Absurde Strafmaßnahmen in Belarus: Ohne Wasser und Heizung

Wie man einen ganzen Stadtteil für seine politische Haltung bestraft. Janka Belarus erzählt vom Leben in Minsk in stürmischen Zeiten. Folge 35.

Ein Wasserwerfer zielt mit Wasser auf eine einzelne Demonstrantin

Wer wofür Wasser bekommt, entscheidet das Regime, für die Wasserwerfer in Minsk reicht es immer Foto: ap/dpa

An genau jenem Tag, dem 15. November, als bei den Protesten in Minsk mehr als 1.000 Menschen festgenommen wurden, fiel im Minsker Mikrorayon (russischer Begriff für Neubauviertel außerhalb des Stadtzentrums, Anmerk. d. Redaktion) Nowaja Borowa das Wasser aus – sowohl das warme als auch das kalte. Bis zum 18. November konnte die Stadtverwaltung keine Lösung zur Reparatur der kaputten Leitungen finden. Die, wie sich schnell zeigte, fachmännisch durchgesägt und verschweißt worden waren.

Wegen der nicht funktionierenden Wasserversorgung wurden temporär eine Schule und ein Kindergarten geschlossen. Die Bewohner vermuten, dass das Wasser in ihrem Stadtteil nicht zufällig ausfiel, sondern absichtlich, als „Strafe“ für ihre aktive politische Stellungnahme.

Am 9. August war der Wahlkreis in Nowaja Borowa einer von denen, die bekannt gaben, dass Swetlana Tichanowskaja die Präsidentschaftswahl gewonnen habe. Anschließend, 100 Protesttage lang, hängten die Bewohner des Mikrorayons weiß-rot-weiße Flaggen auf und gingen zu Demonstrationen. Deshalb erhielten sie eine „Warnung“: Sollten sie nicht im gesamten Gebiet die „Symbole“ abnehmen, würde es kein Wasser mehr geben.

Am 17. November wurde auch die Heizung abgeschaltet. Gerade an diesem Tag fiel in Minsk der erste Schnee. Nachts sank die Temperatur auf minus vier Grad.

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Nachdem die Geschichte mit dem Wasser durch alle großen Zeitungen gegangen war, fiel es dem so genannten Präsidenten ein, sich in die Problematik einzumischen. Er liebt es, Dinge außerhalb seines Kompetenzbereiches persönlich zu kontrollieren. Am 18. November verkündete sein Gehilfe in Minsk, Alexander Barsukow, dass man die ganze Nacht an dem Problem gearbeitet habe und es jetzt gelöst sei. Es gebe wieder Wasser, sowohl kaltes als auch warmes (warum man das in den drei Tagen davor nicht hatte reparieren können, wurde nicht näher ausgeführt). Es fließt tatsächlich wieder Wasser aus den Hähnen, aber es ist rostig. Die Leute wagen nicht, es zu trinken.

Und während die Machthaber sich damit auseinandersetzen, wer das Problem wie lösen wird, halfen den Bewohnern des Mikrorayons ganz gewöhnliche Menschen. Sie richteten beim Messenger Telegram eine Gruppe ein, um den Leuten in Nowaja Borowa zu helfen. Innerhalb weniger Stunden waren dieser Gruppe mehr als 18.000 Nutzer beigetreten.

Völlig fremde Menschen boten den Bewohnern von Nowaja Borowa die unterschiedlichsten Formen von Hilfe an: bei ihnen zu essen, sich bei ihnen zu waschen, die Kinder bei ihnen schlafen zu lassen und sogar völlig umsonst bei ihnen zu wohnen, solange die Situation sich nicht ändere. Während der gesamten drei Tage brachten die Minsker Trinkwasser in 20-Liter-Kanistern nach Nowaja Borowa.

Natürlich gab es dann schnell polizeiliche Ausweiskontrollen für alle, die in den Mikrorayon hineinwollten. Ich möchte jetzt keine Parallelen dazu ziehen, wann und wo es so etwas Ähnliches schon mal gegeben hat. Aber das liegt ja auf der Hand.

Generell kann man sagen, dass die Belarussen zum wiederholten Mal bewiesen haben, was die Kraft der Solidarität vermag. Und dass sie sogar den allerdümmsten Aktionen der Machthaber friedlichen Widerstand entgegensetzen können.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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ist 45 Jahre alt und lebt und arbeitet in Minsk. Das Lebensmotto: Ich mag es zu beobachten, zuzuhören, zu fühlen, zu berühren und zu riechen. Über Themen schreiben, die provozieren. Wegen der aktuellen Situation erscheinen Belarus' Beiträge unter Pseudonym.

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