piwik no script img

Akzeptanz von ErneuerbarenWindenergie-Geld kommt nicht bei Gemeinden an

In Brandenburg werden Gemeinden an den Einnahmen umliegender Windparks beteiligt, um die Akzeptanz zu verbessern. Doch bei der Umsetzung hakt es.

Rotorblatttransport in Brandenburg: Windräder in der eigenen Nachbarschaft sind oft wenig beliebt – es sei denn, sie bringen Geld Foto: Paul Langrock

Wer einen Brandenburger Bürgermeister erleben will, der sich über neue Windanlagen freut, muss zu Jens Hinze nach Mühlenfließ fahren. Die 950-Einwohner-Gemeinde im Südwesten des Bundeslandes ist einer der Spitzenreiter bei den Einnahmen aus benachbarten Windparks. Insgesamt 250.000 Euro flossen ihr 2024 zu. Grundlage: ein Landes- und ein Bundesgesetz, die Betreiber verpflichten, anliegende Gemeinden zu beteiligen.

53 Windräder drehen sich bei Mühlenfließ. Werden die älteren durch neuere Anlagen der 7MW-Klasse ersetzt, könnten sich die Einnahmen sogar verdrei- oder vierfachen. Hinze ist überzeugt, dass die Energiewende für Dörfer auch eine Chance sein kann. „Jetzt müssten die Strompreise nur noch dort am günstigsten sein, wo sie produziert werden.“

In Vorträgen erklärt er anderen Gemeinden, wie sie profitieren können. In Mühlenfließ haben sie mit dem Geld ihr Gemeindehaus renoviert, Bäume gepflanzt und Spielplätze erneuert. Im Wald gibt es nun einen Löschbrunnen für die Feuerwehr. Die Stimmung habe sich verbessert, sagt Hinze, das Verhältnis zu den Windanlagenbetreibern sei gut.

Das Brandenburger Windenergieanlagenabgabengesetz ist von 2019. Mit 10.000 Euro pro neu errichtetem Windrad und Jahr sollen die Anwohner die erneuerbaren Energien in der Nachbarschaft schätzen lernen. 2023 ergänzte der Bund diese Möglichkeit durch eine Regelung, die auch für Altanlagen gilt, den Paragraf 6 EEG.

Kein Überblick, keine Kontrolle

Einen Überblick darüber, was die Regeln dem Land insgesamt gebracht haben, gibt es nicht. Weder die Landesregierung noch das Amt für Statistik können sagen, wie viel Geld wirklich vor Ort ankommt. Dabei sieht das Landesgesetz für Verstöße Strafen von bis zu 100.000 Euro pro Windrad vor. Das zuständige Ministerium für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz erklärt, dass es seit 2019 noch kein Bußgeld verhängt habe. Es habe aber auch keine Kontrollen gegeben, man würde nur aktiv, wenn Gemeinden Probleme meldeten.

Geld ist nicht alles, aber es kann Teil der Lösung sein

Eva Eichenauer, Politikberaterin

Auf die schriftliche Anfrage bei allen Gemeinden, Städten und Ämtern Brandenburgs nach ihren Einnahmen aus dem Gesetz und der Bundesregelung seit 2020 schicken 160 ihre Datensätze. Andere Verwaltungen wie das Amt Gartz oder das Amt Putzlitz-Berge verweigern die Einsicht, obwohl die Behörden nach §4 Landespressegesetz auskunftspflichtig sind.

Dennoch ergibt sich ein klares Bild: Die Einnahmen der Gemeinden, die auf die Anfrage geantwortet haben, sind zusammengerechnet zu niedrig. Aktuell fehlend Hundertausende Euro, die eigentlich bis Ende April gezahlt hätten werden müssen. Hochgerechnet auf ganz Brandenburg würde das einen Schaden im Millionenbereich bedeuten. In einzelnen Gemeinden fehlen bis zu 90 Prozent der Einnahmen, die ihnen zustehen.

Überforderung von ehrenamtlichen Strukturen

Teilweise ist das vor Ort gar nicht klar. Der Amtsdirektor der Region Seelow-Land, Steffen Lübbe, bestätigt, dass drei Viertel der ihm zustehenden Einnahmen nicht eingegangen sind. „Die Sache mit den Zahlungen ist richtig“, sagt Lübbe. „Das ist uns jetzt auch aufgefallen.“ Er wolle mit den „Betreibern ins Gespräch“ gehen und bedanke sich für die Recherche.

In den Verwaltungsbereich Seelow-Land fällt auch das Dorf Lietzen. Einwohner und Gemeindevertreter zeigen, wo sich die Windräder auf den Feldern drehen. Eigentlich müsste das hier die Haupteinnahmequelle des Dorfes aus dem Windabgabegesetz sein. Doch statt 35.000 Euro kamen nur 2.700 Euro an. Dabei muss die Gemeinde momentan jeden Cent sparen, um nicht in die Haushaltssicherung zu fallen.

Bei der testweisen Konfrontation von vier Windanlagen-Betreibern mit der Recherche geben zwei zu, sie hätten nicht gezahlt – unabsichtlich. Ein Versehen, das die betroffenen Gemeinden 85.000 Euro gekostet hat, die nun nachgezahlt werden. Ein Betreiber antwortet, er zahle.

Unwillige Betreiber

Der Geschäftsführer des vierten sagt nach einigem Hin und Her zu der Aufrechnung, dass er den Gemeinden um seinen Windpark in der Nähe von Lietzen 120.000 Euro hätte zahlen müssen: Er unterstütze bereits Vereine in der Region. Die Verwaltung sei schuld, weil sie noch keine Bescheide verschickt habe. Er habe nicht gezahlt, werde sich seiner Pflicht aber auch nicht verweigern.

