Agrarexporte aus Deutschland: Hunger made in Germany

Die deutsche Landwirtschaft will mehr exportieren. Doch höhere Ausfuhren könnten den Hunger in der Welt vergrößern, sagen Entwicklungsaktivisten.

Frachter „Agnes“ am Kai der Hamburger Firma Habema

Weizen für den Sudan: Der Frachter „Agnes“ am Kai der Hamburger Getreideumschlagsfirma Habema Foto: dpa

HAMBURG taz | Die „Agnes“ hat die rostigen Deckel ihrer sieben Ladeluken geöffnet. Das 225 Meter lange Schiff liegt im Hamburger Hafen, am Kai der Firma Habema, Deutschlands größtem Umschlagbetrieb für Getreide. Jeder Laderaum des grau-roten Frachters ist so groß wie drei Turnhallen. Jetzt werden sie mit Bergen von Weizen gefüllt.

Förderbänder holen die Körner aus den Edelstahl-Silos im hinteren Teil des Habema-Geländes, transportieren sie an die Spitze des 40 Meter hohen, einem Kran ähnelnden Schiffsbeladers. Von dort rauschen sie durch ein Rohr hinab in den Bauch der „Agnes“. Am Abend sticht das Schiff mit 61.000 Tonnen Weizen in See, die vor allem aus Deutschland stammen. Das Ziel: der Sudan.

In dem nordostafrikanischen Staat wird das Getreide gemahlen. „Die Länder dort können sich nicht selber versorgen“, sagt Manfred Thering. Der 60-Jährige mit dem norddeutschen Akzent ist Geschäftsführer der Habema. Er steht auf der Brücke des Beladers, sie vibriert leicht unter dem Schwung der Förderbänder, der Wind zersaust Therings schlohweiße Haare.

Für den Diplomkaufmann sind solche Lieferungen ein Beitrag gegen den Welthunger. Einer, der noch zunehmen muss, da die Weltbevölkerung bis 2050 nach UN-Prognosen um 32 Prozent auf 9,7 Milliarden Menschen wächst und mehr futterintensive Produkte wie Fleisch braucht.

Der Grain Club, ein Zusammenschluss von acht Verbänden der deutschen Lebens- und Futtermittelwirtschaft, plädiert deshalb dafür, dass die EU mehr Agrarprodukte produziert und damit auch exportiert. Im Wirtschaftsjahr 2014/15 lieferte Deutschland dem Agrarhandelskonzern Bunge zufolge rund 8 Millionen Tonnen Weizen in Nicht-EU-Länder – vier mal so viel wie vor vier Jahren.

795 Millionen Menschen hungern

Die deutsche Ernährungswirtschaft hat ihre Exporte in Entwicklungsländer 2014 um 9,5 Prozent auf 7,9 Milliarden Euro gesteigert.

Die Agrarausfuhren in alle Staaten betrugen insgesamt 63,4 Milliarden Euro. 29 Prozent davon waren Milch- und Fleischprodukte.

Die deutsche Landwirtschaft erlöst jeden vierten Euro im Export, die Ernährungsindustrie nahezu jeden dritten Euro. JMA

Quelle: Bundesagrarministerium

„Nirgendwo gibt es so ideale Bedingungen für den Weizenanbau wie hier,“ argumentiert Habema-Chef Thering. Die Ernte pro Hektar sei in Deutschland und Nordeuropa einfach extrem hoch. Deshalb ist die Bundesrepublik seiner Meinung nach verpflichtet, Getreide in Länder wie den Sudan zu liefern: „Wenn es diesen Austausch nicht geben würde, wäre eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet“, erklärt der Geschäftsführer. Derzeit hungern nach UN-Schätzungen weltweit 795 Millionen Menschen. Aus diesem Grund lehnt Manager Thering eine Wende zu einer umweltfreundlicheren, aber weniger produktiven Landwirtschaft in Deutschland ab.

„Mehr Agrarexporte würden den Hunger erhöhen statt senken“, sagt dagegen Tobias Reichert, Welternährungexperte der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch. Zwar verbilligen Importe aus Deutschland Lebensmittel in Entwicklungsländern, so dass sich mehr Menschen genügend zu essen kaufen können.

Aber die meisten Hungernden sind Kleinbauern, die bei niedrigen Lebensmittelpreisen weniger für ihre Produkte bekommen. Die Folge: „Sie bauen weniger selbst an.“ So wachse die Abhängigkeit von Importen, die schnell wieder wegfallen können – etwa, weil plötzlich der Weltmarktpreis zu hoch ist oder aus politischen Gründen.

    Als Beleg führt Reichert eine Studie der britischen Denkfabrik Overseas Development Institute an, derzufolge nach den großen Preissprüngen bei Lebensmitteln 2007/2008, die in mehreren Regionen Hungerkrisen verursachten, besonders Afrika südlich der Sahara und Ostasien die Getreideproduktion stärker gesteigert haben als vorher.

    Demnach ging die Zahl der Hungernden anders als zunächst geschätzt auch während der Hochpreisphase leicht zurück. Zudem nahm der Anteil der untergewichtigen Kinder unter 5 Jahren in den meisten Ländern ab. „Das deutet darauf hin, dass viele der Ärmsten unter den hohen Preisen weniger stark gelitten haben als befürchtet.“ Reichert verweist auch auf das Beispiel China: Dort seien auch deshalb viele Menschen dem Hunger entronnen, weil der Staat die garantierten Erzeugerpreise für Getreide erhöht habe.

    „Statt mehr Lebensmittel zu exportieren, sollten wir uns lieber überlegen, wie wir da ein Ausstiegsszenario schaffen“, sagt Reichert. Er will nicht, dass die deutschen Exporte abrupt enden. Auch gegen Hilfe bei Hungersnöten hat er nichts. Aber der Sudan und andere Länder müssten langfristig ihre eigene Produktion so stark steigern, dass sie Importe reduzieren können. „Das Ziel muss sein, dass in 10 Jahren da kein Frachter mehr deutsches Getreide hinfährt.“ Der Sudan könne das. „Die haben da Platz.“

    Dumpingpreise durch Subventionen

    Auch Ulrich Post von der Welthungerhilfe glaubt, dass deutsche Agrarexporte Hungernden in Entwicklungsländern schaden können. „Die europäische Landwirtschaft wird immer noch massiv subventioniert“, erläutert er. „Das ist ein Wettbewerbsvorteil gegenüber lokalen Bauern, beispielsweise im Sudan.“ Das Gegenargument, dass die EU Exporte nicht mehr direkt bezuschusse, lässt er nicht gelten: Die europäischen Bauern bekämen nach wie vor Milliarden, die pro Hektar Land verteilt werden. „So können sie ihr Getreide zu Preisen verkaufen, die nicht alle Kosten decken.“

    Dennoch beharrt zum Beispiel der Deutsche Raiffeisenverband darauf, dass Produktion und Exporte steigen müssen. Für ihn, sagt der beim Verband für „Political Affairs“ zuständige Volker Petersen, sei auch eines wichtig: „Wir sind für unseren Absatz auf die ausländischen Märkte angewiesen.“ Denn der EU-Lebensmittelmarkt stagniert. Sprich: Europas Agrarindustrie braucht Exporte, um weiter zu wachsen.

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