Amazon-Beschäftigte warnen vor KI: Stürmt die Maschinen!
Amazons halsbrecherische Entwicklung von KI ist gefährlich, sagen Beschäftigte. Der Widerspruch zeigt: Wir müssen nicht jede Innovation akzeptieren.
Spätestens wenn die Entwickler:innen künstlicher Intelligenz vor ihrem eigenen Produkt warnen, sollte man aufhorchen. In einem offenen Brief fordern über 1.100 Amazon-Beschäftigte ihren Arbeitgeber zu einem radikalen Kurswechsel in der KI-Entwicklung auf. Es sind diejenigen, die für Amazon künstliche Intelligenz entwickeln, trainieren und nutzen.
„Wir sind überzeugt, dass die überstürzte Entwicklung von KI um jeden Preis immensen Schaden an unserer Demokratie, unseren Jobs und unserer Erde anrichten werden“, schreiben die Verfasser:innen des Briefes.
Der Bau von immer mehr Rechenzentren, die Unmengen an Strom und Wasser verbrauchen, habe dazu geführt, dass Amazon seine Ambition, klimaneutral zu werden, de facto aufgeben habe.
Auch werde die Technologie zunehmend für moralisch fragwürdige Zwecke eingesetzt: Massenüberwachung, autonome Waffensysteme oder Trumps Abschiebewahn. So läuft die umstrittene Polizei-KI Palantir, mit der die US-Immigrationsbehörde ICE illegale Migranten identifiziert, auf Servern von Amazons Cloud-Sparte AWS.
Ein Aufbegehren von denen, die KI entwickeln
Klar: Dass nun auch gut bezahlte Amazon-Entwickler:innen die schwerwiegendsten Kritikpunkte an der vermeintlichen Wundertechnologie teilen, mag vor allem daran liegen, dass sie sich in ihren eigenen Jobs bedroht sehen.
Aber das Aufbegehren der Amazon-Beschäftigten ist gerade deshalb bemerkenswert, weil sie nicht nur persönlich vom Einsatz der Technologie betroffen sind, sondern auch an ihrer Entwicklung mitwirken.
Arbeiter:innen müssen sich der Innovation nicht ergeben
Große Tech-Unternehmen verbreiten gerne den Mythos, dass der Siegesmarsch von KI unausweichlich sei. Uns bleibe also nichts anderes übrig, als immer mehr Daten zu sammeln, Rechenzentren zu bauen, KI bei unserer Arbeit zu nutzen und KI-generierte Inhalte zu konsumieren. Wer das nicht wahrhaben will, sei von vorgestern und klammere sich vergeblich an die Vergangenheit.
Dabei wird der KI-Boom vor allem vom enthemmten Profitstreben der Tech-Konzerne getrieben. Denn KI ersetzt keine Arbeitskraft, sondern lagert sie nur aus. Die Arbeitskraft, die in Form von Daten, Medien oder schnöder Klickarbeit in das Training der KI-Modelle fließt, bezahlen die Tech-Riesen oft gar nicht oder nur schlecht. So trainierte Facebook-Mutterkonzern Meta seine KI mit Millionen raubkopierter Bücher. Die Autor:innen sahen bislang noch keinen Cent.[Link auf https://www.theguardian.com/books/2025/apr/03/meta-has-stolen-books-authors-to-protest-in-london-against-ai-trained-using-shadow-library]
Aber Arbeiter:innen sind diesen Entwicklungen nicht hilflos ausgeliefert. Sie müssen nicht jede technologische Innovation akzeptieren oder gar mitentwickeln, die der Abwertung ihrer eigenen Arbeitskraft dient und dazu noch gesellschaftlichen Schaden anrichtet.
Das vermeintlich Unausweichliche in Frage stellen
In diesem Sinne könnten sich die Amazon-Beschäftigten sogar ein historisches Vorbild nehmen. Anfang des 19. Jahrhunderts griffen Handwerker in England gezielt Baumwollspinnereien an. Indem sie die industriellen Webstühle zerstörten, wehrten sie sich gegen die Herabwertung ihrer Arbeit von fachkundigem Handwerk zur austauschbaren Fabriktätigkeit. Benannt nach ihrem fiktiven Anführer Ned Ludd, verstanden die Ludditen die soziale und politische Dimension des technischen Fortschritts. Wichtiger noch, sie wagten es, dessen Unausweichlichkeit infrage zu stellen.
Tech-Kritiker wie der US-amerikanische Journalist Bryan Merchant fordern daher, auch heute wieder mehr Luddismus zu wagen. Das bedeutet keineswegs, dass Amazon-Arbeiter:innen KI-Rechenzentren anzünden sollen. Vielmehr ist damit ein selbstbestimmter Umgang mit Technologie gemeint: Was brauchen wir als Arbeiter:innen und Gesellschaft wirklich? Was lehnen wir ab?
Die Forderungen des offenen Briefes sind ein guter Anfang: Datenzentren sollen nur dort gebaut werden, wo sie ökologisch verträglich sind, der Einsatz von KI soll durch die Beschäftigten-Räte bestimmt und Algorithmen nicht für Gewalt, Überwachung und Massenabschiebungen eingesetzt werden.
Statt blind dem KI-Hype hinterherzulaufen, könnte auch die Politik eine gute Dosis Luddismus gebrauchen: Nicht jedes Rechenzentrum, das so viel Strom wie eine Kleinstadt verbraucht, muss genehmigt werden. Strenge Regulierung kann den sozialverträglichen Einsatz von KI-Technologien fördern. Nicht zuletzt bleibt der effektivste Weg, um Missbrauch zu verhindern, Tech-Unternehmen zu zerschlagen und die IT-Infrastruktur zu vergesellschaften.
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