piwik no script img

Amelie von Wulffen und Jonas LippsErwartungsfroh blicken sie auf uns herab

Wo sollen wir denn hin mit den Emotionen? Im Kölnischen Kunstverein entwerfen Amelie von Wulffen und Jonas Lipps ortsgenaue, autobiografische Bildwelten.

Projekt­management Kindheit: Amelie von Wulffen, Installationsansicht Kölnischer Kunstverein, 2025 Foto: Mareike Tocha

Die Bilder sind endgültig Wesen geworden bei Amelie von Wulffen. Manche stehen derzeit wie eingefrorene Goblins in den nachkriegsmodernen Räumen des Kölnischen Kunstvereins, andere sitzen oder liegen auf dem Boden. Ihre Motive sind die zweitklassiger Hobby- und Souvenirmalerei, von der Künstlerin gesammelt und in ihre eigene Arbeit gebracht.

Hier sind es Segelschiffe, Panoramen, Stillleben; mal mehr, mal weniger schlechte Interpretationen bekannter Sujets wie wohl auch der Emotionen, die sie hervorrufen sollen. Lose wird eine Vase zur Nase, eine Landschaft zum Gesicht.

Dass diese Kunst nicht auf Bildschirmen oder bildschirmglatten Leinwänden präsentiert wird, sondern auf gebatikten Stoffbahnen, messy auf ihren Malgrund aufgebracht oder eben den Pappmaschee-Wesen auf Gesicht und Körper gesetzt, macht den Unterschied ums Ganze.

Künstlerin Amelie von Wulffen, Jahrgang 1966, weiß um die transformative Kraft der Malerei, die verwandeln kann, gerade wenn sie sich nicht um die perfekte Illusion schert.

Die Ausstellung

„Amelie von Wulffen, Jonas Lipps“. Kölnischer Kunstverein, bis 14. Dezember

Im Kölnischen Kunstverein gibt es jetzt einen wilden Parcours durch verschiedene malerische Formate der Berlinerin: „Amelie von Wulffen, Jonas Lipps“ heißt die von Kunstvereinsdirektorin Valérie Knoll kuratierte Doppelausstellung. Querverbindungen ergeben sich in diesen separaten, sehr eigenständigen Präsentationen auf je eigenen Etagen ganz nebenbei.

Bildvokabular von West-BRD geprägt

Im Erdgeschoss begegnet man neueren Arbeiten wie den dreidimensionalen Bildwesen zwischen Malerei unterschiedlicher Jahrgänge und aktuellen Riesenstoffbahnen. Familienporträts und Kindheitsszenerien vermischt von Wulffen mit Medienbildern zu einer Art autofiktionalem Bildvokabular, deutlich geprägt von der West-BRD.

Comictiere wie „Fix und Foxi“, kreiert vom einst überzeugten Nationalsozialisten Rolf Kauka, Biene Maja und Heidi strahlen ihr Publikum an, US-amerikanische Serien zwängen sich dazwischen.

In den Etagen darüber und darunter sind die Malereien von Jonas Lipps. Sie befinden sich etwa am entgegengesetzten Ende der Extrovertiertheit: Eher kleinformatige Bilder, gezeichnet, aquarelliert, gemalt, mit ausgewählten Papieren collagiert, oft spielen Textelemente eine Rolle.

Dazu einige skulpturale Arbeiten, wie die Armada an Rucksäcken, an denen selbstgegossene Diddl-Figuren in schmutzigem Gummibeige baumeln. In einem Glaskasten liegt ein Bausparfuchs und sonnt sich unter einer Solarlampe von Ólafur Elíasson.

Einladend komische Gemengelage

Ein Konvolut der Spezifika hat der Berliner Künstler, Jahrgang 1979, hier versammelt, und gerade in der Zusammenschau vermittelt es den Eindruck, vieles davon habe seine zwingende Form gefunden. Manches scheint eher in Richtung Insider-Gag zu gehen – die in sanftes Zwielicht getauchte „POCO“-Schule oder der blau-weiß lackierte „POLICE-ICE“ mitsamt weiteren möglichen Branding-Optionen für den bundesdeutschen ÖPNV ergeben aber schon eine einladend komische Gemengelage.

Dabei ist bei all dem aufgeladenen, kribbeligen Inhalt nicht zu übersehen, wie viel sich bei Lipps im Zeichnerischen, Malerischen abspielt, manchmal auf nur wenigen Quadratzentimetern. Luzide Träume von Fernbusreisen der Arm-Wrestler, grobe Albernheiten und zarte Skizzen.

Manches kann man sich auch gut als Rätselbild vorstellen: Wo geht der Weg aus diesem krummen Maler-Labyrinth heraus? Wie viele Kitas hat der Künstler im Bild versteckt? „Mondbär und Sonnenkäfer“, „Ev. Kindergarten ‚Erlöser‘“, „Müggelzwerge“ und „Kids in Motion“: Schöner wird’s wirklich nicht. Und präziser kann man dieses genaue Ostberliner Ortsgefühl, das hier Text-Bild wird, vielleicht auch nicht fassen.

Proklamation des Un-Sinns

„Willkommen in unserer schönen Gemeinschaft“, kann man ganz oben eine Figur aus einem abstrakten Panorama in einem gar nicht so willkommen heißenden Szenario sagen sehen. Eine Skepsis gegenüber dem Kollektiv, den Verheißungen der engagierten Kunst deutet sich an. Eine Proklamation des Un-Sinns gegenüber der erstickenden Sinnsuche ist das hier allemal.

Gulliver, der ungenügende Mensch! Der kleine Wicht: In dieser Rolle gefallen dem Künstler seine Protagonisten (sind es tatsächlich ausschließlich Männer?) offenbar besonders gut.

Auf dem Rückweg noch einmal zu Amelie von Wulffen, deren Kunst ja ihrerseits viel vom Projektmanagement Kindheit zu erzählen hat – die bürgerliche Erfindung, in die man seitdem alles Mögliche reinprojizieren kann.

Fun ist bekanntlich ein Stahlbad. Beide Künstler scheinen auch davon zu berichten. In Amelie von Wulffens neuester Schau wird unablässig gestrahlt, gegrinst, aus voller Brust gejauchzt und frohlockt – erwartungsfroh blicken ihre Protagonistinnen (oft sind es weibliche Charaktere) von ihren Stoffen und Vorhängen auf uns herab.

Wo sollen wir denn hin mit all den Emotionen und Bildern? Und man kommt nicht umhin, darin eine Allegorie auf die Bilder ganz allgemein zu sehen. Das Bildregime gebiert seine eigenen Monster.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare