Aktivist über niedrige Wahlbeteiligung: „Wir brauchen eine Proteststimme“

Bitte was? Um Wähler zum Wählen zu motivieren, fordern Demokratie-Aktivisten eine Proteststimme auf den Wahlzetteln.

„Die niedrige Wahlbeteiligung ist eine Katastrophe“, sagt Ralf-Uwe Beck. Bild: ap

taz: Herr Beck, ich würde mit Ihnen gern über Ihre Schnapsidee reden.

Ralf-Uwe Beck: Sie sagen Schnapsidee, ich sage: nüchtern bleiben.

Sie fordern eine „Proteststimme“ und wollen, dass man künftig auf dem Wahlzettel ankreuzen kann, dass man nichts ankreuzt. Was soll das?

Die niedrige Wahlbeteiligung in Sachsen und Brandenburg ist eine Katastrophe. Wir müssen dringend über neue Instrumente nachdenken, die das Wählen wieder attraktiver machen. Die Proteststimme ist ein solches Instrument.

Und Sie meinen, dass mehr Leute wählen gehen, wenn Sie wissen, dass sie dort auch „nichts“ ankreuzen können?

Ich sehe zumindest: Im Moment können resignierte Wähler entweder extreme Parteien wählen, obwohl sie deren menschenverachtende Positionen nicht teilen – oder zu Hause bleiben. Das Wahlsystem bietet ihnen keine Alternative an. Wir sollten aber gerade auch diesen Wählern die Möglichkeit geben, dass ihre Stimme registriert wird und einen Ausdruck im Wahlergebnis findet – dass sie etwa beim Wahlergebnis mit angegeben wird.

WählerInnen können auch heute schon den Wahlzettel ungültig machen oder Protestnachrichten hinterlassen. Das ist immerhin kreativer als eine leere Box anzukreuzen.

Der Unterschied ist: Es ist zwar ein demokratisches Recht, sich der Stimme zu enthalten, aber diese Enthaltungen fallen politisch bislang nicht ins Gewicht, weil sie nicht ausgewiesen werden. In Portugal und Brasilien kann man einen leeren Wahlzettel abgeben – und das wird auch gezählt und ausgewiesen. Damit kommt immerhin so etwas wie ein artikuliertes Protestbild zustande. Aber ich gebe zu: Es gibt kein Allheilmittel, um die Wahlbeteiligung zu steigern. Trotzdem muss uns doch langsam mal mehr einfallen, als immer nur zu jammern. Wir wollen darauf hinweisen, dass die geltenden Wahlgesetze keine Naturgesetze sind.

ist Vorstandssprecher des Vereins „Mehr Demokratie“, der sich bundesweit für direkte Demokratie und eine höhere Wahlbeteiligung einsetzt.

Sie haben noch andere Ideen, die die Wahlbeteiligung erhöhen sollen. Zum Beispiel, Wahlurnen im Supermarkt aufzustellen.

Unser Anliegen ist es, endlich eine breite Diskussion anzuregen, die ja auch die SPD nach den Sachsen-Wahlen zu Recht eingefordert hat. Schauen Sie in die Schweiz. Dort werden die Briefwahlunterlagen automatisch an alle Wahlberechtigten zugestellt. Das wäre eine starke Einladung an die Menschen, ihnen das Wählen zu erleichtern. Bei uns gibt es zwar für alle eine Aufforderung zur Wahl, aber die Briefwahlunterlagen muss man dann nochmal separat beantragen. Was soll das? Es macht Sinn, über solche Instrumente zu reden, die übrigens bei Kirchen- oder Sozialwahlen häufig schon erfolgreich genutzt werden. Allein in der Politik bleibt es weiterhin bei Wahlaufrufen. Das reicht nicht.

Sie suggerieren, dass der Frust der WählerInnen technische Ursachen hat. Aber sind es nicht eher politische?

Natürlich. Es gibt einen Verlust des Vertrauens in die demokratischen Institutionen. Deshalb brauchen wir eine Mitbestimmungskultur bereits in Kindergartengruppen und in der Grundschule. Und wir müssen die direkte Demokratie stärken. Wenn die Menschen die Möglichkeit haben, Themen – etwa mit Volksabstimmungen – selbst auf die Tagesordnung zu setzen, verlieren sich die Ausreden. Dann kann niemand mehr sagen: „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen.“

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