Die Lietzener finden das alles hochgradig unanständig. „Was uns zusteht, müssen wir kriegen“, sagt ein Mann bei der Besichtigung der Anlagen. Der Windkraftbetreiber wisse genau, dass die lokalen Strukturen entweder ehrenamtlich oder überlastet seien, ergänzt eine Frau.

Die Expertin Eva Eichenauer von der Fachagentur Wind und Solar berät Politik und Kommunen. „Geld ist nicht alles, aber es kann Teil der Lösung sein“, sagt sie. Leuten, die sehr stark gegen Wind- und Solarprojekte sind, werde auch eine finanzielle Beteiligung nicht weiterhelfen. „Viele Leute haben aber gar keine richtige Haltung. Bei denen kann Geld die Stimmung positiv beeinflussen.“

Die Recherche erstaunt Eichenauer. Für sie liegt die Lösung allerdings nah: Sie argumentiert für mehr Transparenz. Am Mittwoch stimmte der Landtag in Potsdam ein neues Erneuerbare-Energien-Sonderabgabegesetz ab. Eine hier ursprünglich geplante Transparenzpflicht, die für Überblick und bessere Kontrolle sorgen sollte, war allerdings im letzten Entwurf wieder gestrichen worden – „Bürokratieabbau“.

Transparenzhinweis 1: Die Recherche wurde gefördert und unterstützt von Netzwerk Recherche und der gemeinnützigen Umwelt-Förderorganisation Olin gGmbH.

Transparenzhinweis 2: Gegenüber einer ersten Version ist in diesem Text der Passus über den entstandenen Schaden präzisiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Von Anfang an habe ich das gesagt: Wer aufs Windrad guckt, muss auch ein wenig davon profitieren



    Stattdessen ging es völlig widersinnig andersrum: Die mit den vielen Windrädern hatten den teuren Strom, weil sie noch die Netzentgelte bezahlen durften.



    Welcher Scharfdenker ist je auf diese Idee gekommen, angesichts des Widerstandes?



    Und ja, auch bei aller Befürwortung: Die Dinger sind laut ind nicht schön.



    Eine meine Gassirunden, die ich wirklich mochte, ist dahin.



    Und das ist nur eine kleine Betroffenheit - andere hat es schlimmer erwischt (ob jetzt wirklich oder eingebildet, lassen wir mal dahin gestellt).



    Aber bissl Geld in der klammen Gemeindekasse hätte die Einbildung sicher erfolgreich bekämpft.



    Und billiger Strom natürlich auch.



    Wenn Schulze wüsste, dass er angesichts des Spargels sein Handy für billig lädt - das Ding sähe für Schulze so hübsch aus wie die Autobahn.



    Oder das wenigstens die Schlaglochpiste vor seinem Haus bissl glatter wäre oder oder.



    Anzunehmen, die Windräder hätten das Leben und Erleben auf dem Land, da wo sie nun mal vorzugsweise stehen, nicht verändert, ist absurd.



    Und natürlich ist Kompensation ein "Muss".

  • Viel Geld, aber 53 WEA sind auch eine Ansage.

  • Das ist ein bisschen missverständlich dargestellt. Die Leistung der Betreiber an die Gemeinden ist nicht verpflichtend, die ist (noch) freiwillig. In der Regel tritt die Gemeinde an die Betreiber heran, es wird ein Vertrag geschlossen, und dann erhalten die Gemeinden eine leistungsfreie Vergütung von 0.2ct/kWh. Das Gesetz sieht jedoch vor, dass der Betreiber nach Abschluss des Vertrags mit einer Gemeinde von sich aus möglichen anderen beteiligten Gemeinden ebenfalls ein entsprechendes Angebot machen muss. Und das wird gelegentlich vergessen. Dabei hat der Betreiber abgesehen vom landestypisch umständlichen Prozedere und dem damit verbundenen Verwaltungsaufwand keinen Nachteil, denn der Netzbetreiber erstattet die Gemeindebeteiligung fast vollständig.

  • Mit diesem Verhalten schießen sich Investoren ins eigene Knie. Die Bürger in West-Mecklenburg haben die Nase voll von Investoren, denen die Belange der Bürger vollkommen egal sind.



    Diese beantragten 660 Windkraftanlagen, obwohl keine Planung des Landkreises vorlag und sehr viele Windräder im Landkreis gebaut worden waren.



    Im Grunde Wildwest wie bei der aktuellen Serie Landman. Es geht nicht um konkreten lokalen Bedarf, Umweltschutz, Bürger sondern um big money, wovon die Bürger Krümel abbekommen.

    Landschaft wird vollkommen zersiedelt. Wenn ein Windrad 1200 Meter vom Brutgebiet eines Seadlers entfernt ist, darf ein 260 Meter Riesenwindrad gebaut werden!!!

    Die Stimmung für Riesen-Windräder ist in MVP gekippt! So sprach sich eine Gemeinde in MVP gegen den Bau eines 20 Hektar großen IT-Zentrums für KI aus, obwohl der Gemeinde weit über 10 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen pro Jahr versprochen wurden, um Strom eines Windparks zu nutzen!



    Mehr als 80 Prozent der etwas mehr als 7.000 Teilnehmer eines NDR MV Votings sprachen sich bei der Frage, ob die Windkraft in Westmecklenburg weiter ausgebaut werden soll, dagegen aus. Es stünden bereits genug Windräder in der Region.