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Altphilologe über Hoffnung„Die Jungen und die Betrunkenen hoffen“

Heute gilt Hoffnung als Tugend, als Haltung, als etwas Gutes in der Zukunft. Dabei war sie mal negativ besetzt. Altphilologe Jonas Grethlein über diesen Wandel.

Wenn Hoffnung gleich Illusion ist: Laut Freud hoffen wir auf Großgrundbesitz auf dem Mond, statt Parzellen auf der Erde zu pflegen Foto: Adam Gray/dpa

Interview von

Wilfried Hippen

taz: Jonas Grethlein, besteht noch viel Hoffnung für die Hoffnung?

Jonas Grethlein: Tatsächlich wird die Hoffnung in der Gegenwart ganz verschieden bewertet. Auf der einen Seite haben wir PhilosophInnen und SoziologInnen, die sagen, dass Hoffnung eine ganz wichtige Ressource in der jetzt herrschenden Polykrise ist. Und auf der anderen Seite haben wir Greta Thunberg, die in Davos den Größen aus Politik und Wirtschaft entgegenschleuderte: „Ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag habe.“

taz: Was ist Hoffnung eigentlich?

Grethlein: Die meisten Menschen würden sagen, dass Hoffnung eine Emotion ist. Die Kirchenväter haben sie als eine Tugend definiert und eine dritte Klassifizierung sieht die Hoffnung als eine Haltung. Ich denke, alle drei Deutungen haben etwas für sich, ohne aber den Kern zu treffen. Nach meiner eigenen Definition ist Hoffnung ein Weltverhältnis, sie richtet sich auf etwas Gutes in der Zukunft, das man für möglich, aber unverfügbar hält.

Im Interview: Jonas Grethlein

geboren 1978 in München, ist Altphilologe. An der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg hat der Professor den Lehrstuhl für griechische Literaturwissenschaft. 2024 erschien sein Buch „Hoffnung: eine Geschichte der Zuversicht von Homer bis zum Klimawechsel“.

taz: Können wir überhaupt ohne Hoffnung leben?

Grethlein: Das ist ein wichtiger Punkt, der an der Depression sichtbar wird. Zu deren Symptomen gehört, dass die PatientInnen hoffnungslos sind. Ich glaube, wir haben eine Grundhoffnung, ohne die wir gar nicht die Energie hätten, morgens aufzustehen und irgendetwas zu machen.

taz: Und in welcher historischen Epoche hatte die Hoffnung auch schon einen schlechten Ruf?

Grethlein: In der Antike wurde die Hoffnung zum Beispiel sehr ambivalent gesehen. Aristoteles schreibt etwa, dass vor allem die Jungen und die Betrunkenen hoffen. Und in Hesiods Geschichte vom Fass der Pandora kriechen alle Übel aus dem Fass heraus und verbreiten sich über die Erde. Nur die Hoffnung bleibt drinnen. Das wirft natürlich die Frage auf, ob die Hoffnung auch ein Übel ist.

taz: Aber wie kann die Hoffnung denn so negativ besetzt sein?

Grethlein: Es gab in der Antike eine ganz starke Strömung, die die Hoffnung mit der Illusion gleichsetzt und eine große Gefahr darin sieht, dass man sich durch die Hoffnung vertrösten lässt und Schritte, die man selber gehen sollte, nicht geht. Das findet eine Fortsetzung in der Moderne, wenn zum Beispiel Freud sagt, die Menschen hofften auf einen Großgrundbesitz auf dem Mond, statt ihre Parzelle auf der Erde zu bewirtschaften.

taz: Welche großen historischen Umbrüche gab es denn beim Nachdenken über die Hoffnung?

Grethlein: In der christlichen Tradition wird Hoffnung stark positiv aufgeladen als die Erwartung des ewigen Lebens. Im Zuge der Säkularisierung wird dieses eschatologische Ziel dann in die Geschichte verlagert. Die marxistische Tradition erwartet das Reich der Freiheit, das anbricht, wenn die Arbeiterklasse befreit wird. Der Nationalismus hofft wiederum auf die Einheit der Nationen. Und in der Bürgerrechtsbewegung spielt dann die Hoffnung wieder eine große Rolle, wenn etwa Martin Luther King sagt „I have a dream!“

Vortrag

Jonas Grethlein über „Hoffnung: Eine Geschichte der Zuversicht von Homer bis zum Klimawandel“, „Hoffnung“, 22. 10., 19:30 Uhr, Volkshochschule Lübeck, Hüxstr. 118-120. Und online nach Anmeldung.

taz: Liegt nicht das Grundproblem heute darin, dass die Menschen sich statt Utopien nur noch Dystopien ausmalen können?

