im Visier sind. Menschen, die sich kritisch engagieren, die vielleicht auch an einem Marx-Lesekreis teilnehmen oder bei einer Demo mitlaufen möchten, die verunsichert man damit ungemein, weil sie schnell ins Visier des Verfassungsschutzes geraten können. Und das wird dazu führen, dass sich viele entweder nicht mehr politisch engagieren oder nicht mehr im öffentlichen Dienst bewerben werden. Das wäre fatal und fördert Duckmäusertum.

Es trifft den ganzen öffentlichen Dienst. Auch Müllfahrer oder Hausmeister. Es ist unverhältnismäßig und autoritär

taz: Vor allem wahrscheinlich im Lehrerbereich?

Celik: Es trifft den ganzen öffentlichen Dienst. Auch Müllfahrer oder Hausmeister. Es ist unverhältnismäßig und autoritär.

taz: Wie erklären Sie sich, dass die Grünen das mitmachen? Deren Gründer waren früher teils selbst betroffen.

Celik: Die Grünen wollen keine Konflikte mit der SPD und geben in der Innenpolitik häufig nach.

taz: Wie sollte die Stadt stattdessen vorgehen?

Celik: Es sollte bei konkreten Anhaltspunkten eine Einzelfallprüfung erfolgen. Kommt man dann zu dem Ergebnis: Das ist ein gewaltorientierter Islamist oder Rechtsextremist – dann muss diese Person aus dem Staatsdienst entfernt werden oder darf gar nicht zugelassen werden. Aber das kann man mit bestehenden Instrumenten verhindern. Was mich auch stört ist, dass man mit dieser Regelanfrage die Gesinnung prüft. Also man guckt nicht: Gibt es Fehlverhalten oder strafbares Verhalten? Man guckt: Welche Gesinnung hat XY? Das schießt über das Ziel hinaus.

taz: Ist das Gesetz noch zu stoppen?

Celik: Wir werden alles dafür tun. Mir macht auch Mut, dass sich in Hamburg jetzt ein „Bündnis gegen Berufsverbote“ gebildet hat. Dass sich auch in der Zivilgesellschaft Protest organisiert.

taz: Aber es soll schon ab Januar gelten?

Celik: Ja, die machen Tempo. Rot-Grün will das Thema schnell abräumen, weil es so kontrovers ist. Zumal ja die Bürgerschaft und deren Präsidentin sich erst 2022 für den Radikalen-Erlass der 1970er-Jahre entschuldigt hat. Jetzt kommt er wieder als Radikalenerlass 2.0. Ich finde, so ein weitreichendes Gesetz muss ordentlich beraten werden. Es müsste eine Ex­per­t*in­nen­an­hö­rung im Parlament erfolgen. Dafür braucht man Zeit.

taz: Beantragen Sie so eine Anhörung?

Celik: Leider reichen die Stimmen der Linken dafür nicht. Wir wären auf die CDU angewiesen oder auf die Regierungsfraktionen. Das wird schwierig.

taz: Könnte es in der grünen Partei noch eine Diskussion geben? Sie planen ja am 10. November eine Diskussion mit dem früheren Grünen-Abgeordneten Hans Peter De Lorent, der in den 1970ern Opfer von Berufsverbot war.

Celik: Zumindest die grüne Jugend hat signalisiert, dass sie sich dem Bündnis anschließen will. Und ich weiß auch, dass es in der Grünen-Fraktion einzelne Abgeordnete gibt, die dieses Gesetz ablehnen. Wir werden, wenn das Gesetz beschlossen werden soll, eine namentliche Abstimmung anstreben, damit transparent wird, wie sich einzelne Abgeordnete dazu verhalten. Aber ich hoffe ja auch, dass innerhalb der grünen Basis auch noch mal Druck Richtung Senatsmitglieder entsteht. Vielleicht tut sich ja was.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare