Aktivistin und Nahost: Grimmige Kritik
Judith Scheytt wurde nach Antisemitismusvorwürfen ein Preis für Medienkritik zur Gaza-Berichterstattung aberkannt. Das bleibt nicht unwidersprochen.

Im Januar erst ist Judith Scheytt für ihren „medienkritischen Instagram-Kanal“ mit der besonderen Ehrung des Donnepp Media Award ausgezeichnet worden. Jetzt ist er wieder weg. Der Verein der Freunde des Adolf-Grimme-Preises vergibt den Preis seit 1991 an Personen für ihre medienpublizistische Arbeit. Nun zog der Verein die Ehrung für die 18-Jährige gegen den Willen der Jury zurück. Auch auf der Website des Vereins wird sie nicht mehr als Gewinnerin geführt, ist allerdings noch auf den Fotos der Preisverleihung zu sehen.
Scheytt beschäftigt sich auf ihrem Kanal kritisch mit der Berichterstattung zu Nahost. Bei der Preisverleihung lobte die Jury sie für „Kenntnisreichtum und analytische Brillanz“. Ihre „pointierten und im besten Sinne herausfordernden Videoanalysen reichert sie transparent mit Quellen und Studien an“, hieß es in der Preisbegründung. Sie dekonstruiere Doppelstandards, Framings, Floskeln und Falschinformationen in der Nahost-Berichterstattung und entfalte ein lebendiges Gespräch über Medienqualität, Medienversagen und Medienzukünfte.
Scheytt gab nun Anfang September selbst in einem Instagram-Video bekannt, dass ihr der Preis wieder aberkannt worden sei. Nach der Verleihung habe sich ein christlicher Verein über die Auszeichnung beschwert und Antisemitismusvorwürfe erhoben. Eine 39-seitige wissenschaftliche Analyse des Vereins der Freunde des Grimme-Preises soll nun auf Basis einiger Videos von Scheytt aufzeigen, dass ihre Medienkritik „strukturell antisemitisch“ sei.
Das Papier begründet die Aberkennung mit „systematischer Verzerrung und selektiver Kontextualisierung des israelisch-palästinensischen Konflikts“. Der Analyse zufolge enthalten Scheytts Videos „auf den ersten Blick keine explizit judenfeindlichen Äußerungen“. Jedoch würden durch „Auslassungen, ungleiche Maßstäbe und verzerrte Darstellungen subtile antisemitische Muster“ reproduziert.
„Nach reiflicher Überlegung und juristischer Prüfung hat sich der Vorstand entschlossen, sein Recht in Anspruch zu nehmen, den Preis abzuerkennen“, sagte der Vostandsvorsitzende der Grimme-Freunde, Jörg Schieb, der taz.
Scheytts Videos würden systematisch wesentlichen Kontext im Nahostkonflikt ausblenden. Als Aktivistin sei das legitim, es sei aber nicht preiswürdig. Gegenüber „DWLD.de“ kritisierte der Vorstand vermeintlich pauschale Kriegsverbrechensvorwürfe gegen Israel und eine kategorische Ausblendung der Hamas-Vernichtungsrhetorik.
KI-Mutmaßungen
Scheytt wehrt sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus. In ihrem Instagram-Statement sagte sie, der Analyse des Vereins würden Quellenangaben fehlen und unbelegte Daten des israelischen Militärs IDF genutzt. Sie selbst würde zudem in einem falschen Zusammenhang zitiert. Die Analyse reproduziere genau die journalistischen Mängel, die sie in ihren Videos kritisiere und für die der Verein sie ursprünglich ausgezeichnet habe.
Zudem mutmaßt sie, dass das vermeintlich wissenschaftliche Papier mit KI erstellt worden sei, was man an den verwendeten Bildern, Formaten und der Art der Sprache sehe. Rechtschreibfehler wie „Schieferkrankenhaus“ für die Al-Schifa-Klinik in Gaza sprächen dafür. Auf die taz-Anfrage, ob bei der Erstellung des Papiers in irgendeiner Form künstliche Intelligenz zur Verwendung kam, ging Schieb, der selbst KI-Coachings anbietet und den Youtube-Kanal „SuperkraftKI“ betreibt, nicht ein.
Auf die Kritik, sie würde kein Verständnis für die Reaktionen auf die Ereignisse des 7. Oktober 2023 haben, entgegnete sie, es gehe bei Medienkritik nicht um Verständnis für militärische Operationen, sondern vielmehr um die Betrachtung der Berichterstattung, der Quellen und der Begriffsauswahl.
Dem Vorwurf des Vereins, dass ihre Inhalte mittlerweile zu aktivistisch seien und das nicht zu einem journalistischen Preis passe, entgegnet Scheytt, dass sie sich selber nie als Journalistin bezeichnet habe.
Sogar in der Urteilsbegründung bei der Preisverleihung hieß es noch, dass Scheytt einen offenen Raum für Medienkritik, Aktivismus und Demokratiebildung schaffe. Auch in der Beschreibung ihres Instagram-Kontos hat sich Scheytt schon vor der Preisverleihung als Aktivistin bezeichnet.
