Abstieg der Türkei: Das Ende des Wirtschaftswunders

Der Niedergang begann mit Gezi-Park: Seitdem wittert Präsident Erdogan Verschwörer, die den ökonomischen Erfolg seines Landes untergraben wollen.

Sichtbarster Ausdruck des Wirtschaftsbooms waren bislang die Tag und Nacht kreisenden Baukräne – wie hier in Istanbul. Bild: reuters

ISTANBUL taz | Die Nacht von Dienstag auf Mittwoch markiert das vorläufige Ende des Wirtschaftswunders am Bosporus. Bis nach Mitternacht tagte der Vorstand der türkischen Zentralbank, um eine schwierige Entscheidung zu fällen. Wie können sie den Währungsverfall der Lira stoppen? Die Zentralbank entschied sich für höhere Leitzinsen. Von 4,5 Prozent auf 10 Prozent steigen die Leitzinsen. Die Übernachtzinsen, für die sich Banken von der Zentralbank Geld leihen, steigen von 7,75 auf 12 Prozent.

Finanzexperten hatten mit einer Zinserhöhung gerechnet, aber nicht mit einer so drastischen. „Schwere Zeiten erfordern drastische Maßnahmen“, sagte Analyst Gennadiy Goldberg vom Finanzhaus TD Securities. Tatsächlich zeigte der Zinsschritt am Mittwochmorgen bereits Ergebnisse. Von den knapp 30 Prozent, die die türkische Lira in den letzten zehn Monaten gegenüber dem Dollar verloren hat, machte sie auf einen Schlag fast 10 Prozent wieder gut.

Monatelang hatte sich die Zentralbank gegen eine Zinserhöhung gestemmt. Denn höhere Zinsen verteuern Kredite für Unternehmer und Konsumenten und drücken das abgeschwächte Wirtschaftswachstum der Türkei weiter in den Keller. Zehn Jahre punktete die Türkei mit einem Wirtschaftswachstum von 6,5 bis 10 Prozent pro Jahr. 2013 war das Wachstum des Bruttosozialprodukts schon unter 4 Prozent gefallen, eine Erholung ist nach der Zinserhöhung nicht in Sicht.

Auf Druck der Regierung hatte die Zentralbank 2013 öfter versucht, den Wertverfall der Lira durch Stützungskäufe aufzuhalten. Mehr als 10 Milliarden Dollar verpulverte sie, ohne den Fall der Lira zu bremsen. Neben den globalen Ursachen sind dafür hausgemachte Probleme verantwortlich.

Kapital abgezogen

Der Niedergang begann im Sommer mit den Reaktionen der Regierung auf die landesweiten Proteste nach den Demonstrationen um den Istanbuler Gezipark. Statt auf die Kritiker seiner Politik zuzugehen, ließ Erdogan die Polizei härter zuschlagen und provozierte eine landesweite Solidarisierung.

Erdogan machte eine internationale Verschwörung hinter den Protesten aus, deren Ziel es sei, den ökonomischen Erfolg der Türkei zu untergraben. Als er gegen die „internationale Zinslobby“ wetterte, die im Hintergrund die Fäden ziehe, fassten sich viele ausländische Anleger an den Kopf und begannen, ihr Kapital aus der Türkei abzuziehen.

Dieser Trend beschleunigte sich im Dezember. Erdogan reagierte nach der Aufdeckung massiver Korruptionsfälle in seinem Umfeld erneut mit einer Verschwörungstheorie. Dieses Mal waren es Mitglieder einer islamischen Sekte, die in Justiz und Polizei einen Parallelstaat aufgebaut haben sollen, der nun, wiederum im Verein mit ausländischen Mächten, ihn zu Fall bringen will. Mit seiner Kampagne gegen die türkische Justiz stellte Erdogan die Rechtssicherheit der Türkei infrage. Als der türkische Unternehmerverband das kritisierte, wurde er von Erdogan als „Hort von Verrätern“ denunziert. Der Kapitalabfluss beschleunigte sich.

Paläste sind in Dollars finanziert

Die Türkei ist auf die Dollars ausländischer Anleger angewiesen. Zum einen, um den Bauboom zu finanzieren, zum anderen, um das wachsende Außenhandelsdefizit auszugleichen. Sichtbarster Ausdruck des Wirtschaftsbooms waren bislang die Tag und Nacht kreisenden Baukräne, mit denen die Hochhäuser in Istanbul, Ankara und Izmir hochgezogen werden.

Die Türkei hat noch keine Immobilienblase, denn die wachsende Bevölkerung und die anhaltende Migration vom Land in die Städte sorgen für einen enormen Bedarf an Wohnraum. Dennoch wurden viele der Luxusskyscraper an diesem Bedarf vorbeigebaut. Gerade diese Paläste sind in Dollars finanziert und könnten Baufirmen in die Pleite reißen, wenn der Dollar teurer wird.

Noch wichtiger aber sind die Energieimporte. Das Defizit im Außenhandel entsteht vor allem durch die Öl- und Gasimporte aus Russland, die durch den Boom ständig gestiegen sind. Sie müssen in Dollar bezahlt werden. Falls die Lira weiter fällt und keine neuen Dollars ins Land kommen, könnte die Türkei die Energieimporte kaum mehr tragen. Die Folge wären steigende Energiekosten für Heizung, Benzin und die industrielle Produktion. Damit käme die Abwärtsspirale erst recht in Gang.

Also wurden die Zinsen erhöht, damit sich Investments für ausländische Anleger wieder lohnen. Noch ist die Türkei nicht in einer echten Krise. Wenn der Währungsverfall nicht dauerhaft gestoppt wird und die politische Lage sich nicht stabilisiert, wird es aber nicht mehr lange dauern.

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