Alter und Gender im Film: Fickbar bis 40

Frauen haben mit zunehmendem Alter in Hollywood immer weniger Sprechanteil. Im deutschen Film sieht es nicht anders aus.

Julia Louis-Dreyfus lacht

Julia Louis-Dreyfus ist 55. Und? Foto: ap

BERLIN taz | Frauen haben in Hollywood nicht viel zu sagen. Eine kürzlich erschienene Studie der Visual-Storytelling-Plattform „Polygraph“ liefert dazu jetzt anschauliche Zahlen. Sie bestätigen den Eindruck, den viele schon lange haben: Ob vor oder hinter der Kamera, Frauen sind in der Filmindustrie stark unterrepräsentiert. Von der unterschiedlichen Bezahlung der Geschlechter mal ganz zu schweigen.

Die „Polygraph“-MacherInnen wollen mit ihrer Erhebung Fakten in die Diskussion über Geschlecht im Film bringen. Über 2.000 online verfügbare Drehbücher hat das Team dafür ausgewertet. Damit knüpfen sie an ihre Studie zum sogenannten Bechdel-Test an. Mit diesem Test kann man auf die Schnelle selbst ermitteln, wie viel Raum Frauen im eigenen Lieblingsfilm gegeben wird. Dafür müssen nur drei Fragen beantwortet werden: Spielen mindestens zwei Frauen mit Namen mit? Sprechen sie miteinander? Und wenn ja, sprechen sie über etwas anderes als Männer? Erstaunlich viele Filme wie „Harry Potter“ oder „Avatar“ schaffen das nicht.

Die wenig überraschende Erkenntnis der „Polygraph“-Studie: Frauen haben in Hollywood nicht viel zu sagen. In 78 Prozent der untersuchten Filme haben Männer den größten Sprechanteil. Im deutschen Film sieht es nicht anders aus. Julia Beerhold ist Schauspielerin, engagiert sich seit gut zehn Jahren im Bundesverband Schauspiel (BFFS) und sieht das als „weltweites Problem.“ Zwar fehle es noch an offiziellen Zahlen für den deutschen Film, eine vorläufige private Erhebung ihrerseits kommt aber zu einem ganz ähnlichen Ergebnis wie „Polygraph“. Für den BFFS warf sie einen genaueren Blick auf Erstausstrahlungen der öffentlich-rechtlichen Sender im Jahr 2016 – Frauen kommen auch hier nur zu 27 Prozent der Sendezeit vor.

Interessanter wird es, wenn man die Kategorie Alter dazu nimmt. Kommen Schauspielerinnen zwischen 21 und 30 Jahren noch relativ häufig zu Wort, wenn auch nicht so oft wie ihre männlichen Kollegen, nimmt ihr Sprechanteil mit steigendem Alter immer mehr ab. Für Männer verhält sich der Trend ganz anders. Sie kommen im Alter zwischen 42 und 65 Jahren erst so richtig in Fahrt.

Mit zweierlei Maß

Dieses Phänomen nennt sich „Age Gap“ und bezeichnet einerseits das Verschwinden von älteren Frauen von der Leinwand, andererseits den oft großen Altersunterschied zwischen weiblichen und männlichen ProtagonistInnen. Die amerikanische Komikerin Amy Schumer nimmt zusammen mit den Schauspielerinnen Tina Fey, Patricia Arquette und Julia Louis-Dreyfus diese Diskrepanz in einem Video auf die Schippe.

„We are celebrating Julia's last fuckable day“, erklären sie und toasten sich zu. Die Medien würden für jede Schauspielerin früher oder später diesen Tag festlegen. Und Männer? „Men don't have that day. They are fuckable forever“, scherzen sie, meinen es aber bitterernst. Der Sketch zeigt, wie die Geschlechter mit zweierlei Maß gemessen werden: Frauen altern nicht natürlich wie ihre männlichen Schauspiel-Kollegen. Sie werden von den Medien und der Öffentlichkeit alt „gemacht“.

Für Frauen endet die Schauspielkarriere deshalb früher als für Männer, weiß auch Julia Beerhold. „Für uns alle ist das ein Problem, auch mittlerweile für mich. Wenn ich mir die Drehbücher so anschaue, dann gibt es da vielleicht, wenn es gut geht, eine Rolle für eine Frau über 45, der Rest sind Männer oder junge Frauen.“ Für ältere Schauspielerinnen gibt es schlicht keine Rollen mehr.

Die Filmindustrie ist dabei symptomatisch für die Gesellschaft. Frauen berichten oft, sie würden sich mit fortschreitendem Alter immer unsichtbarer fühlen. Die Zahlen der Studie scheinen das zu bestätigen. Sie zeigen auch, wer in der Gesellschaft bis heute noch die Welt erklären darf: Weiße Männern gehobenen Alters. Wie viele ergraute Moderatoren gibt es und wie viele weibliche Pendants?

Wir brauchen andere Geschichten

„Sexismus ist unterbewusst und ein komplexer Vorgang“, sagt Beerhold. „Es ist einiges passiert in den letzten 30 Jahren, aber es hat sich weniger geändert, als wir es wahrnehmen.“ Offenbar blieb dabei ein Bereich von Gleichberechtigung weitgehend unangetastet: Das Älterwerden.

Auf Anfrage bei der Studio Hamburg Production Group, einem der führenden deutschen Produktionsunternehmen, die auch im Auftrag von öffentlich-rechtlichen Sendern drehen, kam Beschwichtigung. „In unseren Produktionen sind Schauspielerinnen über 40 durchaus stark vertreten“, so Produktionschef Michael Lehmann. Er räumt jedoch ein, dass das Frauenbild im Film oft nicht gerade vielschichtig ist. „Die Diskussion sollte sich vielmehr um die Qualität drehen, facettenreiche Frauenfiguren zu entwerfen, wie es sie zum Beispiel im französischen Film und Fernsehen gibt.“

Immerhin würde demnächst ein neuer Film mit Senta Berger im ZDF laufen. Wann immer man auf das Problem zu sprechen kommt, dass es zu wenige Protagonistinnen über 40 gibt, wird auf sie verwiesen. Ihre große Präsenz scheint als Entschuldigung zu gelten.

Wie schafft man es aber, eine größere Bandbreite an Protagonistinnen in Filme zu bekommen? Mehr weibliche Regisseurinnen könnten daran etwas ändern. Eine Studie des Vereins Bundesverband Regie (BVR) zeigt, dass das ZDF im Jahr 2014 gerade mal 8,4 Prozent seiner Regieaufträge an Frauen vergeben hat. Da ist noch Luft nach oben.

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