Scheytt berichtet in ihrem Statement von einem Telefonat mit Jörg Schieb im April, indem dieser Scheytt die Aberkennung mitgeteilt haben soll. In diesem habe er erklärt, dass der Verein, der die Antisemitismusvorwürfe erhoben hat, damit drohte, die Staatskanzlei ins Boot zu holen und eine mediale Kampagne zu starten, sollte der Preis nicht entzogen werden. Bei dem Verein handelt es sich um die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Schieb selbst bestätigt das Telefonat, sagt jedoch gegenüber der taz. „Dass der Verein damit gedroht habe, die Staatskanzlei ‚mit ins Boot zu holen‘“, dementiert er jedoch. „Das hat der Verein nicht getan und das habe ich auch nicht behauptet.“ Dass der Verein angekündigt habe, an die Öffentlichkeit zu gehen, sei indes zutreffend.
Laut Scheytt sagte Schieb ihr im Telefonat im Bezug auf eine mögliche mediale Kampagne, dass dies das Potenzial hätte, eine Lawine loszutreten, die Grimme und dem Verein großen Schaden zufügen könne, da man den Antisemitismusvorwurf ja nicht mehr loswerde. Auch für Scheytt sei es nicht hilfreich, wenn in ihrer Abiturzeit eine Medienkampagne über sie losbräche. Schieb war selbst Teil der Jury, die Scheytt die Auszeichnung ursprünglich verliehen hat.
Schieb bestätigte gegenüber der taz, dass es in dem Telefonat auch über mögliche Folgen gesprochen worden seien, etwa eine unbestreitbare Belastung einer möglichen Aufmerkamskeit in den Medien, für den Verein, das Grimme-Institut als auch für Judith Scheytt.
Desweiteren habe man nie Scheytt als Person als Antisemitin bezeichnet. „Wir haben den Unterschied zwischen einer möglichen Beurteilung ihrer aktivistischen Videos und einer Person mehrfach deutlich gemacht“, sagt Schieb.
Der Donnepp Media Award wird im Rahmen der Grimme-Preis-Jurywoche vergeben. Formal sind das Grimme-Institut und der Verein voneinander getrennt. Die Grimme-Freunde unterstützen das Institut als Förderverein wiederum finanziell, die Leiterin des Grimme-Preises ist auch Teil der Jury des Donnepp Award. Auch auf der Website des Donnepp Award heißt es, man sei eng mit dem Grimme-Institut verbunden. Der Preis wird von einer Jury vergeben, die von den Grimme-Freunden berufen wird. Drei der sechs Jury-Mitglieder sind auch Mitglieder des Vereinsvorstandes – unter anderem Schieb. Die Aberkennung erfolgte nun durch den Vorstand des Vereins, nicht durch die Jury selbst. Diese war aber in den Prozess eingebunden. So gab es etwa Debatten und eine Abstimmung, die unentschieden endete. Zwei der insgesamt sechs Jury-Mitglieder, Nadia Zaboura und Steffen Grimberg, stellten sich nach der Aberkennung in einer Stellungnahme gegenüber dem Online-Medienmagazin DWDL bereits explizit gegen die Entscheidung, Scheytt den Preis wieder abzuerkennen.
„Dieser Teil der Jury distanziert sich von der Aberkennung des Preises und bleibt bei der auf der Jurysitzung einstimmig getroffenen Entscheidung für alle drei Preisträger*innen des Donnepp-Preises 2025“, schreiben die Kommunikationswissenschaftlerin und der Medienjournalist und Autor der taz-Kolumne „Flimmern und Rauschen“.
Auch Annika Schneider, Redakteurin des Onlinemagazins Übermedien, war Preisträgerin des diesjährigen Donnepp Awards. Sie gab den Preis als Reaktion auf die Aberkennung des Preises für Scheytt auch zurück. In einem Statement schrieb sie, dass die Vereinsvertreter sich offensichtlich nicht mit Scheytts Arbeit auseinandergesetzt hätten, weder vor noch nach der Preisverleihung, und bisher keine glaubwürdigen Belege für Antisemitismus vorgelegt hätten. Sie erklärte, dass sie sich nicht mit der politischen Haltung von Judith Scheytt solidarisiere und bezeichnet Scheytts Arbeit als „einseitig“, erklärt das aber eben mit ihrer Rolle als Aktivistin. Glaubwürdige Beweise für Scheytts Antisemitismus hätte der Verein bisher nicht vorgelegt.
Schneider schreibt in ihrem Statement zudem: „Medienjournalismus lebt davon, Inhalte zu inspizieren. Vorwürfe unvoreingenommen zu durchleuchten. Vor öffentlichem Druck und harscher Kritik nicht zu kuschen. Im Fall Judith Scheytt ist nichts davon passiert.“ Sie wolle sich nicht für „guten Medienjournalismus“ auszeichnen lassen von einem Verein, der dessen Prinzipien selbst nicht einhalte.
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