Abstiegsangst beim HSV: Gefahrengebiet Imtech-Arena

Nach der heftigen Niederlage gegen Hertha BSC machen die Fans des HSV ihrem Frust Luft. Die Polizei muss eingreifen. Die Verunsicherung in der Mannschaft ist groß.

Heiko Westermann im Gespräch mit Fans Bild: dpa

HAMBURG dpa | Beim Hamburger SV sorgt die Abstiegsangst für Hass und Gewalt. Die Führungscrew und die Mehrzahl der Fans sind nach der bitteren Heimniederlage in Schockstarre, die radikale Fraktion der HSV-Anhänger verschärft die Situation noch. Nach dem 0:3 gegen Hertha BSC kommt es am Samstagabend zum Aufruhr: Fans attackieren Spieler, treten auf deren Autos ein und schlagen sich anschließend selbst die Köpfe blutig. Die Polizei greift mit Pfefferspray und Schlagstöcken ein.

Die in 51 Bundesliga-Jahren noch nie erreichte Negativserie von sechs Niederlagen bringt die HSV-Anhänger in Rage. Der drohende Abstieg ihrer Mannschaft, die immer nur erstklassig war, ist für sie nicht hinnehmbar. Schon am Tag nach dem Debakel, am Sonntagnachmittag, sollte der Aufsichtsrat tagen.

„Scheiß Millionäre“, grölen rund 250 Fans auf dem Parkplatz vor dem Stadion, als Rafael van der Vaart vor sie tritt. Der Kapitän stürmt wütend auf eine Fangruppe zu, die ihn beschimpft. Er schubst und wird geschubst. Bierbecher fliegen. Später wird gegen die abfahrenden Autos von Leihspieler Ola John und Tolgay Arslan getreten. Polizei und Ordnungskräfte müssen die Abfahrt der Profis sichern. Die Wut trifft auch die Vereinsführung: „Vorstand raus“, schallt es über den Platz. Präsident Carl Jarchow stellt sich den aufgebrachten Anhängern. „Jarchow raus“, echot es aus der Menge. „Es ist eine gewisse Frustrationsgrenze erreicht“, sagt der Clubchef.

Oliver Scheel, als Vorstands-Vize zuständig für Mitglieder-Belange, greift die randalierenden Fans an. „Was da passiert ist, geht zu weit“, bekennt Scheel am Sonntagmorgen. Er will polizeiliche Ermittlungen abwarten und dann Maßnahmen durch den Verein gegen die Täter einleiten. „Ich habe mit den Spielern gesprochen. Manche stecken das, was passiert ist, nicht so gut weg.“ Die Folge: Es wird noch mehr Verunsicherung auf dem Rasen herrschen.

Der Trainer bleibt

Noch am Samstagabend sollen Aufsichtsratsmitglieder die Trennung von Trainer Bert van Marwijk gefordert haben, meldet die Bild am Sonntag. Eine Bestätigung dafür gibt es nicht. Der Vorstand ist gegen eine Trennung vom Coach. „Der Trainer bleibt definitiv“, betont Sportchef Oliver Kreuzer. „Wir haben kein Trainerproblem, wir haben ein Defensivproblem.“

Van Marwijk soll den HSV auf jeden Fall am Mittwoch im DFB- Pokalviertelfinale gegen Bayern München und am nächsten Samstag beim Tabellenletzten Eintracht Braunschweig betreuen. Kreuzer: „Wenn ich wüsste, ein anderer Trainer sitzt draußen, und mit dem spielt die Verteidigung besser, wechsel ich gleich morgen. Aber das Gefühl habe ich nicht.“

In der gegenwärtigen Verfassung kann die Hamburger Mannschaft in der Bundesliga nicht bestehen. „Wir stehen sehr nahe vor der Zweitklassigkeit“, gibt auch Kreuzer zu. Erschütternd, wie ansonsten begnadete Fußballer wie van der Vaart, Hakan Calhanoglu oder Milan Badelj scheinbar alles verlernt haben. Die Verunsicherung hat ihr Selbstvertrauen wohl aufgefressen. Selbst Nationalspieler sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Fehlleistungen der Innenverteidiger Heiko Westermann, deutscher Nationalspieler, und Johan Djourou, Schweizer Nationalspieler, sprechen Bände. „Nichts“, sagte Westermann, als er gefragt wird, was ihm zur Leistung der Mannschaft einfällt.

Marwijk appelliert verzweifelt an die Spieler: „Wir steigen nicht ab! Wir haben noch 14 Spiele.“ Überzeugt scheint das Team nicht zu sein. „Ich weiß nicht, ob eine Situation schon einmal so erdrückend war wie im Moment“, stöhnt Außenverteidiger Marcell Jansen. Seit Saisonbeginn sammelt der HSV Gegentreffer, derzeit steht das Team bei 47. In der Rückrunde gingen alle drei Partien mit 0:3 verloren. Jansen: „Wir sind eigentlich immer nur in der Defensive.“

Torhüter René Adler, der nach längerer Verletzungspause erstmals wieder im Kasten stand, warnt: „Wir müssen aufpassen, dass die Mannschaft nicht auseinanderbricht.“ Er hatte mit einem gehaltenen Foulelfmeter von Doppeltorschütze Adrian Ramos eigentlich das Signal für einen leidenschaftlichen Kampf seines Teams gegeben. Wenige Sekunden später ging Hertha mit 1:0 in Führung und zerlegte anschließend das Gastgeberteam. „Ich glaube, jeder hat Angst“, gesteht Adler und ergänzt kämpferisch: „Wir liegen heute am Boden, aber spätestens morgen stehen wir wieder auf.“

Das Pokalspiel gegen Bayern München am Mittwoch kommt zur Unzeit. „Da erwartet niemand etwas von uns“, sagt Kreuzer. Torhüter Adler will hingegen „gute Situationen sammeln“, um das Selbstbewusstsein zu stärken. Eine deftige Niederlage kann aber auch das Gegenteil bewirken.

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