Abschiebehaft: Haft ohne Tat

In Rendsburg sind bis zu 40 Männer inhaftiert, die aus Schleswig-Holstein abgeschoben werden sollen. Ein ungeliebter Ort - aber wie man ihn schließen kann, weiß so recht niemand.

"Viel Gerede, aber kein Streit": Dewonta Ammon sagt nichts Schlechtes über die Abschiebehaft - und steht damit ziemlich alleine da. Bild: Thomas Eisenkrätzer

RENDSBURG taz | Die Abschiebehaft in Rendsburg ist ein ungeliebter Ort: Die Landesregierung will sie am liebsten schließen, Hilfsorganisationen kritisieren lange Haftzeiten und den Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen. Der Besuchsraum der Abschiebehaftanstalt in Rendsburg ist ein Ort, an dem die meisten Geschichten gemurmelte Hilfeschreie sind. Die Geschichte von Dewonta Ammon gehört nicht dazu.

Er sitzt in lässiger Haltung an einem der hellen Tische, sein rotes Sweatshirt leuchtet vor den gelben Wänden. Seine Rasta-Locken fliegen, wenn er lacht. Sein Englisch klingt weich, lässig und geübt: In seiner Heimat Guinea sei er Fremdenführer, sagt er. Mit seiner deutschen Freundin sei er in Skandinavien gewesen, irgendwann lief sein Visum ab, aber Deutschland lockte. In Hamburg feierten sie Party, alle Leute waren nett: „Ich war der einzige Schwarze dort, aber ich fühlte mich wie zuhause“, sagt Ammon vergnügt. „Deutschland ist echt das beste Land.“ Und nun gibt’s noch ein paar Tage Urlaub in den freundlichen Räumen der Abschiebehaft. Tee und Kaffee kriege man den ganzen Tag, das Essen sei in Ordnung und duschen könne man auch, wann man wolle. Er schaue fern, sagt der 42-Jährige, Stress gebe es nicht: „Viel Gerede, aber keinen Streit und keine Gewalt.“

Er scheint eine andere Einrichtung zu meinen als die, die Solveig Deutschmann seit Jahren regelmäßig besucht. Die blonde Frau sitzt am Nebentisch des Besuchsraums mit einem Mann, er ist blass unter dem dunklen Bart, hektisch, die dunklen Augen sind zu groß und halten nichts fest. Ein schwieriger Fall, sagt Deutschmann später, nicht mehr – sie redet nicht über ihre Klienten, Datenschutz. Alle Fälle sind schwierig, um viele Schicksale macht sie sich Gedanken.

Knapp und schwierig

Auch im Sonnenschein in einem Café einige hundert Meter weit weg von den Ziegelmauern der Hafteinrichtung kann Deutschmann nicht richtig abschalten, sondern macht Listen: den Anwalt anrufen, ein Fax mit einem Dokument abschicken, eine Frist einhalten. Solveig Deutschmann ist 1991 in die Flüchtlingshilfe eingestiegen, damals ging es um Menschen, die vor dem Krieg in Bosnien flohen. Die Gruppen wechseln, die Schicksale bleiben, und es ist immer eng, immer schwierig.

„Für die Leute geht es um ihr Leben“, sagt sie. „Solange sie inhaftiert sind, kann man eigentlich nicht helfen, sondern erst, wenn sie draußen sind.“ Aber natürlich versucht sie es, in jedem Fall wieder. Helfen liegt ihr: Die gelernte Krankenschwester arbeitet als Schulbegleitung für Kinder mit Behinderungen, die Flüchtlingsarbeit macht sie ehrenamtlich. Über die Lage in der Abschiebehaft sagt sie knapp: „Knast eben.“

Das Gefängnis für Männer, die aus Schleswig-Holstein abgeschoben werden sollen, liegt mitten in Rendsburg, nicht weit vom Nord-Ostseekanal. Von der Schönheit des Landes sehen die Insassen meist nur Fotos an den Wänden, von Meer, Strand und Wald-Bächen, die ein Hobby-Fotograf unter den Wärtern gemacht hat.

Die Haftanstalt versteckt sich zwischen hohen Ziegelmauern hinter dem Amtsgericht. Es ist kein großes Gebäude, zwei Stockwerke, 30 Räume, in denen bis zu 40 Männer untergebracht werden können – weibliche Flüchtlinge werden in eine Sammelunterkunft außerhalb von Schleswig-Holstein geschickt. Hinter dem Eingangstor liegt ein Gärtchen, hinter dem Haus gibt es einen Hof, in dem ein wenig Sport getrieben werden kann, ein verschossener Ball hängt als schlappe Hülle im Stacheldraht auf der Mauerkrone.