Grethlein: Heute wird infrage gestellt, ob wir überhaupt noch eine Zukunft haben. Das zeigt sich in den Namen von AktivistInnen-Gruppen wie „Last Generation“ und „Extinction Rebellion“. Seitdem die große dunkle Wolke der Klimakatastrophe über uns schwebt, haben wir nicht mehr diese großen Geschichtshoffnungen, sondern eher kleine Hoffnungen, die sich nicht so weit in die Zukunft erstrecken und nicht die gesamte Menschheit als Subjekt haben.

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17 Kommentare

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  • Hoffnung, würde ich mal sagen, ist eine ziemlich basale Angelegenheit für Homo Sapiens, um überhaupt durchs Leben zu kommen. Schädlich ist Hoffnung, die nicht mit Redlichkeit gepaart ist, z.B. die in Zweckoptimismus umgeschlagen Hoffnung, dass das 1,5°-Ziel noch zu erreichen. Besonders widerlich finde ich die christliche Glaube-Liebe-Hoffnung-Parole, da dieser Glaube die Preisgabe der Vernunft fordert (worauf man auch noch stolz sein soll), die propagierte Liebe den Haß auf Andersgläubige beinhaltet, und die Hoffnung ein Arbeite-und-bete-Sedativum für das Fußvolk ist. Ultimativ müssen wir klarkommen mit dem, was Katy Bates in "Disjointet" besungen hat:

    Little baby boy



    Gazing up above



    Listen to your mama’s words



    sung to you in love

    We are doomed, we are doomed



    We are born to be entombed



    We are doomed, doomed,

    You’re gonna grow so fast



    And when you are a man



    Please recall your mama’s words



    Every time you can

    We are doomed, we are doomed



    We’re conceived to be consumed



    We are doomed, doomed,



    Doo-be-doo-be doomed

    Oh, We are doomed, we are doomed



    It can safely be assumed



    We are doo wah diddy dum diddy doo

  • Es hat religiösen Charakter, wenn davon ausgegangen wird, erstmal an der richtigen Gesinnung arbeiten zu müssen (in anderen Worten, beten), dann ergibt sich alles weitere von selbst und alles wird gut.

    Damit verlagert sich die Diskussion von der Sachebene zur Glaubenssphäre was eine totale Bankrotterklärung an den mündigen Verstand ist. Was getan werden muss, ergibt sich aus der Kenntnis der komplexen Probleme. Aber anscheinend wollen nichtmal die Medien sich der Information und den Analysen widmen, sondern sind mit Konfessionsfragen beschäftigt und welche Konfession ( Doomer oder Optimist) die richtige ist.

    Das sind Diskussionen aus dem Mittelalter, die absolut am Thema vorbei gehen.

    • @Schwabinger :

      Sie vergessen evtl. Emotionen und Werte als Maßstab des Handelns. Verstand alleine kann nicht entscheiden, außer die Kriterien wären vorgegeben. Wir würden wohl beide sagen: leider. Aber ändern können wir es kaum.



      Für den Diskurs müssen wir da über gemeinsame, zumindest verallgemeinerbare Werte reden.



      Ist das so formuliert für Sie akzeptabler?

  • Apropos Besoffen.. Es sprach doch der Doktor Faust:



    „Fluch sei dem Balsamsaft der Trauben!



    Fluch jener höchsten Liebeshuld!



    Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben!



    Und Fluch vor allen der Geduld! "



    (Goethe, „by hurt" - thanks ©WMaJS))

  • Da ich nicht mehr zu den ganz Jungen gehöre (70++),



    muss ich wohl den Betrunkenen zugeordnet werden???

  • Glaube, Liebe, Hoffnung..



    Alles Beschiss?



    Eins ist gewiss.



    „... Der Vogel denkt: Weil das so ist,



    Und weil mich doch der Kater frißt,



    So will ich keine Zeit verlieren,



    Will noch ein wenig quinquilieren



    Und lustig pfeifen wie zuvor.



    Der Vogel, scheint mir, hat Humor."



    (Wilhelm Busch)



    www.projekt-gutenb...ichte/chap026.html

    • @StarKruser:

      Naturbesoffen,



      oder Naturstoned?



      Als hoffnungsvolle Zukunftsmusik?

