Abstimmung zum Rentenpaket: Soll sich die Linke enthalten?
Die Linke wird dafür sorgen, dass das Rentenpaket der Koalition am Freitag durchkommt. Ist das sinnvoll oder Verrat? Ein Pro und Contra.
Ja!
Schon erstaunlich, wie groß die Empörung in manchen Kreisen über die angekündigte Enthaltung der Linken bei der für diesen Freitag geplanten Bundestagsabstimmung über das Rentenpaket der schwarz-roten Regierung ist. Da stehen plötzlich die Grünen in einer Front mit Wagenknechts BSW und Seit’ an Seit’ mit so manchen linksradikalen Revolutionsromantiker:innen, denen es nicht um die Sache, sondern nur ums Prinzip geht.
Aber ist es wirklich besser, per Nein-Stimme das unsägliche Treiben der Gruppe junger Schnösel in der Union praktisch zu unterstützen, die das Rentenpaket verhindern wollten? Der geschniegelte neoliberale Unionsnachwuchs faselt zwar viel von „Generationengerechtigkeit“, tatsächlich jedoch geht es ihm – neben der eigenen Profilierung – um Sozialabbau, um die Demontage des staatlichen Rentensystems, wovon übrigens besonders kommende Generationen betroffen wären.
Dabei hat es schon eine gewisse Ironie, wenn sich ausgerechnet die Grünen über die vermeintlichen „Mehrheitsbeschaffer für Friedrich Merz“ aus der Linken empören – und zwar nicht nur, weil die einstigen Ökopaxe doch selbst so gerne sogar mit ihm zusammen regiert hätten. Vielmehr dokumentiert die Partei damit, dass die Beschwörung der sozialen Frage auf ihrem Bundesparteitag am vergangenen Wochenende nicht mehr als bloße Camouflage war. Ihr sind Machtspielchen wichtiger.
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Wem die realen Verhältnisse der lohnabhängigen Bevölkerung nicht völlig egal sind, der oder die wird der Entscheidung der Linksfraktion hingegen einiges abgewinnen können. Sich daran zu orientieren, ob Lebensbedingungen verbessert oder verschlechtert werden, ist kein falscher Maßstab. Dass eine Stabilisierung des Rentenniveaus nicht an der Linken scheitern soll, folgt dieser Logik. Wenn die Linke durch ihre Enthaltung zumindest vorerst verhindern kann, dass das Rentenniveau weiter abgesenkt wird, wäre das deshalb auch kein „Verrat“, sondern ein Erfolg.
Das steht keineswegs im Widerspruch zu ihrer – berechtigten – weitergehenden Forderung nach einer lebensstandardsichernden Rente. Denn Ziele lassen sich schlechter erreichen, wenn sie sich entfernen. Und Schwarz-Rot wird leider noch genug Gelegenheiten bieten, wo entschieden dagegen gestimmt werden muss.
Pascal Beucker
Nein!
Nein, die Linke sollte sich nicht als Fraktion geschlossen enthalten, und der Grund dafür liegt vielleicht nicht auf der Hand, aber er prangt auf dem linken Unterarm von Heidi Reichinnek: ein Porträt von Rosa Luxemburg. Wenn sich die Linke-Fraktionsvorsitzende die Marxistin nicht aus rein oberflächlicher Sympathie hat stechen lassen, dann zieht das auch ein politisches Programm mit sich: sich nicht in den falschen Entweder-oder-Fragen kapitalistischer Politik zu verheddern, sondern eine Partei aufzubauen, welche die Mehrheit der Gesellschaft – also Menschen, die von ihrer Arbeit abhängig sind – organisieren kann. Und zwar so, dass diese Mehrheit Politik und Wirtschaft nach ihren Bedürfnissen gestalten kann.
Wie Reichinnek in ihrer Pressemitteilung am Mittwoch öffentlichkeitswirksam formulierte, ist ja weder die von Schwarz-Rot anvisierte Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, noch deren Gegenteil wünschenswert. Vielmehr fordert die Partei eine Erhöhung auf „lebensstandardsichernde 53 Prozent“. Eine mögliche Forderung wäre auch: Löhne in einer Höhe, dass schon die dadurch steigenden Rentenbeiträge das angebliche Finanzierungsproblem lösen. Und Rosa Luxemburg würde sogar für eine tiefergreifende Umwälzung der gesamten Besitzverhältnisse plädieren, die wirklich der Mehrheit der Gesellschaft dient.
Die Union habe „ein Machtspielchen auf dem Rücken von Millionen Rentner:innen“ ausgetragen, stellt Reichinnek korrekt fest. Um dann auf dem Rücken besagter Rentner:innen eine PR-Botschaft zu formulieren, die vor allem zwei Werbeclaims kommunizieren soll: Erstens, an potenzielle Wähler:innen, dass die Linke wählbar ist. Zweitens, an Union und SPD und vielleicht sogar die Grünen, dass die Linke als kompetente Juniorpartnerin in Betracht kommt.
Eine Partei, die auch außerparlamentarisch organisieren möchte, muss eine größere Botschaft haben. Dass sich Abgeordnete in solchen Abstimmungsdilemmafragen enthalten, geschenkt. Aber daraus die PR-Botschaft zu generieren, wie verantwortungsvoll man die jetzigen Zustände mit verwalten könne? Darauf hat sich schon die ursprünglich marxistische SPD spezialisiert – gegen den Rat von Reichinneks Idol Rosa Luxemburg.
Thomas Salter
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