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Afrikanische Comics im MuseumSuperheldinnen kämpfen gegen den doppelten Tod

Die Ausstellung „Sheroes“ im Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main zeigt die große Vielfalt afrikanischer Comics und ihrer spezifischen Perspektiven.

Ausschnitt aus „Moon Girls“ (2016), eine Graphic-Novel der ghanaischen TV-Moderatorin und Illustratorin Akosua Hanson Foto: Weltkulturenmuseum/Frankfurt am Main

Ungehemmter Raubbau an der Natur hat die Erde für die Menschheit unbewohnbar gemacht. Sie überlebt in einem technoiden Ambiente auf dem kargen Mond. Wissenschaftlerin Mwezi soll erkunden, ob der blaue Planet wieder bewohnbar ist. Sie trifft auf einen mysteriösen Baum, eine riesige Staude, von der sie am Ende verschlungen wird. Der Comic „The Strange Tree“ von Charity Atukunda erzählt eine Rachegeschichte. Die Natur rächt sich an den Menschen. Es sieht wahrlich nicht gut aus. Doch womöglich nimmt die Science-Fiction noch eine positive Wendung.

Einige handgezeichnete Sequenzen von Mwezis Exkursion auf die Erde sind im Weltkulturen Museum Frankfurt am Main zu sehen. „Sheroes – Comic Art from Africa“ heißt die Ausstellung, die ein breites Spektrum dieses Genres vorstellt. 20 Zeich­ne­r:in­nen aus Südafrika, Kenia, Nigeria, Ghana, Kamerun, Äthiopien, Madagaskar und Uganda zeigen ihre Arbeiten.

Darunter sind Comics, die sich mit historischen Ereignissen auseinandersetzen, Science-Fiction-Geschichten, die in die Zukunft schauen, und Love Storys, in denen queere Paare vorkommen. Reine Dibussis neuster Band „Cindy et Zoa“ etwa erzählt für ein junges Publikum von Betrug und Eifersucht. Diese Bildergeschichten würden meist aus einer afrikanischen Perspektive erzählen, sagt Kuratorin Julia Friedel.

Abbildung der Lebenswelten

Sie richten sich an ein Publikum, deren Lebenswelt im Comic lange Zeit nicht vorkam. Das zeigt die Vita von Charity Atukunda. Sie verbrachte prägende Jahre in den USA und kehrte 2008 mit ihren Eltern nach Uganda zurück. Schon als Kind las sie Comics. „Als ich älter wurde und mir meine Identität als ugandische Frau bewusst wurde, wollte ich afrikanische Geschichten lesen. Ich wollte meine Kultur im Comic, in der Kunst, im Film dargestellt sehen.“

Afrikanische Comics

„Sheroes. Comic Art from Africa“. Weltkulturen Museum Frankfurt am Main, noch bis zum 20. August 2026.

So ähnlich sähen das viele der eingeladenen Künstler:innen, sagt Julia Friedel. „Zum Teil leben die Comicmacherinnen, mit denen wir gearbeitet haben, in der Diaspora: in Frankreich oder in den USA. Und trotzdem sagen viel, dass Schwarze Heldinnen unterrepräsentiert sind.“ In der Frankfurter Ausstellung stehen „Sheroes“ im Mittelpunkt.

Die Schau zieht sich über mehrere Etagen des Gründerzeitbaus. Zu sehen sind handgezeichnete Comic-Panels, Animé, Videos, die über die afrikanische Graphic-Novel-Szene berichten und viele Comic-Bände, die das Publikum in die Hand nehmen kann. Von der Decke hängen Sprechblasen. Wer spricht? Die Au­to­r:in­nen und Sheroes natürlich. Das Moongirl Dede etwa, ein Wassergeist aus der 16-teiligen Serie „Moongirls“ der ghanaischen Autorin Akosua Hanson: „In Moongirls kämpfen queere afrikanische Sheroes für ein Afrika, das frei ist vom Patriarchat, Neokolonialismus, Homophobie und vielen anderen Problemen.“

Zur Wissensvermittlung

Okay. Patriarchat, Neokolonialismus, Homophobie – das sind Themen, die in Deutschland und anderswo auch Gemüter erregen. Was ist aus afrikanischer Perspektive anders? Und warum trifft das gute, alte Format der Bildergeschichte und Textblasen in Ländern wie Nigeria auf eine so rege Nachfrage? Comicstrips, Graphic-Novels und Bande Déssinées (im frankophonen Afrika) sind auch Kindern zugänglich. Da liegt es nahe, Bildergeschichten bewusst zur Wissensvermittlung einzusetzen.

