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Aids, Tuberkulose und Malaria„Wir laufen Gefahr, die Kontrolle zu verlieren“

Kürzungen bei globaler Gesundheit kosten Menschenleben, sagt Peter Sands, Chef vom Globalen Fonds. Ein neues Mittel könnte die HIV-Pandemie beenden.

Auch solche Moskitonetze finanziert der Globale Fonds: Mutter mit ihrem Baby in Uganda Foto: Hajarah Nalwadda/getty images
Interview von Leila van Rinsum

taz: Herr Sands, Deutschland steht kurz vor Abschluss des Haushalts für 2025. Darin sind 450 Millionen Euro weniger für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria vorgesehen, bis 2029 soll er nur noch 850 Millionen erhalten. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Peter Sands: Wir sind uns der Haushaltszwänge der deutschen Regierung bewusst. Wir hoffen jedoch, dass Deutschland den Globalen Fonds als Teil seiner Führungsrolle im Bereich der globalen Gesundheit weiterhin unterstützen wird. Die Finanzierung der globalen Gesundheit steht nicht nur in Deutschland unter Druck, und das hat reale Konsequenzen, die letztendlich Menschenleben kosten werden. Die Krankheiten, mit denen wir uns im Globalen Fonds befassen – Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids – sind gewaltige Gegner. Wenn man im Kampf gegen sie nachlässt, bleiben sie nicht einfach stehen, sondern breiten sich wieder aus.

Im Interview: Peter Sands

63, ist Geschäftsführer des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuber­kulose und Malaria. Bis 2015 war er CEO der britischen Standard Chartered Bank.

taz: Wie haben besonders von diesen Krankheiten betroffene Staaten auf die Kürzungen reagiert?

Sands: Einige Länder haben sehr proaktiv reagiert und ihre Haushaltsprioritäten angepasst oder zum Beispiel Steuern auf Alkohol und Zigaretten erhöht. Das sind gute Schritte, aber sie werden nicht ausreichen, um die Lücken zu schließen, die in der globalen Gesundheitsfinanzierung entstanden sind. Und es gibt Länder, die extrem arm und von Konflikten zerrissen sind, wie Südsudan, Sudan oder Tschad. Geberländer sagen mir, man müsse angesichts politischer und finanzieller Zwänge realistisch sein, und ich verstehe das. Aber wir müssen auch realistisch sein, was das Ausmaß betrifft, in dem die betroffenen Länder diese Lücken tatsächlich schließen können. Und dann müssen wir realistisch sein, was die epidemiologischen Folgen angeht. Und die menschlichen Folgen.

taz: Welche Folgen sind das?

Sands: Bei Malaria besteht die reale Gefahr eines Wiederauftretens. In bestimmten Teilen Afrikas ist dies aufgrund einer Kombination aus Konflikten, Klimawandel und unzureichender Finanzierung bereits der Fall. Es handelt sich um eine Krankheit, von der wir wissen, wie man sie ausrotten kann, und dennoch laufen wir Gefahr, in einigen der ärmsten Regionen die Kontrolle darüber zu verlieren. Die Folge davon ist, dass mehr Kinder unter fünf Jahren sterben, mehr schwangere Frauen ­sterben.

So fließt das Geld

Der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria ist der weltweit größte multilaterale Geldgeber für Gesundheit in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Seit der Gründung 2002 wurden über 69 Milliarden US-Dollar ausgezahlt. Die 8. Wiederauffüllung des Fonds ist für diesen Herbst angesetzt.

Am Mittwoch hat der Fonds seinen Jahresbericht veröffentlicht. 2024 bis 2026 werden 6,1 Milliarden Dollar in die Stabilisierung von Gesundheitssystemen in mehr als 100 Ländern investiert. 25,6 Millionen HIV-infizierte Menschen und 7,4 Millionen Tuberkulosepatienten erhielten Behandlungen. Der Fonds finanzierte auch 162 Millionen Moskitonetze mit Insektiziden.

Deutschland ist der viertgrößte öffentliche Geber des Globalen Fonds. Im Haushalt 2025 sollen dem Entwicklungsministerium rund 1 Milliarde Euro weniger zur Verfügung stehen. Besonders kürzt die Regierung bei dem Fonds: 450 Millionen Euro.

taz: Wie sieht es bei Tuberkulose aus?

Sands: Tuberkulose ist die tödlichste Krankheit. Sie fordert jährlich etwa 1,3 Millionen Menschenleben. Das sind mehr Todesfälle als durch Malaria und HIV/Aids zusammen. Wir haben das Jahr 2024 mit einer positiven Entwicklung bei Tuberkulose abgeschlossen und hatten bessere Behandlungserfolge als je zuvor. Die Frage ist, ob wir diesen Schwung beibehalten können. In Afrika ist die Abhängigkeit von externen Finanzierungsquellen für Tuberkulose groß, sodass ein Rückgang dieser Quellen starke Auswirkungen hat.

taz: Wo stehen wir bei HIV/Aids?

