Abstimmung über SPD-Vorsitz: Die Legende von der linken Basis

Die Groko-Frage ist für die Stichwahl zum SPD-Vorsitz im November wichtig, aber keineswegs alles. Die SPD-Basis hat mittiger abgestimmt als vermutet.

ie Kandidatenpaare Olaf Scholz (l-r) und Klara Geywitz sowie Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken steht zusammen auf der Bühne nach der Bekanntgabe des Ergebnisses des Mitgliedervotums zum Parteivorsitz der SPD im Willy-Brandt-Haus

Gesucht: neue Ideen für die SPD, die Applaus verdient haben Foto: Jörg Carstensen/dpa

Beim Votum der SPD-Basis über ihren Parteivorsitz ging es nicht nur um links gegen rechts, um Groko oder Opposition. Es ging um viele verschiedene Kriterien: um Performance, Argumente, und Alter. Deswegen gibt es keine haushohen Sieger. Nur 8 Prozentpunkte liegen zwischen dem Team Scholz/Geywitz und den Fünftplatzierten. Die Entscheidung, ob die SPD mehr nach links will oder in der Mitte bleibt, wird erst beim Duell Scholz/Geywitz gegen Esken/Walter-Borjans fallen.

Über die SPD-Basis hält sich eine hartnäckige Legende: Im Grunde tickt sie sehr links, nur kommt das nie so recht zum Vorschein. Die SPD-Basis hat zwei Mal über die Groko abgestimmt – und beide Male dafür votiert. Eigentlich aber, so die Legende, hätte sie gerne „Nein“ gesagt. Doch weil ein Basis-Nein die Parteispitze, die ja komplett für die Groko war, hinweggefegt hätte, fügten sich die GenossInnen missmutig. Denn ihre Führung arbeitslos machen – so etwas tun SozialdemokratInnen nicht. Eigentlich aber sehnt sich die SPD-Basis nach einer schwungvollen Wende nach links.

Das ist, wie man nun sieht, eher nicht so. Die Wahl der SPD-Vorsitzenden ist frei von zentnerschwerer staatspolitischer Verantwortung. Ein deutliches Votum gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz wäre zwar nicht schön für die SPD-MinisterInnen gewesen. Aber das sofortige Aus für die Groko hätte es auch nicht bedeutet. 22 Prozent haben Scholz/Geywitz gewählt, nicht weil sie müssen, sondern weil sie wollen. Die SPD-Basis ist mittiger, konsensorientierter als vermutet. Kevin Kühnert hat das vorab ziemlich klar gesehen: Eine Figur wie der Traditionslinke Jeremy Corbyn sei bei der SPD nicht vorstellbar. So ist es.

Scholz hat taktisch clever agiert, sich bei der Roadshow keine arroganten Auftritte geleistet und sanft nach links geblinkt. Er ist für 12 Euro Mindestlohn und gegen eine weitere Groko 2021. Allerdings ist beides gratis. Wo es politisch etwas kosten würde, etwa beim Abschied vom Schwarze-Null-Fetisch, endet der Linksschwenk des Finanzministers abrupt.

Die Groko ist nicht alles

Entschieden ist nichts. Wenn Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans geschickt sind, werden sie die Stimmen des eher linken Lagers bündeln. Der zweite Irrtum ist, neben der Basis-Legende, dass dies vor allem eine Abstimmung über die Groko war. Nur 15 Prozent haben für Karl Lauterbach und Nina Scheer gestimmt, die alles auf die Sofort-raus-aus-der-Groko-Karte setzten.

Die meisten ausgeschiedenen Teams waren in der Groko-Frage eher diffus – und der linke Norbert Walter-Borjans hält sich da realpolitisch ein Türchen offen. Auch viele SPD-Linke, die 2018 energisch gegen die Groko kämpften, halten die Frage, ob man die Koalition bald oder später beendet, für eine taktische, keine strategisch zentrale mehr.

Und nun? Die Groko-Frage ist für die Stichwahl wichtig, aber keineswegs alles. Vielleicht sogar relevanter ist, wer eine Idee für die kriselnde Partei hat. Das ist die Schwäche von Olaf Scholz, der Visionen – wie sein Vorbild Helmut Schmidt – für einen Fall für den Arzt hält. Mehr als „weiter so“ hat Scholz nicht im Angebot. Und das ist die Chance von Esken und Walter-Borjans.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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