Ägyptens Präsident Mursi: Angst vor neuem Diktator

Der ägyptische Präsident Mursi stattet sich selbst mit fast unbegrenzter Macht aus und entzieht sich der Kontrolle der Justiz. Die Opposition ruft zu Massenprotesten auf.

Anhänger Mursis feiern seine Entscheidungen in Kairo. Bild: reuters

KAIRO afp/dpa | Führende Oppositionelle in Ägypten haben zu landesweiten Protesten gegen Präsident Mohammed Mursis eigenmächtigen Ausbau seiner Macht aufgerufen. „Dies ist ein Coup gegen die Rechtmäßigkeit“, sagte Sameh Aschur, Chef der Anwaltsgewerkschaft, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Oppositionspolitikern Mohamed ElBaradei und Amr Mussa am Donnerstagabend in Kairo. „Wir rufen alle Ägypter auf, am Freitag auf allen Plätzen Ägyptens zu demonstrieren“, fügte er hinzu. Die Regierungsgegner warfen Mursi die „Hinrichtung der Unabhängigkeit der Justiz“ vor.

Mit einer Reihe von Verfassungszusätzen entzog er sich am Donnerstag effektiv jeglicher Kontrolle durch die Justiz und machte seine Entscheidungen als Staatschef für Gerichte unantastbar. Bis zum Inkrafttreten einer neuen Verfassung und der Wahl eines neuen Parlaments, die frühestens im kommenden Frühling stattfinden dürfte, kann gemäß Mursis Dekreten keine Anordnung des Präsidenten angefochten werden, weder von einem Gericht noch von anderen Instanzen.

Mursi, der als Präsident bereits die Exekutivmacht innehält, fiel durch ein Gerichtsurteil kurz vor seinem Amtsantritt Ende Juni, mit dem das Unterhaus des Parlaments aufgelöst wurde, bereits die Kontrolle über die Legislative zu. Mit der dritten Staatsgewalt, der Judikative, hatte Mursi in den vergangenen Monaten immer wieder im Streit gelegen, muss sich ihr nun aber auch nicht mehr beugen.

Sein Alleingang fällt in eine Zeit, in der Mursi international viel Lob für die erfolgreiche Vermittlung eines Waffenstillstands zwischen Israel und der Hamas bekommen hat.

Immunität für Verfassungsgremium

Außerdem verlieh Mursi auch der von seinen Islamisten dominierten Verfassunggebenden Versammlung Immunität vor einer möglichen, gerichtlich verfügten Auflösung. In der vergangenen Woche hatten sich mehrere liberale und christliche Mitglieder des Gremiums daraus zurückgezogen, weil Mursis Verbündeten versuchten, ein stark islamistisch geprägtes Dokument durchzusetzen, das Frauen und Christen benachteilige und persönliche Freiheiten einschränke.

Mehrere Gerichte haben sich zuletzt mit Fällen befasst, in denen die Auflösung der Versammlung gefordert wurde. Die Gefahr hat Mursi mit seinen Dekreten vom Donnerstag abgewendet. Auch dem ebenfalls von den Islamisten kontrollierten, aber weitgehend zahnlosen Oberhaus im Parlament verlieh der Präsident Schutz vor einer Auflösung.

Zudem feuerte Mursi am Donnerstag den Generalstaatsanwalt des Landes, Abdel-Maguid Mahmud. Der Präsident hatte ihn bereits im Oktober entlassen, hatte die Entscheidung aber zurücknehmen müssen, weil klar wurde, dass er gar nicht über die Befugnisse dazu verfügte. Am Donnerstag erließ er nun ein Dekret, das die Amtszeit des Generalstaatsanwalts auf vier Jahre beschränkte. Mahmud ist bereits seit 2006 im Amt und verlor damit mit sofortiger Wirkung seinen Posten. Er wurde von dem Richter Talaat Abdullah ersetzt.

Prozess gegen Mubarak soll neu aufgerollt werden

Gleichzeitig ordnete Mursi an, den Gerichtsprozess gegen den gestürzten Präsident Husni Mubarak neu aufzurollen. Beobachter werteten den Schritt als Geste an die Öffentlichkeit, da viele Ägypter das Urteil gegen den Expräsidenten, der im Juni zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, als zu milde empfunden hatten.

In Kairo demonstrierten am Abend hunderte Anhänger Mursis im Zentrum der Hauptstadt. Sie begrüßten vor allem die Ankündigung neuer „Ermittlungen und Gerichtsverfahren“ zum gewaltsamen Tod von Demonstranten während der Massenbewegung gegen Mubarak. Zur selben Zeit versammelten sich einige Kilometer entfernt hunderte Gegner Mursis. „Wir haben keine Revolte geführt, um einen Diktator durch einen anderen zu ersetzen“, sagte ein Demonstrant.

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