Ägyptens Umgang mit den Muslimbrüdern: Radikalisierung erwünscht

Das Militär und die ägyptische Staatssicherheit möchten die Muslimbrüder isolieren. Dass die Islamisten nun die Kirchen attackieren, passt da gut ins Konzept.

Ein Mann rettet Dokumente aus einem Regierungsgebäude in Kairo. Bild: reuters

KAIRO taz | Das Militär, die Übergangsregierung und ein guter Teil der sogenannten liberalen Bewegung übt sich in Rechtfertigungsversuchen für die brutale Räumung der Islamistencamps am Mittwoch. Ministerpräsident Hasem el-Beblawi hat die Polizeiaktion sogar ausdrücklich gelobt. Sie habe Ägypten dem Ziel, „unseren demokratischen, zivilen Staat zu errichten“, nähergebracht.

Das sind Worte, die in den Ohren der Anhänger Mursis und der Putschgegner wie blanker Hohn klingen müssen. Genauso wie die Worte des Innenministers Muhammed Ibrahim, der von der Zurückhaltung seiner Polizei sprach, die angegriffen worden sei. Eine Art Vergeltungsschlag also. Außerdem hat er ankündigt, keinen Sitzstreik und kein Protestlager der Anhänger Mursis mehr zuzulassen.

So kommt es, dass ein Innenminister in der Nach-Mubarak-Zeit folgenden bemerkenswerten Satz formuliert hat: „Ich verspreche, sobald sich Ägypten stabilisiert hat, werden wir wieder eine Sicherheit wie vor dem Sturz Mubaraks herstellen.“

Das hält aber selbst Liberale wie Chaled Daoud, den Sprecher der Nationalen Rettungsfront, der größten liberalen Opposition gegen Mursi, nicht davon ab, dem Polizeieinsatz ebenfalls zu applaudieren.

Die Fassade bröckelt

Doch die liberale Front an der Seite des Militärs bekommt erste Risse. Vizepräsident Muhammad El-Baradei hat seinen Rücktritt eingereicht, weil er den Räumungsbeschluss nicht mittragen möchte. Es kursieren zahlreiche Gerüchte, dass noch andere Kabinettsmitglieder der Übergangsregierung El-Baradei folgen könnten. Die zivile Regierungsfassade der Militärherrschaft bröckelt zumindest.

El-Baradei erklärte, dass die brutale Räumung zur Radikalisierung auf beiden Seiten führen werde. Tatsächlich öffnen Putsch und Räumung Tür und Tor für allerlei Varianten des Radikalismus unter den Islamisten. Denn deren Gegner verkaufen Putsch und Räumung als notwendigen Teil der Demokratie. Welche Lehren zieht ein junger Muslimbruder heute aus dieser vermeintlichen Demokratielektion?

Schon am Donnerstag, dem Tag nach der Räumung, war diese Radikalisierung spürbar. Landesweit wurden nicht nur Polizeiwachen und Provinzverwaltungen von Demonstranten angegriffen, sondern auch zahlreiche Kirchen. Es scheint mancherorts nicht schwer, den Ärger der Anhänger Mursis auf die Christen zu lenken. Denn der koptische Papst hatte sich – genauso wie übrigens der oberste Scheich der Al-Azhar-Universität – offen auf die Seite des Putsches gestellt. Sie hatten wie ein großer Teil der koptischen Bevölkerung die irrige Hoffnung, dass damit die Muslimbruderschaft politisch ausgeschaltet wird.

Hitzköpfe finden sich in Ägypten genug in den Reihen der Islamisten, die sich bei einer Demonstration pro Mursi leicht gegen die Kopten aufhetzen lassen. Unklar ist, wer die Angriffe auf die Kirchen befohlen und dirigiert hat. Der Führung der Muslimbrüder, die auf internationale Unterstützung gegen den Putsch hoffen, stehen derartige Aktionen eigentlich schlecht an. Derweil ist aber nicht auszuschließen, dass in den niedrigeren Rängen solche Aktionen gutgeheißen werden. Möglich ist auch, dass radikale Salafisten dahinterstehen.

Zu Zeiten Mubaraks war es auch oft die trotz aller Umbrüche immer noch vollkommen unangetastete Staatssicherheit, die gerade unter den Salafisten ihre Kandidaten für solche Operationen hatte. Man kannte sich von diversen Verhaftungen und aus dem Gefängnis. Da entstand nicht selten ein Arbeitsverhältnis. Immer wenn das Regime Mubarak sich in die Ecke gedrängt sah, brannte als Ablenkungsmanöver irgendwo im Land eine Kirche.

Es droht Kontrollverlust

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Staatssicherheit wieder mit den altbewährten Methoden arbeitet, schließlich sind es immer noch dieselben Staatssicherheitsoffiziere. Brennende Kirchen sind international ein gutes Argument für die brutale Räumung und das weitere Vorgehen gegen die Muslimbruderschaft. Träfe es zu, dass die Staatssicherheit beteiligt ist, dann wäre es ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Mubaraks Regime konnte konfessionelle Streitigkeiten je nach Bedarf an- und ausschalten. Heute ist es viel wahrscheinlicher, dass daraus eine Situation entsteht, die keiner mehr kontrolliert.

Dem Bündnis von Militärs und alten Mubarak-Seilschaften, vor allem im Sicherheitsapparat, muss es nun darum gehen, die Muslimbruderschaft weiter politisch zu isolieren. Eine Radikalisierung der Islamisten ist da in diesen Kreisen eine durchaus wünschenswerte Entwicklung. Denn damit meint der Sicherheitsapparat besser umgehen zu können als mit Demonstrationen und Protestlagern.

Die 1990er Jahre als überall im Land Bomben hochgingen und radikale Islamisten Anschläge auf Kopten und Touristen durchführten, war die Hochzeit des ägyptischen Sicherheitsapparats, der den Kampf am Ende für sich entscheiden konnte. Die Lektion aus dieser Zeit: Islamisten, die Kirchen anzünden und Polizeistationen angreifen, sind besiegbar und international leichter zu dämonisieren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.