Sands: Hier gibt es eine unglaublich spannende Möglichkeit. Diese Pandemie hat etwa 40 Millionen Menschen das Leben gekostet. Wir können sie nicht ausrotten, aber wir können sie mit neuen Mitteln wie Lennacapavir innerhalb relativ kurzer Zeit als Gefahr für die öffentliche Gesundheit beenden.

taz: Es gibt große Aufregung um das Mittel Lenacapavir. Warum?

Sands: Lenacapavir wird alle 6 Monate injiziert und schützt vor einer HIV-Infektion. In den klinischen Studien war es zu fast 100 Prozent wirksam, was sehr ungewöhnlich ist. Pillen zur HIV-Prävention müssen täglich eingenommen werden, es ist problematisch, wenn Menschen das aus verschiedenen Gründen unterbrechen. Damit ist die Wirksamkeit oraler Präparate bei Weitem nicht so gut wie die von Lenacapavir. Weltweit gibt es etwa 40 Millionen HIV-positive Menschen. 31 Millionen von ihnen erhalten eine antiretrovirale Behandlung, und 26 Millionen davon werden auf die eine oder andere Weise vom Globalen Fonds unterstützt. Diese Zahl der Neuinfektionen steigt jährlich um 1,3 Millionen Menschen. Wenn wir HIV/Aids besiegen wollen, müssen wir diese Zahl senken.

taz: Ab wann soll Lenacapavir eingesetzt werden?

Sands: Die Einführung soll noch Anfang 2026 stattfinden. Auch das ist besonders: Lenacapavir wird fast gleichzeitig in den reichsten und ärmsten Ländern der Welt eingeführt. In der Vergangenheit war es meistens so, dass neue Innovationen in den reichen Ländern eingeführt werden. Und dann dauerte es mehrere Jahre, bis sie in den ärmeren Ländern in großem Umfang verfügbar waren.

taz: Wie viel zahlt der Globale Fonds pro Jahr und Person für eine Behandlungsdosis mit Lenacapavir an den Hersteller Gilead?

Sands: Der Globale Fonds hat eine Zugangsvereinbarung mit dem Pharmakonzern Gilead ausgehandelt. Der Preis darin ist vertraulich. Aber er ermöglicht es uns, in großem Maßstab zu arbeiten. Und Gilead macht keine Gewinne damit. Innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre wird das Mittel außerdem noch erschwinglicher werden, da wir dann über die Kapazitäten von Generikaherstellern verfügen werden. Gilead hat sich auf freiwillige Lizenzvereinbarungen mit sechs Generikaherstellern eingelassen, die dieses Produkt in zwei bis drei Jahren auf den Markt bringen werden.

taz: Der Globale Fonds wird von öffentlichen Geldern finanziert. Sollte die Information über den Preis, den Sie Gilead zahlen, nicht öffentlich zugänglich sein?

Sands: Wir bevorzugen Transparenz, aber es gibt viele wichtige Aspekte in der Aushandlung dieser Vereinbarungen mit ­Gilead.

taz: Einige argumentieren, dass Länder, die nicht Teil des Abkommens sind – wie Brasilien oder einige osteuropäische Länder –, größere Schwierigkeiten haben werden, das Mittel zu erschwinglichen Preisen zu erhalten.

Sands: Jedes Mal, wenn man eine freiwillige Lizenzvereinbarung abschließt, die nur einen Teil der Welt abdeckt, hat das auch Nachteile. Allerdings sind die 120 abgedeckten Länder mehr als bei den meisten freiwilligen Lizenzvereinbarungen. Unser Anliegen ist es, sicherzustellen, dass die Menschen, die am meisten davon profitieren können, einen erschwinglichen Zugang in großem Umfang erhalten. In einem Umfang, der viele Leben retten und die Richtung der Pandemie insgesamt radikal verändern wird.

taz: Im Herbst wollen Sie die Geldgeber fragen, was sie zum nächsten Budget des Globalen Fonds beitragen werden. Wie viel Geld benötigen Sie?

Sands: Wir haben ein Gesamtziel von 18 Milliarden Dollar festgelegt. Das ist keine Schätzung dessen, was wir unserer Meinung nach bekommen werden, sondern was wir benötigen. Die Zahl basiert auf zahlreichen Modellen, die von unabhängigen Modellierungsexperten und technischen Partnern wie der WHO und UN-Aids erstellt wurden. Es ist das Minimum, das wir benötigen, wenn wir wirklich wieder auf Kurs kommen wollen, um das UN-Entwicklungsziel zur Beendigung von HIV, Tuberkulose und Malaria bis 2030 zu erreichen.

taz: Als ehemaliger Banker bringen Sie auch ein ökonomisches Argument. Jeder eingesetzte Dollar spare 19 Dollar.

Sands: Das wurde von unabhängigen Ex­per­t*in­nen berechnet und beinhaltet vermiedene Gesundheitskosten bei einer Infektion, aber auch Auswirkungen auf Bildung und Arbeitsproduktivität etwa. Aufgrund meiner Erfahrungen im Finanzwesen weiß ich: Die beste ­Strategie zur Bekämpfung einer Infektionskrankheit ist, so viel zu investieren, dass man die Inzidenzrate senken kann. Es ist viel teurer, Infektionskrankheiten halbherzig zu bekämpfen, weil man sie so nie wirklich loswird.

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