Abschiebung trotz Ausbildungsvertrag: Aus dem Bett geholt, ins Flugzeug gesetzt
Rouaa und Ibrahim hatten ihre Ausbildungsverträge unterschrieben und hätten damit bis zum Abschluss bleiben dürfen. Trotzdem wurden sie abgeschoben.
 
Die Polizei kam in der Nacht: Gegen vier Uhr morgens drangen Beamt:innen in die Wohnung der syrischen Familie Seleman ein, führten die Geschwister Rouaa (24) und Ibrahim (28) ab und setzten sie in ein Flugzeug. Dabei sollten beide eine Ausbildung antreten. Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein nennt das „Behördenwahnsinn“. Das zuständige Sozialministerium spricht von einem besonderen Fall und stellt eine Lösung in Aussicht.
„Nächtliche Abschiebungen sollten laut Gesetzesgeber die Ausnahme sein, kommen aber traurigerweise häufig vor“, sagt Leonie Melk, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein. Sie sieht den Fall, der sich in der Nacht zu Donnerstag in Sülfeld im Kreis Segeberg ereignete, als Teil der aktuellen harten Linie gegen jedwede Migration: „Die Abschiebungen von Personen in Ausbildung oder Arbeit zeigen, dass es schlicht um die Erhöhung der Zahlen geht und weder der Schutz der Betroffenen noch ihre Potentiale für den Arbeitsmarkt ernst genommen werden.“
Seit fünf Jahren in Deutschland
Seit 2020 lebt die aus Syrien stammende Familie Seleman in Deutschland. Die ältesten Kinder Rouaa und Ibrahim hatten kürzlich Ausbildungsverträge in einer Bäckerei unterschrieben, was eigentlich eine Duldung zumindest für die Zeit der Ausbildung bedeutet. Zudem gilt generell ein besonderer Schutz für Kranke – beide Geschwister seien bereits wegen Depressionen in Behandlung gewesen, teilt der Flüchtlingsrat mit. Nun sind sie in Griechenland, „ohne persönliche Gegenstände oder Gepäck, denn Zeit zum Packen wurde ihnen nicht gewährt“.
Griechenland war das erste EU-Land, das die Familie bei ihrer Flucht betrat. Dort war den ältesten Kindern ein sogenannter subsidiärer Schutzstatus zugesprochen worden. Damit seien sie eben auch nur dort aufenthaltsberechtigt, sagt Hanna Beyer, Sprecherin des Kieler Sozialministeriums, der taz. Die Anträge auf Asyl in Deutschland seien vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Hinweis auf den bestehenden Schutz in Griechenland abgelehnt worden. „Die Rechtsmittel waren ausgeschöpft.“
Zuständig war dann das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge in Schleswig-Holstein, das dem von Aminata Touré (Grüne) geführten Ministerium untersteht. „Das Landesamt habe die Betroffenen „über mehrere Monate intensiv und mit Unterstützung von erfahrenen NGOs“ beraten, berichtet Beyer.
Leonie Melk, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein.
Das Amt habe den Vorschlag gemacht, dass Rouaa und Ibrahim Seleman freiwillig nach Griechenland ausreisen und dort einen Antrag stellen, um über das Fachkräfteprogramm wieder einzureisen. „Von dieser Option – inklusive der vorherigen Planung der Modalitäten einer Rückkehr nach Deutschland – wollten die Betroffenen keinen Gebrauch machen“, sagt die Ministeriumssprecherin.
In Griechenland droht Obdachlosigkeit
Der Flüchtlingsrat verweist dagegen auf die Lage in Griechenland: Vielen Geflüchteten, die dorthin abgeschoben werden, drohe ein Leben in Obdachlosigkeit, denn es gibt fast keine staatliche Unterstützung. Ihren Lebensunterhalt könnten sich die Betroffenen „nur in der Schattenwirtschaft“, also mit halblegalen Jobs, sichern. Zudem kritisiert der Rat die Art der Festnahme. Der nächtliche Einsatz sei nicht nur für die nun abgeschobenen Geschwister traumatisierend, sondern auch für die anderen Familienmitglieder. Die Mutter der beiden habe einen Zusammenbruch erlitten.
Ja, Abschiebungen seien mit Härten verbunden, heißt es aus dem Ministerium. Und ja, es sei oft unverständlich, warum gut integrierte Personen auf diese Weise außer Landes gebracht würden. Ministerin Touré setze sich daher für rechtliche Änderungen auf Bundes- und auf europäischer Ebene ein, eine entsprechende Bundesratsinitiative sei in Arbeit.
Für die beiden Geschwister gibt es einen Weg zurück, so das Ministerium. Zwar gilt nach einer Abschiebung eigentlich eine 30-monatige Sperre. Die könne aber auf Antrag verkürzt werden. „Das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge hat bereits signalisiert, einen solchen Antrag wohlwollend zu prüfen“, sagt Beyer. Das Ministerium stehe dabei beratend zur Seite.
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