Abschied eines Berliner Plattengeschäfts: Ein Laden in der Auslaufrille

Nicht nur Vinylnerds kennen den Plattenladen Mr. Dead und Mrs. Free in der Berliner Bülowstraße. 1983 wurde er eröffnet, nun macht er zu.

Eine Frau, Katharina Winkelsvor

Die Plattenhändlerin Katharina Winkelsvor in ihrem Laden Mr Dead and Mrs Free Foto: Julia Baier

„Gut, verkaufen wir halt mal ein paar Platten.“ So dachten sich Katharina Winkels und Volker Quante das damals, im Frühjahr 1983. Erst wenige Monate waren die beiden zu jener Zeit in Westberlin, aus Bochum hatte es sie an die Spree verschlagen. Quante war wie so viele Zugezogene auf der Flucht vor der ­Bundeswehr; Winkels, die in Jugendtagen auch mal mit ihm zusammen war, schloss sich ihm an.

Die beiden landeten im Szeneviertel Schöneberg. Und irgendwie musste das Geld reinkommen. Schon im Ruhrgebiet waren sie mit der Postpunkszene verbandelt gewesen, Quante hatte zum Beispiel die Einstürzenden Neubauten bei einem Konzert abgemischt. So lag es nicht allzu fern, einen Plattenladen zu eröffnen: „Wir haben uns gesagt, wir machen das, bis uns etwas Besseres einfällt“, erinnert sich Winkels heute.

Aus der Zwischenlösung Plattenladen sollten am Ende 35 Jahre werden. In diesen 35 Jahren ist Mr. Dead and Mrs. Free, so der Name des Ladens, zur Legende geworden. Denn nicht nur Sammler und Vinylnerds kennen den Shop in der Bülowstraße, der etwas versteckt im Erdgeschoss eines 1960er-Jahre-Neubaus liegt und den man an den im Fenster stehenden LPs und den violetten Fensterrahmen erkennt.

Nein, viele Musikliebhaber, die nach Berlin kommen, suchen gezielt diesen Plattenladen auf. Weil er von ihresgleichen betrieben wird. Weil er bis heute so unaufgeregt daherkommt. Weil er sich nicht um Trends und Hypes schert.

Viele Fächer sind schon leer

Nun aber ist tatsächlich Schluss mit „Dead and Free“. Kommenden Samstag wird der Laden zum letzten Mal seine Pforten öffnen, schon jetzt, beim Besuch Ende Januar, sind viele Fächer leer, der Ausverkauf ist im Gange. „Es macht nicht mehr so viel Spaß wie früher“, erklärt „Ina“ Winkels, „heute kaufen die Leute ihre Platten bei Amazon oder Saturn, manchmal stehen sie mit den Smartphones in der Hand im Laden, vergleichen die Preise und schauen, ob sie die Platten nicht woanders billiger bekommen.“

Dies sei ein Grund, warum sie dichtmachten, aber nicht der alleinige. Die Umsätze seien insgesamt noch okay gewesen. Aber ihr Kollege Quante, der sich während des Interviews mit einer Grippe plagt und beim Gespräch nicht dabei sein kann, sei inzwischen 60, sie selbst 55 Jahre alt. Für beide ein guter Zeitpunkt, um noch mal etwas anderes zu machen.

Katharina Winkels alias Mrs. Free

„In den Achtzigern kamen häufig die Omis aus Ostberlin“

Mr. Dead and Mrs. Free ist ein typisches Westberliner 80er-Jahre-Kind. Anfang der Dekade traf sich rund um den Nollendorfplatz die Szene, vor allem das Loft (später Metropol) war ein Hotspot des Punk- und New-Wave-Treibens. Für „Musikbesessene, wie wir es waren“, früher der beste Ort in Deutschland, vielleicht in Europa. „Die Gegend war viel rock’n’ rolliger damals. Das Hippe ist heute weg. Aber vielleicht kommt das ja wieder.“

Winkels und Quante mieteten Anfang 1983 den Laden in der Bülowstraße 5 an. 42 Quadratmeter, 550 D-Mark. Sie benannten ihn nach einem kurz zuvor im New Yorker Squat Theatre gelaufenen Musiktheaterstück. „Das passte gut: Volker war Mr. Dead, ich war Mrs. Free“, sagt Winkels. Die Fenster waren mit schuld, dass die Wahl auf dieses Objekt fiel: Sie waren klein und quadratisch. Ideal, um LPs auszustellen.

