Altersfeststellung bei Asylsuchenden: Bis auf die Knochen geprüft

Die CSU will, dass junge Asylsuchende sich einer medizinischen Altersprüfung unterziehen. Viele Ärzte finden das unsinnig.

Röntgenbild einer Hand

Mit Vermessung der geröntgen Handknochen wird versucht, das Alter mutmaßlich Minderjähriger bestimmt Foto: dpa

Das Neue

Bisher können Jugendämter eine medizinische Altersdiagnose von Geflüchteten nur verlangen, wenn es Zweifel am angegebenen Alter gibt. Vor ihrer Klausurtagung am Donnerstag im Kloster Seeon fordert die CSU nun eine verpflichtende Altersprüfung für „alle ankommenden Flüchtlingen, die nicht klar als Kinder zu erkennen sind“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann der Funke-Mediengruppe. Sein Parteikollege Thomas Strobl sprang ihm in der Welt am Sonntag zur Seite: „Im Zweifelsfall gehören dazu auch medizinische Untersuchungen wie das Röntgen der Handwurzel.“ Minderjährige unbegleitete Asylsuchende können nicht abgeschoben werden, Anerkannte dürfen ihre Eltern nachholen.

Der Kontext

Prompt polterte die AfD, sie fordere genau solche Tests seit rund zwei Jahren. Tatsächlich ist die Debatte nicht neu, doch aus aktuellem Anlass wieder entflammt: In der vergangenen Woche hatte ein junger Mann aus Afghanistan im rheinland-pfälzischen Kandel ein 15-jähriges Mädchen erstochen. Der Vater der Getöteten zweifelt laut Bild-Zeitung das Alter des mutmaßlichen Täters an, das dieser mit 15 angegeben hatte. Weil der Asylsuchende unter Mordverdacht steht, darf sein Alter jetzt, im Rahmen eines Strafprozesses, mittels Röntgenaufnahmen untersucht werden.

Die Reaktionen

„Röntgen ohne medizinische Indikation ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit“, so der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montogemery, der Süddeutschen Zeitung. Die Untersuchung sei aufwendig, teuer und unsicher; führe man sie bei jedem Flüchtling durch, wäre dies ein Eingriff in die Menschenwürde.

So sieht es auch Winfrid Eisenberg, ehemaliger Leiter und Chefarzt der Kinderklinik im nordrhein-westfälischen Herford. „Wenn es wenigstens funktionieren würde, müsste man ja noch mit sich reden lassen. Doch der Begriff ‚Altersfeststellung‘ führt völlig in die Irre, das Alter kann medizinisch niemals festgestellt werden“, sagte Eisenberg der taz. „Wenn Politiker das verlangen, ist es barer Unsinn. Es kann immer nur von ‚Altersschätzung‘ gesprochen werden“.

Die Knochenreife in der Hand kann weit vor dem 18. Geburtstag erreicht sein. Doch, wie alles andere auch, ist das von Mensch zu Mensch unterschiedlich

Wie alles andere im und am Körper entwickeln sich auch die Knochen bei jedem Menschen unterschiedlich. Würde das Knochenalter durch das Röntgen der linken Hand mit 18 definiert, könnte das chronologische Alter dennoch ein anderes sein. „Um plus, minus zwei bis drei Jahre kann das variieren“, so Eisenberg. Die Knochenreife in der Hand könne außerdem weit vor dem 18. Geburtstag erreicht sein, bei mehr als 60 Prozent der Jugendlichen sei das der Fall.

Wenn röntgen, dann sei die Hand aber zumindest die harmloseste Variante; für die Zähne, das Schlüsselbein oder die Brust seien die Strahlen wesentlich schädlicher. Die Untersuchung von Geschlechtsteilen hält Eisenberg indes für „noch unsinniger“. „Die können bei einem Jungen mit 13 und bei einem Mädchen mit zwölf Jahren schon vollständig ausgereift sein.“ Außerdem: „Solche Untersuchungen verletzen die Würde von jungen Menschen erheblich, vor allem wenn sie aus einem konservativeren Kulturkreis stammen.“

Die Bundesländer gehen aktuell unterschiedlich mit der Altersfrage um, in einigen Ländern prüfen nur die Jugendämter. Doch Hamburg und Berlin schicken bereits seit Jahren Asylsuchende in ihre Unikliniken, um ihr Alter untersuchen zu lassen. Wie aus einer Antwort des Hamburger Senats auf eine FDP-Anfrage aus dem Jahr 2015 hervorgeht, werden dabei auch Brüste, Gewicht, Zähne und Geschlechtsteile untersucht. Verweigert sich jemand der eigentlich freiwilligen Untersuchung, fällt er automatisch aus dem Jugendhilfesystem.

Die Konsequenz

Die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer hatte zuletzt Ende 2016 angezweifelt, dass ärztliche Altersdiagnosen zuverlässig und verfassungskonform sind. „An dieser unserer Haltung hat sich nichts geändert“, sagte der Vorsitzende der Kommission, Dieter Birnbacher, der taz. Wie auch Kinderarzt Winfrid Eisenberg präferiert die Kommission eine „holistische“ Methode der Altersschätzung, ein ganzheitlicher Ansatz, nach dem Kinder- und Jugendärzte, Kinderpsychologen oder Sozialarbeiter nach einem mehrstündigen Gespräch in entspannter Atmosphäre und umfassender Anamnese das Alter bestimmen.

Die CSU jedoch hat angekündigt, ihre Forderung nach verpflichtenden medizinischen Altersprüfungen mit in die Sondierungsgespräche mit der SPD zu nehmen.

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