Dinah Rajemison, in der Szene bekannt als „Catmouse James“, erzählt, wie ihre Mutter sie über selbstgezeichnete Bildergeschichten für den Schulstoff interessierte. Sie lebten nahe der Hauptstadt Antananarivo in Madagaskar auf dem Land, wo es weder Büchereien noch Kino gibt. Dort wuchs sie auf mit französischen Comic-Klassikern auf wie „Tintin“ (deutscher Titel „Tim und Struppi“), die ihre Mutter mitbrachte. Doch hatten diese Comics wenig mit ihrer eigenen Lebenswelt zu tun.

Afrikanische Comics erweitern den Horizont

Das ist in ihrer Comic-Serie „Ary“, die Catmouse James mit ihrem Partner Rolling Pen produziert, anders. Das junge Mädchen unterscheidet sich von ihrer Umwelt. Sie hat weiße Haut, glattes Haar und fragt sich, warum sie da ist, wo sie ist. „Das wichtigste Thema in dieser Geschichte ist die Frage nach Identität“, erklärt die Künstlerin. Das sei ein großes Thema in Madagaskar, denn dort sei die Bevölkerung sehr gemischt. Es würden in ihrer Heimat sogar Diskussionen geführt, was madagassisch sei, und was nicht. „Deshalb habe ich madagassische Folklore in die Geschichte eingeflochten, weil ich sie sehr mag.“

Sie empowern und erweitern den Horizont

Afrikanische Comics empowern und erweitern den Horizont. Das könnte man allerdings auch von einer guten Asterix-Folge sagen. Die Frage der Identität hingegen ist für Frauen vom afrikanischen Kontinent zentral. Auch macht sich der Klimawandel in der südlichen Hemisphäre mit größerer Wucht bemerkbar als in Europa. Von „Ary“ heißt es, sie würde über spirituelle Kräfte verfügen und eine enge Beziehung zur Natur haben. Sie soll ein Dorf retten, dessen Existenz vom Klimawandel bedroht wird. „Ary“ soll es richten. „Spiritualität ist in meiner Arbeit sehr präsent“, sagt Autorin Catmouse James.

Der Sinn für Spiritualität ist ein Faktor, der den Sammlern von kulturellen Artefakten während der Kolonialzeit abgegangen sein muss. Auch die Kuratoren der ethnografischen Museen hegten lange ein gespaltenes Verhältnis zu rituellen Gegenständen aus Afrika. Das ist in den letzten Jahren anders geworden. Und doch bleibt ein Dilemma: Was tun mit rätselhaften Objekten, deren Kontext unbekannt ist? Diese Frage stellten sich auch Dinah, Charity, Akosua und Reine Dibussi während ihrer Residenz am Frankfurter Weltkulturen Museum, die im Vorfeld der Ausstellung stattfand.

Zum Programm gehörte die Besichtigung der Depots der Frankfurter Sammlung. Charity Atukunda war fasziniert von einem Horn aus dem Kongo, in das an einem umlaufenden Band Erzählsequenzen geschnitzt sind. Es animierte sie zu einem Kurzcomic: Darin geht es um ein Kind, das in der Wüste auf solche Hörner stößt. Wenn sie gezeichnet würden, würden sie wieder Teil des Lebens werden, sagt ihr Guide.

Die Welt auf andere Weise betreten

Sie macht sich auf die Suche nach den Geschichten der Objekte, um sie zu befreien. Es geht darum, es wieder mit dem Leben zu verbinden. „Wenn das nicht gelingt, ist das wie ein doppelter Tod der Artefakte“, sagt Charity Atukunda. „Das ist das Tolle am Comic. Man kann die Welt auf eine andere Art betreten. Mich bewegt, wie man Kinder für solche Dinge interessieren kann.“

Das Gestalten von Bildergeschichten und Textblasen gewinnt vor diesem Hintergrund neue Bedeutung, auch für die Museumsarbeit. Allerdings ist es nicht egal, wer da zeichnet. Wichtig ist, eine Geschichte zu erfinden, die die Transformation des Objekts auslöst. Auch, wenn es unmöglich ist, Tausende von afrikanischen Kulturzeugnissen so wiederzubeleben, ist ein symbolischer Schritt getan. Er zeigt, dass die seit den 1970ern praktizierte Zusammenarbeit mit Künst­le­r:in­nen in Frankfurt festgefahrene Situationen in Bewegung bringen kann.

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