Die Tage in der Haft sind lang: Man wartet auf einen Anruf, einen Beschluss, eine Entscheidung. Die Zeit muss herumgebracht werden, abgesessen. Es gibt einen Gemeinschaftsraum am Ende des Zellengangs, dort sitzt eine Gruppe von Männern um ein Brettspiel, alle gucken kurz auf, aber keiner rührt sich. Die meisten Zellentüren sind geschlossen und ein Mann, der den Gang fegt, geht in seine Zelle und zieht die Tür halb zu. Aus einem Halbsatz wird klar, dass den Männern gesagt wurde, besser keine Gespräche mit den Gästen anzufangen – um Unruhe zu vermeiden. Natürlich sei es möglich, mit einem Inhaftierten zu sprechen, ausgeguckt wird Dewonta Ammon, der die Beamten lobt: „Sehr höflich und korrekt.“ Und er beteuert: „Hey, warum sollte ich lügen? Die schieben mich so oder so ab.“

Dewonta Ammon sieht es cool: Er sei nun mal ohne gültiges Visum eingereist, also sei die Strafe angemessen. Mit der Meinung steht er allein, die meisten sind geschockt, sich im Gefängnis wiederzufinden, berichtet Solveig Deutschmann: „Den Flüchtlingen wird gesagt, sie kämen in eine Unterkunft oder ein Camp. Andere gehen freiwillig zur Polizei und wollen Asyl beantragen, aber da sie über ein EU-Land eingereist sind, landen auch sie hier.“

Viel Elend

„Man sieht viel Elend und manchmal will man die Leute anders behandeln“, sagt Jan Dose. „Aber es gibt einen gesetzlichen Auftrag, den wir ausführen müssen. Und würden wir schließen, wäre es anderswo besser?“ Dose ist der Leiter der Abschiebehaft, ein gemütlicher Mann, jovial, kräftig, die Krawatte etwas zu kurz, um elegant zu sein; in seinem Büro hängen putzige Poster: Tim und Struppi, bunte Papageien und ein bräsig guckender verknautschter Hund.

Dose führt durch sein Reich, er spricht von „gutem Vollzug“, von den Vorzügen des historischen Gebäudes mit seinen teilweise absurd hohen Decken und dem offenen Treppenhaus. Jüngst wurde renoviert, die Wände sind weiß gehalten, die Türen grau abgesetzt: Altbaucharme. Das Gefängnis hat einen Sportraum mit einer einsamen Sprossenwand bekommen und einen schlicht gehaltenen „multi-religiösen Gebetsraum“. Neu ist auch, dass es einen Internetzugang geben soll. Für die Hilfsorganisationen sind das alles Kleinigkeiten, die die Lage nicht ändern. Ministerin Spoorendonk aber lobt die „deutlichen Verbesserungen“.

Haft trotz Folter

Die Unterbringung solle „so humanitär und sozial gerecht und in der medizinischen Betreuung so gut wie möglich“ gestaltet werden, „bis die angestrebte bundesgesetzliche Abschaffung der Abschiebehaft erreicht“ sei, sagte Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW) kürzlich nach einem Besuch in Rendsburg. Das klingt hilflos, vor allem angesichts der Vorwürfe, die der Beirat der Abschiebehaftanstalt Jahr für Jahr erhebt: „Flüchtlinge mit zum Teil dramatischen Erlebnissen von Erschießungen und selbst erlittener Folter wurden im vergangenen Jahr bis zu 97 Tage inhaftiert, im Durchschnitt 27 Tage“, heißt es im diesjährigen Bericht des Landesbeirats, in dem Hilfsorganisationen wie Diakonie und Flüchtlingsrat vertreten sind.

Etwa jeder vierte Flüchtling sei traumatisiert, schätzt der Psychologe Hajo Engbers, der seit Jahren mit Flüchtlingen arbeitet. Eine Diagnose hilft manchmal, die Abschiebung zu verhindern, aber nicht immer, wenn es in einen anderen EU-Staat geht. Und ob der Psychologe alle Betroffenen sieht, ist nicht gewährleistet. Flüchtlingsorganisationen fordern daher eine Begutachtung für alle, die ins Land kommen.

Jugendliche in Haft

Ein zweiter, harscher Kritikpunkt ist, dass immer noch Jugendliche in der Haft landen statt, wie gesetzlich vorgesehen, in einem Heim für Jugendliche. Auch unter der jetzigen Landesregierung gab es diese Fälle. Dabei ist es gar keine Frage: Die Abschiebehaft hat kaum Freunde. Nicht nur die Hilfsorganisationen und Freiwilligen, die sich um die Insassen kümmern, sondern auch die jetzige Landesregierung aus SPD, Grünen und der Minderheitenpartei SSW würden sie am liebsten schließen.

Aber das ist leichter gesagt als getan: Die meisten Häftlinge werden von der Bundespolizei gebracht, Bundes- und EU-Gesetze regeln ihre Unterbringung. Aber die Abschiebehaft bedeutet eine Ungerechtigkeit, eine Verletzung deutscher Normen: Wer hier einsitzt, soll daran gehindert werden, unterzutauchen und sich so der Abschiebung zu entziehen – ein vermutetes Fehlverhalten, das bestraft wird wie ein begangenes Verbrechen.

Zurzeit tagt eine Arbeitsgruppe der Ministerien für Inneres und Justiz, um die Zukunft der Abschiebehaft auszuloten. Norbert Scharbach, Abteilungsleiter im Innenministerium, zählt die Fragen auf: „Will man das Instrument überhaupt noch oder gibt es Alternativen wie elektronische Überwachung oder Meldepflicht? Solange es die Haft gibt, wie wird sie ausgestattet? Und wenn Rendsburg schließt, was wäre die Alternative?“

Im Herbst, nach der Bundestagswahl, will die Landesregierung im Bundesrat versuchen, Abschiebehaft grundsätzlich verbieten zu lassen. Bis dahin geht es in Rendsburg weiter, in diesem Zwitter-Gefängnis mit verschlossenen Türen nach draußen und offenen Zellen drinnen.

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