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Neuere Forschungen haben ergeben, dass die Hoffnung nicht im Fass der Pandora verblieb. Im Gegenteil. Sie wurde als letzte „Gabe" freigesetzt - um die Menschen final zu quälen.



        Die Hoffnung legt die (Leim-)Ruten aus. 😸



        Der Vogel macht das Beste draus. 🐦



        (Aus welcher Dose der Humor entwich?



        - Ich weiß es nich.) 😊

        • @StarKruser:

          Dass Hoffnung futsch ist, seh ich kaum,



          In Enkeln nimmt sie Formen an,



          Ich pflanze einen Apfelbaum,



          Denn schließlich glaub' ich fest daran.

  • Des weiteren sei an die Fabel vom Frosch in der Milch verwiesen, der hoffnungsvoll so lange strampelt, bis die fest genug war, um da herauszuspringen. Wer sofort aufgegeben hätte, wäre ertrunken. Wer auf Dritte gehofft hätte auch.



    Die Fabel ist so alt, dass jener Frosch inzwischen auch tot sein sollte.

    • @Janix:

      Totgestrampelt?



      Oder einfach nur zu alt geworden, ohne aufzupassen wohin das führen kann?

  • Also ich denke, dass ganz gewiss nicht nur ich, sondern zahlreiche Menschen mit der Aussage konform gehen, dass sie in die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes gegen COVID-19 sehr früh ziemlich große Hoffnung hatten, denn die Pandemie hat uns in eine Bewährungsprobe ungeahnten Ausmaßes getrieben.



    2020 im Netz



    "Wie berechtigt sind Hoffnungen auf RNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2?"



    www.sciencemediace....de/angebote/20077

  • Die Antworten zeugen von einer ziemlich einseitigen Sicht im Sinne der christlichen Deutung. Wenn Hoffnung mit Zuversicht ähnlich gesetzt wird und als Gegenmittel gegen Depression beschrieben wird, dann bleibt der Autor meiner Meinung nach bei Küchenphilosophie.

  • πίστις, ἐλπίς, ἀγάπη, also Glaube, Liebe, Hoffnung sind für Paulus Kern-Dinge. Die Hoffnung auf die Auferstehung wurde bei Marx eine auf die Weltrevolution. Heute eine auf einen Termin beim Facharzt.

    Passive Hoffnung bringt uns nicht weiter, aktivierende dagegen schon - unsere Entscheidung.

    • @Janix:

      Zu Paulus' Zeiten hatten apokalyptische Themen der Philosophie u. Religion Konjunktur.



      Plutarch erwähnt aber eine Gruppe, zu der es kaum etwas Zeitgenössisches überliefert gibt:



      "Elpistiker (etwa „die Hoffnungsfrohen“, von griechisch: ἐλπίς, elpís ‚Hoffnung‘ und zugleich die Personifikation der Hoffnung) nannte Plutarch (ca. 45–125 n. Chr.) die Philosophen, die erklärten, dass die Hoffnung der einzige oder wirksamste Halt des Lebens sei, welches ohne das Hoffen unerträglich sei."



      Quelle de.unionpedia.org



      Hoffnung verbindet sich für mich zwangsläufig auch nicht unbedingt mit fernöstlichen Gedankenwelten, in denen Wiedergeburt und Karma zuhause sind.



      "Im Buddhismus geht es darum, einen Geisteszustand jenseits von Hoffnung und Furcht zu kultivieren, heißt es oft. Doch warum spricht der Dalai Lama dann so häufig davon, man solle die „Hoffnung nicht verlieren“? Steht er damit nicht im Widerspruch zur buddhistischen Lehre? Oder kennt auch der Buddhismus Vorstellungen von Hoffnung und Furcht?"



      Quelle buddhismus-aktuell.de



      Titel



      "Jenseits von Hoffnung und Furcht



      Ein Beitrag von Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck"



      Danke für d. Verweis auf Paulus u. die christliche Sicht z. Hoffnung, sie nährt

      • @Martin Rees:

        Interessant auch dies.



        Ist es Erlösung oder Resignation nicht zu hoffen? Ist es Einsicht in die Beschränktheit oder bequemer Quietismus?



        Ist es nicht eine der brutalen Instrumente einer Diktatur im Orwellschen Sinne, die Hoffnung zu zertrampeln?







        Was können wir hoffen, ist eine Frage Kants. Sie könnte eine ewige der Menschheit sein.

        • @Janix:

          "Quietismus" -



          DAS ist mal ne tolle (neue?) Erkenntnis.



          KLAPPE 🎬