Viele Stammkunden gewonnen

In den ersten 15 Jahren hätten sie mehr Geld gemacht, als sie sich hätten träumen lassen, sagt Winkels. Sie sitzt in einer kleinen Büroecke hinter dem Tresen und serviert Tee. Auf dem Boden und in den Regalen stehen Alben und Singles von Frank Sinatra, den Smashing Pumpkins, Velvet Underground. Winkels erinnert sich an die Anfänge: „In den Achtzigern kamen die Omis aus Ostberlin häufig zu uns. Sie haben für ihre Enkel Platten aus dem Westen gekauft. Man erkannte sie an so kleinen handbeschriebenen Zetteln, darauf hatten sie notiert, was im Radio gelaufen war. Meistens gaben wir ihnen die Platten etwas billiger – für die war es ja ein Vermögen, was die kosteten.“

Mr. Dead and Mrs. Free hat in der Frühzeit viele Stammkunden gewonnen, die bis zum heutigen Tage kommen, manche sogar an festen Wochentagen, sodass man die Uhr nach ihnen stellen könne, so Winkels. Vielleicht ein Grund, warum ihr Laden immer antizyklisch funktioniert habe – weder den großen Einbruch des Vinylmarktes habe man in den Neunzigern und Nullerjahren stark gespürt noch das Comeback der Schallplatte in den vergangenen Jahren.

Froh ist die Noch-Mrs.-Free, dass ihr Laden zu keiner Zeit zu einem normalen Betrieb geworden sei – man habe sich immer als Kollektiv verstanden (zu dem zwischenzeitlich auch Tim Schneck vom Karrera Klub gehörte). „Keiner von uns hat je 40 Stunden in der Woche gearbeitet“, sagt sie, „wir haben immer versucht, uns Dinge zu ermöglichen, die wir neben der Arbeit machen wollten.“ Winkels etwa studierte Medizin, brach das Studium dann ab und machte eine Heilpraktikerinnen-Ausbildung. Sie war zwischenzeitlich zehn Jahre gar nicht im Laden, bekam drei Kinder.

Mr. Dead and Mrs. Free erzählt auch eine Geschichte aus einer anderen Zeit, und manche Leute betrachteten den Laden auch wirklich fast wie ein Museum, sagt Winkels. Neben Institutionen wie „Platten Pedro“ in Charlottenburg zählen sie zu den ältesten Vinylläden Berlins, „vielleicht sogar der älteste mit Neuware“. Rock, Pop, Blues, Soul, Ska und vieles Weitere – man stand von jeher für ein breites Spektrum an Musik. Viele Prominente wie Meret Becker oder Bela B. kauften hier, für Winkels und Quante waren sie eher Freunde als Stars.

Ein langer Weg

Und dennoch: „Es fühlt sich richtig an, den Laden jetzt zu schließen“, erklärt Winkels, um kurz darauf nachzuschieben: „Ich bin schon wehmütig zwischendurch. Man ist einen langen Weg mit den Besuchern gegangen. So ein Laden verbindet. Seit bekannt ist, dass wir schließen, wird uns vor Augen gehalten, welche große Bedeutung wir im Leben mancher Menschen hatten.“

Wenn sie ein bisschen dar­über nachdenkt, verwundere sie das auch nicht. „Wir sind so etwas wie ein Gegenpol zu der Funktioniermaschinerie da draußen“, glaubt sie. Sie denkt an die Männer – hauptsächlich sind ihre Kunden Männer –, die sich zwischen Arbeit und Familie die Zeit nähmen, wenigstens für einen kurzen Abstecher in den Laden kommen. „Die tun hier was für ihre Seelen“, sagt Winkels.

Vielleicht trifft das ja auch auf den Mann mittleren Alters mit Brille und Jackett zu, der nun an der Theke steht. Der Mann steckt die erworbene Schallplatte ein und zahlt. „Macht ihr jetzt ganz zu oder zieht ihr nur um?“, fragt er. Katharina Winkels muss ihn enttäuschen. „Na ja, alles Gute dann“, sagt er.

Winkels will in naher Zukunft im Bereich Therapie und Coaching arbeiten. Volker Quante will erst mal eine Pause machen und in die Toskana fahren. Und dann? Mal sehen. In die Bülowstraße 5 wird nun wieder ein Plattenladen einziehen. Ein Second-Hand-Shop. Für all die Dead-and-Free-Fans dürfte das ein Trost sein. Wenn auch ein schwacher.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.