Alte Riten, gestörte Idylle: Rhythmus uralter Nächte

Das Stakkato der Schlaghölzer und das dumpfe Wummern der Baumtrommeln treibt sie an, weiter, immer weiter, gegen böse Geister.

Frauen, Männer und Kinder sitzen auf einer Bank und trommeln

Pygmäen in Kamerun trommeln Foto: imagebroker/imago

Nahe Lolodorf im Südwesten Ka­meruns führt von der Straße aus ein Fußweg in den Regenwald. Rundum sind ausladende Kronen, verzweigtes ­Geäst, Baumfarne, Lianen und Bromelien zu jenem schwer zu durchdringenden Gewirr verwachsen, das man Dschungel nennt. Knappe zwei Stunden dauert der Anmarsch, dann sind Trommeln zu hören. Die Pygmäen, die im Walddorf Mougui wohnen, gehören zum Volk der Bakuda.

Doch keine Zwerge warten zwischen den Lehmhäusern – die stämmigen Männer und Frauen, die uns die Hand schütteln, sind meist zwischen 1,60 und 1,70 Meter groß. Sie tragen buntgeblümte afrikanische Kleider und Jeans, Ballonseidejacken und T-Shirts mit „Gothic“- oder „DLRG“-Aufdruck – was westliche Kleiderspenden eben so hergeben.

Die Nacht bricht herein, vier Petroleumlampen beleuchten das Abendessen. Zum Fisch mit Tomate und Pfeffer gibt es Maniok. Das lokale Extra des Tages, das geschmorte Fleisch des Chat-tigre, einer Waldkatze, schmeckt stark nach Wild. Die Männer des Dorfes essen anderswo, geblieben sind einige, die sie deutlich überragen. Sie sind Bantu, stellt sich heraus, und hierhergekommen, um Heilung zu finden. Einer erzählt, dass die Pygmäen von Mougui berühmt dafür sind, unfruchtbaren Paaren zu helfen und Menschen zu heilen, die verhext wurden.

Eine Greisin geht herum und schenkt jeder Frau ein kleines Quantum Schnaps ein. Langsam spielen sich die zurückgekehrten Trommler warm. Die Frauen knallen ihre Klangstöcke versuchsweise auf einen liegenden Bambusstamm. Allmählich bildet sich ein Rhythmus, findet sich wie von selbst eine mehrstimmig gesungene Melodie.

Spagat zwischen Gestern und Heute

Immer drängender, immer lauter geht es voran, und plötzlich schwingen sich aus dem schwarzen Wald zwei Tänzer in die Mitte. Sie tragen Tücher und Grasröcke, Blättermasken und spitze Mützen aus Palmwedeln. Mit Schellen um die Knöchel stampfen sie den Boden, sie treten die Luft und werfen sich unvermutet in den Staub – der Heilungsritus hat begonnen.

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Das Stakkato der Schlaghölzer und das dumpfe Wummern der Baumtrommeln treibt sie an, weiter, immer weiter, aber erst im Morgengrauen werden sie Kräuter und Blätter über die Patienten streuen und sie von ihren bösen Geistern erlösen.

Das Leben in Mougui ist freilich alles andere als eine Naturidylle. Der Anblick der Lumpen, der aufgedunsenen Kinderbäuche und der Plastiktütchen, aus denen Schwangere Billigwhisky saugen, zeigt, dass der Spagat zwischen Zivilisation und ursprünglichem Leben nicht gelingt. Und doch scheint es, als tankten die Menschen Kraft aus einer Quelle, zu der sie nur noch selten Zugang finden. Irgendwann taumeln wir todmüde in unser Zelt. Der Rhythmus aber begleitet uns durch die Nacht wie der Widerhall eines Afrika, das wir längst verschwunden glaubten.

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