Alternativen zum Kapitalismus: Ökonomie solidarisch organisiert

Auf einem Kongress für alternative Wirtschaftsformen in Wien diskutierten Aktivisten etwa aus Regionalgeldprojekten oder Tauschbörsen über Chancen des kapitalistischen Crashs.

Eine Welt ohne Leistungsdruck - Perspektive einer solidarischen Ökonomie? Bild: dpa

WIEN taz Während die einen sich noch mit Analysen über ein krisengeschütteltes kapitalistisches System aufhalten, proben die anderen schon mal etwas Neues: Auf dem zweiten Kongress "Solidarische Ökonomie" in Wien trafen sich am Wochenende rund 600 Aktivisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ihre Projekte sind oft klein, ihre gemeinsame Idee aber nicht totzukriegen: Sie streiten für kooperativ und demokratisch organisierte Wirtschaftsformen. Viele sind in Tauschbörsen, Haus- und Regionalgeldprojekten oder Food-Kooperativen aktiv. In Wien berieten sie drei Tage lang über gesellschaftliches Eigentum, Best-Practice-Beispiele von Genossenschaften und Kommunen oder autonome Subsistenzwirtschaftsprojekte.

Seit dem ersten Kongress vor zwei Jahren sei die Frage nach Alternativen drängender geworden, meint der Wirtschaftswissenschaftler Markus Auinger, der den Kongress mitorganisiert hat. Er verweist auf Mittel- und Südamerika, wo sich kooperatives Wirtschaften in den verschiedensten Formen seit den Wirtschaftskrisen der 90er-Jahre etabliert hat. In Brasilien gibt es sogar schon ein eigenes Staatssekretariat für solidarische Ökonomie. Mauricio Sardá de Faria arbeitet dort als Koordinator und reiste für den Kongress nach Wien, um in Europa für die Idee der solidarischen Ökonomie zu werben, wie er sagt.

"Solidarisches Wirtschaften soll den Weg in eine neue Gesellschaft weisen", so de Faria in einem Vortrag am Freitagabend. Das Staatssekretariat ist dem brasilianischen Arbeitsministerium angegliedert und unterstützt die rund 20.000 Initiativen im Land. Dazu gehören von Arbeitern verwaltete Fabriken, Produktionskooperativen und auch alternative Bankensysteme, die Regionalwährungen herausgeben.

So weit ist die Bewegung in Europa noch nicht. Dagmar Embshoff wohnt in einem genossenschaftlich organisierten Hausprojekt in Verden, das sich selbst mit ökologischen Lebensmitteln versorgt und politischen Initiativen Raum gibt. Sie glaubt, dass solidarische Ökonomie das Potenzial hat, das kapitalistische System zu verändern. Dafür müsse aber ein Netzwerk entstehen, wie in Brasilien. Nur wenn die "Inselprojekte" auch über sich hinaus kooperativ zusammenarbeiteten, könne wirklich etwas bewegt werden, so Embshoff. Doch das passiere nicht. Embshoffs Lieblingsbeispiel sind Genossenschaften. Laut ihren Prinzipien hätten diese demokratisch organisierten Zusammenschlüsse auch den Auftrag, sich über ihre Grenzen hinweg gesellschaftlich zu engagieren. Das passiere aber fast nie.

Selbstkritisch wurde in vielen Workshops auch auf die Isolation der einzelnen Projekte hingewiesen. Ein junger Aktivist aus Marburg berichtete, dass sein Hausprojekt zwar zur Selbstversorgung mit Essen und Verdienst reiche und die hergestellten Produkte sogar Gewinn abwürfen -aber er und seine Hausgenossen kaum Anschluss hätten. Eine Bewegung solidarischer Ökonomie gebe es in Deutschland schlicht nicht.

Hitzig wurde deshalb auch debattiert, inwiefern solidarische Ökonomieprojekte langfristig zur Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftens taugen: Während der Wirtschaftswissenschaftler und Lateinamerikaexperte Auinger glaubt, dass eine Veränderung durch Projekte "von unten" wie in Südamerika möglich sei, sind andere skeptischer. "Wirksam können Projekte solidarischer Ökonomie in Europa nur unter geänderten Rahmenbedingungen werden", meint Dagmar Embsdorf. Viele Teilnehmer des Kongresses glauben aber, dass die Imagekrise des Kapitalismus gerade den alternativen, gemeinschaftlichen Ideen Aufwind geben könnte.

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