Altphilologe über Hoffnung: „Die Jungen und die Betrunkenen hoffen“
Heute gilt Hoffnung als Tugend, als Haltung, als etwas Gutes in der Zukunft. Dabei war sie mal negativ besetzt. Altphilologe Jonas Grethlein über diesen Wandel.
taz: Jonas Grethlein, besteht noch viel Hoffnung für die Hoffnung?
Jonas Grethlein: Tatsächlich wird die Hoffnung in der Gegenwart ganz verschieden bewertet. Auf der einen Seite haben wir PhilosophInnen und SoziologInnen, die sagen, dass Hoffnung eine ganz wichtige Ressource in der jetzt herrschenden Polykrise ist. Und auf der anderen Seite haben wir Greta Thunberg, die in Davos den Größen aus Politik und Wirtschaft entgegenschleuderte: „Ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag habe.“
taz: Was ist Hoffnung eigentlich?
Grethlein: Die meisten Menschen würden sagen, dass Hoffnung eine Emotion ist. Die Kirchenväter haben sie als eine Tugend definiert und eine dritte Klassifizierung sieht die Hoffnung als eine Haltung. Ich denke, alle drei Deutungen haben etwas für sich, ohne aber den Kern zu treffen. Nach meiner eigenen Definition ist Hoffnung ein Weltverhältnis, sie richtet sich auf etwas Gutes in der Zukunft, das man für möglich, aber unverfügbar hält.
taz: Können wir überhaupt ohne Hoffnung leben?
Grethlein: Das ist ein wichtiger Punkt, der an der Depression sichtbar wird. Zu deren Symptomen gehört, dass die PatientInnen hoffnungslos sind. Ich glaube, wir haben eine Grundhoffnung, ohne die wir gar nicht die Energie hätten, morgens aufzustehen und irgendetwas zu machen.
taz: Und in welcher historischen Epoche hatte die Hoffnung auch schon einen schlechten Ruf?
Grethlein: In der Antike wurde die Hoffnung zum Beispiel sehr ambivalent gesehen. Aristoteles schreibt etwa, dass vor allem die Jungen und die Betrunkenen hoffen. Und in Hesiods Geschichte vom Fass der Pandora kriechen alle Übel aus dem Fass heraus und verbreiten sich über die Erde. Nur die Hoffnung bleibt drinnen. Das wirft natürlich die Frage auf, ob die Hoffnung auch ein Übel ist.
taz: Aber wie kann die Hoffnung denn so negativ besetzt sein?
Grethlein: Es gab in der Antike eine ganz starke Strömung, die die Hoffnung mit der Illusion gleichsetzt und eine große Gefahr darin sieht, dass man sich durch die Hoffnung vertrösten lässt und Schritte, die man selber gehen sollte, nicht geht. Das findet eine Fortsetzung in der Moderne, wenn zum Beispiel Freud sagt, die Menschen hofften auf einen Großgrundbesitz auf dem Mond, statt ihre Parzelle auf der Erde zu bewirtschaften.
taz: Welche großen historischen Umbrüche gab es denn beim Nachdenken über die Hoffnung?
Grethlein: In der christlichen Tradition wird Hoffnung stark positiv aufgeladen als die Erwartung des ewigen Lebens. Im Zuge der Säkularisierung wird dieses eschatologische Ziel dann in die Geschichte verlagert. Die marxistische Tradition erwartet das Reich der Freiheit, das anbricht, wenn die Arbeiterklasse befreit wird. Der Nationalismus hofft wiederum auf die Einheit der Nationen. Und in der Bürgerrechtsbewegung spielt dann die Hoffnung wieder eine große Rolle, wenn etwa Martin Luther King sagt „I have a dream!“
Jonas Grethlein über „Hoffnung: Eine Geschichte der Zuversicht von Homer bis zum Klimawandel“, „Hoffnung“, 22. 10., 19:30 Uhr, Volkshochschule Lübeck, Hüxstr. 118-120. Und online nach Anmeldung.
taz: Liegt nicht das Grundproblem heute darin, dass die Menschen sich statt Utopien nur noch Dystopien ausmalen können?
Grethlein: Heute wird infrage gestellt, ob wir überhaupt noch eine Zukunft haben. Das zeigt sich in den Namen von AktivistInnen-Gruppen wie „Last Generation“ und „Extinction Rebellion“. Seitdem die große dunkle Wolke der Klimakatastrophe über uns schwebt, haben wir nicht mehr diese großen Geschichtshoffnungen, sondern eher kleine Hoffnungen, die sich nicht so weit in die Zukunft erstrecken und nicht die gesamte Menschheit als Subjekt haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert