Alte Menschen in Pflegeeinrichtungen: Satt, aber wundgelegen

Heimbewohner werden heute besser versorgt als vor fünf Jahren. Optimal ist das aber noch lange nicht, glaubt man dem dritten Pflege-Qualitätsbericht.

Insgesamt habe sich die Qualität der Pflege „positiv entwickelt“. Bild: dpa

BERLIN taz | Satt, durstfrei und bespaßt, aber wundgelegen. So könnte man, scharf zugespitzt, den Zustand alter Menschen in Pflegeeinrichtungen beschreiben. Zumindest zieht der dritte Pflege-Qualitätsbericht dieses Fazit, den der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes der Krankenkassen (MDS) und der Spitzenverband der Gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (GKV) am Dienstag vorstellten.

Insgesamt habe sich die Qualität der Pflege „positiv entwickelt“, sagte Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes: „Das heißt aber nicht, dass es überall gut ist.“ Der aktuelle Pflegereport vergleicht die Zustände in Heimen und bei der ambulanten Pflege von 2009 und 2010 mit denen zwischen 2004 und 2006.

Damals wurde vor allem bemängelt, dass viele Pflegebedürftige schlecht ernährt und teilweise dehydriert waren. Zudem waren demente PatientInnen nicht ausreichend umsorgt worden.„Das ist jetzt besser“, sagte Jürgen Brüggemann, beim MDS zuständig für das Pflegequalitätsmanagement.

Laut Bericht waren 95 Prozent der PflegeheimbewohnerInnen ausreichend ernährt. Rund zwei Drittel der pflegebedürftigen Frauen und Männer benötigten Hilfe beim Essen und Trinken. Vier von fünf Betroffenen erhielten diese auch: Sie wurden gefüttert oder bekamen eine spezielle Nahrung, wenn sie schlecht schlucken konnten. Laut Vorgängerbericht wurde 36 Prozent der Bedürftigen nicht beim Essen oder Trinken geholfen.

Demografiewandel: Die Deutschen werden immer älter – und weniger: Laut Statistischem Bundesamt wird jeder zweite Mann heute über 80 Jahre alt, Frauen leben noch mal fünf Jahre länger. Zwischen den Jahren 2045 und 2060 wird etwa die Hälfte der Einwohner in Deutschland älter als 52 Jahre sein. Heute liegt der Altersmedian noch bei 44 Jahren.

Politikwandel: „Alle müssen sich auf eine ältere und zahlenmäßig kleinere Erwerbsbevölkerung einstellen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag zum Auftakt einer Konferenz über den demografischen Wandel im Kanzleramt. Am Mittwoch will das Bundeskabinett eine Demografiestrategie verabschieden. Die Punkte im Einzelnen:

Familie: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll weiter gefördert werden – etwa mit familienfreundlichen Arbeitszeiten und der Weiterentwicklung der Elternzeit.

Arbeit: Die Verteilung der Arbeitszeit über das gesamte Leben hinweg soll erleichtert werden.

Leben im Alter: Altersgerechte Wohnformen, ambulante Wohngruppen und die Betreuung und Pflege im häuslichen Umfeld sollen besser gefördert werden.

Bildung: Kinder aus bildungsfernen Familien, insbesondere auch mit ausländischen Wurzeln, sollen besser gefördert werden, um den Fachkräftemangel abzufedern.

Finanzen: Eine strenge Sparpolitik soll dafür sorgen, dass Leistungen weiter finanziert werden können, wenn weniger Menschen in die Kassen einzahlen. (dpa, taz)

Verschlechtert hat sich in den vergangenen Jahren der Umgang mit dem Problem Dekubitus. Ein Viertel dieser Wundliegegeschwüre wird laut Bericht nicht so behandelt, wie der Arzt es angeordnet hat, vorbeugende Maßnahmen wurden nur zu 60 Prozent geleistet.

Druckgeschwüre und Schmerzen

Dort, wo es keine Dekubitusvorsorge gab, haben rund 7 Prozent der Bettlägerigen Druckgeschwüre. In Heimen, die Prophylaxe ernst nahmen, waren es 4 Prozent.

Viele alte Menschen erleiden mitunter starke Schmerzen. Allerdings fällt es dem Pflegepersonal oft nicht leicht einzuschätzen, ob jemand Schmerzen hat oder nicht.

Ohnehin wurde laut Bericht nur bei etwa der Hälfte der Heiminsassen geprüft, ob ihnen etwas wehtut. Ein Drittel der HeimbewohnerInnen bekam eine Schmerztherapie, meist Medikamente.

Warum hat sich die Pflege einerseits verbessert, andererseits aber verschlechtert? „Unsere Prüfungen haben Anstöße zur Qualitätsverbesserung gegeben“, erklärte MDS-Geschäftsführer Peter Pick. Anders gesagt: Mängel, die stärker in der Öffentlichkeit standen, wurden eher behoben als jene mit einem geringeren öffentlichen Interesse.

Eingesperrt und festgezurrt

Zu Letzterem gehören sogenannte freiheitsentziehende Maßnahmen: Bettgitter, Gurte in Rollstühlen, Abschließen von Zimmertüren. Ohne eine richterliche Genehmigung dürfen solche Vorkehrungen nicht getroffen werden – und doch wurde es gemacht, in 10 Prozent aller Fälle.

Das kritisierte Eugen Brysch, Vorstand der Patientenorganisation Deutsche Hospiz Stiftung: Das dürfe nicht sein.

Etwa zwei Drittel der BewohnerInnen in Pflegeheimen sind dement, inkontinent und in ihrem Alltag generell stark eingeschränkt. Vor ein paar Jahren war das noch anders, sagte MDS-Qualitätschef Brüggemann: „Wir verzeichnen einen Trend: Immer mehr Menschen in der Endphase ihres Lebens kommen in ein Heim.“

Was heißt das für die Pflege? Sie wird noch anstrengender und anspruchsvoller, sowohl für das Pflegepersonal als auch für die Betroffenen.

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