Alternativer Konsum in Deutschland: Wissen, was im Kochtopf schmurgelt

Direkt vom Hof oder gleich die regionale Vermarktungskette selbst organisieren? Drei unterschiedliche Konsumbeispiele aus Deutschland.

Jeder bekommt so viel, wie er braucht: Erdbeeren vom Biohof. Bild: dpa

Einmal in der Woche herrscht auf dem Buschberghof, eine halbe Autostunde östlich von Hamburg, Hochbetrieb: Leute laden ihren Kofferraum voll mit diversen Gemüse- und Obstsorten, Brot, Milch, Käse und Fleisch. Sie halten ein Schwätzchen und fahren wieder ab, ohne etwas zu bezahlen. „Der Geld- und der Warenfluss sind bei uns komplett getrennt“, sagt Karsten Hildebrandt, der zusammen mit fünf anderen Bauern den Demeter-Betrieb bewirtschaftet. Hier wird nichts abgewogen oder verpackt: Jeder bekommt so viel, wie er braucht und wie der Hof gerade hergibt.

Die Landwirte kalkulieren einmal im Jahr, wie viel Geld sie in den kommenden zwölf Monaten benötigen, um die Nahrungsmittel für 300 bis 350 Menschen herzustellen und die Gebäude und Maschinen instand zu halten. Am letzten Sonntag im Juni ist dann großes Hoftreffen: Der Sitzungsleiter verteilt mit Pferd und Pflug dekorierte Zettel, und wer im Folgejahr versorgt werden will, notiert einen monatlichen Betrag, den er geben will und kann.

„Für die, die keine Fantasie haben, gibt es einen Richtwert von 150 Euro im Monat pro Erwachsenen und 70 Euro pro Kind“, sagt der langjährige Schatzmeister Wolfgang Stränz. In der Regel sind anschließend die nötigen 350.000 bis 400.000 Euro beisammen.

Diesen Text lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. Juni 2013. Darin außerdem: „Das ist die Lösung!" Es gibt viele Ideen für eine bessere Welt. Man muss sie nur suchen – und aufschreiben. Ein Spezial der taz und 21 weiterer Zeitungen. Die Transsexuelle Jane Thomas und ihre älteste Tochter über die CSU und Familie. Und: Der Gezi-Park ist geräumt, aber der Protest geht schweigend weiter. Aus alten Feinden sind neue Freunde geworden. Unterwegs mit den Fußballfans von Besiktas Istanbul. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Annemaria und Wolfgang Heitmann beziehen seit vielen Jahren mehr als 80 Prozent ihrer Lebensmittel vom Buschberghof. Die 66-Jährige freut sich, zu wissen, wie und wo das gewachsen ist, was in ihrem Kochtopf schmurgelt. Und auch ihrem Mann vergeht jetzt nicht mehr der Appetit wie damals, als er mal als Programmierer für den Schlachthof gearbeitet hat und mitbekam, wie mehrfach eingefrorenes Fleisch durch Räuchern aufgepeppt wurde.

Zu Hause bei den Heitmanns im Geräteschuppen befindet sich die Verteilstation für vier Familien; immer abwechselnd fährt jemand raus zum Hof. Andere Gruppen organisieren die Auslieferung auf andere Weise. „Mich nur um die Landwirtschaft kümmern zu können und mir keinen Kopf über den Vertrieb machen zu müssen empfinde ich als großen Luxus“, sagt Eva Otterbach, die auf dem Buschberghof für die kleine Herde aus Angler Rotvieh zuständig ist, einer fast schon ausgestorbenen Rinderrasse.

Jahrelang war der Buschberghof ein Unikat in Deutschland. Doch inzwischen wirtschaften schon über 30 Betriebe so, und dieses Jahr wird ein weiteres Dutzend hinzukommen.

Bauern, Müller, Molkereien

Noch mehr Menschen als bei dem Hamburger Bauernhof finden sich im Süden des Landes zu einem Vorbildprojekt. Es begann vor ein paar Jahren in Dorfen, östlich von München. Ein Bauer und ein paar Einwohner schlossen sich zusammen, weil sie das eigene Tun „wieder durchschauen und verantworten“ können wollten, wie es im Gründungsdokument heißt.

