Abkommen zwischen Israel und Hamas: Eine zweite Chance auf Frieden
Schon im vergangenen Winter gab es ein ähnliches Abkommen zwischen Israel und der Hamas wie jetzt. Es scheiterte. Was dieses Mal anders ist.

Nach zwei Jahren und zwei Tagen ist es so weit: Am Mittag des 9. Oktober haben Israel und die Hamas ein Abkommen unterzeichnet. Die erste Phase des Deals umfasst eine Waffenruhe, die Freilassung der Geiseln und einen Gefangenenaustausch. US-Präsident Donald Trump hatte den Deal eingefädelt.
Zuletzt hatte der damals noch designierte US-Präsident im vergangenen Winter auf ein ähnliches Abkommen gedrängt: Dessen erste Phase – in der 38 Geiseln und fast 2.000 palästinensische Gefangene befreit wurden – wurde umgesetzt. Die zweite – in der Verhandlungen zu einer Entwaffnung der Hamas und einem Abzug der Israelis anstanden – scheiterte. Israel brach schließlich die Waffenruhe.
So weit wie damals ist das Abkommen auch jetzt wieder: Auf eine Freilassung der Geiseln und nach lokalen Medienberichten mittlerweile auch eine Liste der zu entlassenden Gefangenen hat man sich einigen können. Doch dieselben Details, die die letzte Waffenruhe scheitern ließen, sind auch diesmal wieder offen: Was bedeutet eine Entwaffnung der Hamas? Wann zieht sich das israelische Militär völlig aus dem Gazastreifen zurück?
Doch Trump scheint sich seiner Sache recht sicher. Die Einigung auf die erste Phase des Deals verkündete er auf seinem Netzwerk Truth Social mit dem Bibelzitat „Gesegnet seien die Friedensstifter“. Doch was ist nun anders?
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Israel ist isoliert
Seit vergangenem Januar ist Israel international mehr und mehr isoliert. Eindrucksvoll zeigte das die Reise des Premiers Benjamin Netanjahu zur UN-Vollversammlung im September: Sein Flugzeug mied den europäischen Luftraum – wohl aus Sorge, er könnte aufgrund eines ausstehenden Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs festgenommen werden.
Die Gründe für diese Isolation: Etwa Israels Blockade sämtlicher Transporte nach Gaza hinein von März bis Mitte Mai, was die Versorgungslage extrem verschärfte und schließlich sogar zum Ausruf einer Hungersnot seitens der Vereinten Nationen führte. Als dann Anfang August wieder kommerzielle Transporte zugelassen wurden und auch die Zahl der Hilfslieferungen deutlich anstieg, war der PR-Schaden bereits angerichtet.
Dann verkündete Israel seine Offensive mit Bodentruppen auf Gaza-Stadt und ließ sich auch durch internationale Warnungen davon nicht abbringen. Dazu kamen die zunehmenden Angriffe israelischer Siedler auf Palästinenser im Westjordanland sowie die öffentlichen Überlegungen der Regierung einer Annexion des besetzten Gebiets.
Zuletzt ausschlaggebend könnte aber der gescheiterte Luftangriff auf Hamas-Kader in der katarischen Hauptstadt Doha Mitte September gewesen sein. Das Land ist ein enger Verbündeter der USA.
Der Angriff sorgte in allen arabischen Golfstaaten für Empörung – und damit für ein Zusammenrücken gegen Israel. Zudem hatte sich die gesamte arabische Liga im Juli erstmals einig zu einer Zukunft des Gazastreifens öffentlich geäußert: Die Hamas dürfe keine Rolle mehr spielen, er müsse aber palästinensisch besiedelt und kontrolliert bleiben.Auf arabischer Seite herrscht also eine relative Einigkeit – auch in der Ansicht, dass Israel in seinem Vorgehen unberechenbarer geworden ist.
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Dazu kommt: Donald Trump – die USA sind engster Verbündeter Israels – hat außenpolitisch eigentlich andere Pläne. Seine ersten Reisen der zweiten Amtszeit gingen nicht nach Israel, sondern an den arabischen Golf. Trump will eine starke Allianz der Golfstaaten mit dem Westen, eine eingehegte Islamische Republik Iran und mehr Ruhe in der Region.
Dem war Israel lange zugänglich: Nach dem Angriff der Iran-unterstützten Hamas am 7. Oktober 2023 fügte es der „Achse des Widerstands“ – einer Reihe von Milizen, die Iran in umliegenden Staaten finanziert und aufgerüstet hatte – deutlichen Schaden zu. Damals stiegen sowohl die Hisbollah im Libanon als auch die Huthis im Jemen in den Kampf gegen Israel ein. Heute ist die Hisbollah deutlich geschwächt, wenn auch nicht besiegt. Und bislang hält sie sich an die Waffenruhe an der Nordgrenze – ganz im Gegensatz zur israelischen Armee. Einen Gegenschlag wagte sie bislang dennoch nicht. Und die Huthis schießen zwar bis heute weiter Raketen und Drohnen Richtung Israel, haben aber einige wichtige Köpfe verloren.
Auch in Iran selbst griff Israel im Frühsommer an. Das Atomprogramm – erklärtes Ziel der Militäroffensive – wurde recht empfindlich getroffen. Zwar soll Iran sein bis dato angereichertes Uran beiseite geschafft haben, aber die Fähigkeit, es neu zu produzieren, wurde nach Expertenmeinung deutlich zurückgeworfen. Zudem demonstrierte Israel tagelang seine Lufthoheit über dem etwa 1.000 Kilometer entfernten Staat.
Und nur acht Geiseln konnte das Militär in den vergangenen beiden Jahren befreien
Aus der Perspektive Netanjahus und anderer Hardliner in Israel konnte es in den vergangenen beiden Jahren also einige sicherheitspolitische Erfolge verbuchen. Im Gazastreifen, so analysieren es auch viele israelische Sicherheitsexperten, hingegen weniger: Zwar hat die Hamas definitiv Macht und Geld und führende Köpfe eingebüßt. Doch sie ist nach wie vor im Gazastreifen aktiv, kontrolliert weiter große Teile der Zivilbevölkerung mit eigens dafür abgestellten Kämpfern.
Und nur acht Geiseln konnte das Militär in den vergangenen beiden Jahren befreien – jedes Mal mit einer großen Zahl palästinensischer ziviler Opfer. Für zwei Jahre eines brutalen Kriegs, den führende Völkerrechtler sogar als Genozid betrachten, fällt die Bilanz also äußerst mau aus. Und auch Israels Militär bezahlt einen hohen Preis, fast 950 Soldaten wurden in den vergangenen beiden Jahren getötet. Und an der Frage, ob ein Geiseldeal kommen muss, auch wenn die Hamas an der Macht bleibt, zerbricht seit zwei Jahren die israelische Gesellschaft immer mehr.
Auch Netanjahu muss also klar sein: Für immer weiterführen kann er diesen Krieg kaum. Der Trump-Plan kann ein Ausweg sein.
Nun müssen Netanjahu – wie auch die Hamas – ihn mit Ernsthaftigkeit zu Ende verhandeln. Und dann auch umsetzen.
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