Der Impact Journalism Day ist eine von der Plattform „Sparknews“ angestoßene Kooperation von weltweit 22 Zeitungen. Die Redaktionen verpflichten sich, in drei Sprachen Artikel zu liefern, die kreative Möglichkeiten aufzeigen wie weltweite Probleme gelöst werden können. Zudem verpflichtet sich jede Redaktion, eine gewisse Anzahl von Artikeln zu veröffentlichen. Dieser Text ist aus der taz.

Inzwischen vereint die Genossenschaft „Tagwerk“ mehrere hundert Verbraucher und 100 Erzeuger, vom Bauern über den Müller bis zur Käserei. Auf jeder Packung steht genau, wo das Produkt herkommt. Beliefert werden spezielle „Tagwerk“-Geschäfte in den umliegenden Dörfern und Wochenmärkte sowie Regional- und Bioläden in München. Die Genossenschaft setzt knapp 5 Millionen Euro im Jahr um, beschäftigt 39 Menschen und ist vor Ort ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor.

Dabei geht es vielen Tagwerk-Genossen nicht allein um die Förderung der regionalen Nahrungsproduktion, sondern auch um Spaß und die persönliche Lebensqualität. Laufend entstehen hier neue Projekte: Ein Genosse hat witzige Jahreszeitenkochbücher geschrieben, der ehemalige Bankvorstand Rudolf Oberpriller organisiert Radeltouren zu Bauernhöfen und hat einen deutschlandweiten Biofernradweg erfunden. „Meine frühere Arbeit war totaler Blödsinn. In so einem Netzwerk wie unserem braucht man nicht viel Geld, um was wirklich Sinnvolles auf die Beine zu stellen“, sagt er.

Tragfähige Gewinnmargen

Eine dritte und eine der größten Formen von Verbraucher-Erzeuger-Gemeinschaft ist die Regionalwert AG, die Christian Hiss vor sieben Jahren in Freiburg gegründet hat. Bis zum Jahr 2000 hatte er gut von seinem Demeter-Hof leben können, der wie der Buschberghof als geschlossener Hoforganismus funktioniert: Es gibt Hühner und eine kleine Kuhherde, auf den Äckern wachsen Rettiche und Rüben, Salate und Sellerie, Bohnen und Erbsen. Doch seit Massenproduzenten Biogemüse in Supermärkten anbieten, wird es für traditionelle Ökobauern immer schwieriger.

„Auf einem Hof, der 70 Gemüsesorten anbaut, betragen die Herstellungskosten für ein Kilo Biokarotten vielleicht 2 Euro. Ein Biobetrieb, der ausschließlich Karotten anbaut, hat nur 80 Cent Kosten“, beschreibt Hiss das Problem. Deshalb gründete er die Regionalwert AG und brachte als Erstes seinen eigenen Betrieb ein. Inzwischen ist das Unternehmen nicht nur an mehreren Höfen, Gärtnereien und Weingütern beteiligt, sondern auch an einem Bio-Caterer und einigen Verkaufsstätten. Weil die Gewinnmargen für Verarbeiter und Verkäufer höher sind als für landwirtschaftliche Betriebe, ist die Vermarktungskette wirtschaftlich tragfähig.

Knapp 500 Aktionäre haben sich mit Beträgen zwischen 500 und 150.000 Euro inzwischen an der Regionalwert AG beteiligt; eine spezielle Unternehmenskonstruktion verhindert, dass ein Großinvestor die Firma übernehmen kann. Die Rendite der Beteiligten besteht nicht nur darin, gesunde Nahrungsmittel aus dem Umland genießen zu können, sondern auch im Erhalt einer kleinteiligen Kulturlandschaft. Das Beispiel macht Schule: In München und Frankfurt entstehen derzeit ebenfalls Bio-Aktiengesellschaften.

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