"American Dream": Ein Mythos wird wiederbelebt

James Adams "American Dream" ergab, wie David Kamp in "Vanity Fair" sagt, noch keinen konkreten ökonomischen Anspruch. Das ändert sich besonders in der Rezension und mit Obama.

Obama sucht den "American Dream". Oder ist doch alles nur Mythos? Bild: dpa

In der US-Politik geht es stets mindestens so sehr um Ideale wie um Sachfragen. Und so ist es praktisch unmöglich, als Kandidat oder als Regierender auf die Dauer zu bestehen, ohne sich auf den US-amerikanischen Traum zu berufen. Wahlen gewinnt zumeist der- oder diejenige, die es vermag, sich als die beste Hüterin dieser eigenartigen nationalen Quasiideologie zu verkaufen.

Das galt für die Präsidenten Bush, das galt für Bill Clinton und John McCain, und das gilt auch für Barack Obama. Anders als seine Gegner und Vorgänger, für die der American Dream eher eine Floskel war, ist er für Obama etwas sehr Konkretes, das er zudem mit gezielten Schritten zu verwirklichen verspricht: "Ein Job, der eine Familie ernährt, verlässliche und bezahlbare Krankenversicherung, einen sicheren und würdevollen Ruhestand, Bildung und Chancen für unsere Kinder", so benannte er in einer Wahlkampfrede im November 2007 seine Vision des American Dream, die er vorher schon in seinem Buch "Hoffnung wagen - Gedanken zur Rückbesinnung auf den amerikanischen Traum", formuliert hatte.

Seit der Veröffentlichung des Buchs im Herbst 2006 hat sich die Wirtschaftskrise zugespitzt, und die USA fragen sich nicht zuletzt dank Obamas beharrlicher Rede von der Erneuerung des American Dream immer lauter, was denn mit dem nationalen Traum schiefgelaufen ist.

Dabei verweisen die aufmerksameren Teilnehmer an der derzeit grassierenden Traum-Debatte darauf, dass es eine schleichende Aushöhlung des Begriffs des American Dream selbst war, der die USA an den Rand des ökonomischen Kollapses geführt hat. Eine Wende müsse deshalb genau dort ansetzen, wo Obama das zu tun scheint: bei einer Erneuerung des Begriffs.

Erstaunlicherweise wurde der Begriff des American Dream, der ja nichts anderes bedeutet als das Versprechen der amerikanischen Nation, erst 1931, mehr als 150 Jahre nach der Staatsgründung, erstmals gebraucht. James Truslow Adams führte ihn damals in seiner Nationalgeschichte "The Epic of America" als den seit den puritanischen Einwanderern im Nationalbewusstsein verankerten Gedanken ein. "Das Leben in Amerika" solle "für alle reicher und voller" sein als sonst wo auf der Welt. Und jeder solle hier, ungeachtet seiner sozialen und ethnischen Herkunft, eine Chance bekommen.

Die Artikulation des American Dream durch Adams war, wie David Kamp in einem Aufsatz in der aktuellen nordamerikanischen Ausgabe von Vanity Fair zeigt, noch sehr unspezifisch - sie beinhaltete keinen konkreten ökonomischen Anspruch. Der kam erst in der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre hinzu, als Präsident Roosevelt soziale Absicherung, "Freiheit von Angst und Not", wie er sagte, als essenziellen Bestandteil des amerikanischen Traums kodifizierte.

Garant solcher Absicherung war im New Deal eine nationale Solidargemeinschaft, der Gedanke, dass US-Amerikaner einander gegenseitig für die Verwirklichung ihres gemeinsamen nationalen Traums verantwortlich sind.

Irgendwo im wachsenden Wohlstand der Nachkriegszeit, so führt Kamp in seinem Stück aus, ging dieser Solidaritätsgedanke jedoch verloren. Aus dem amerikanischen Traum wurden zunächst das Haus und das Auto und der Fernseher, dann das größere Haus, das zweite Auto und der dritte Fernseher. Der US-amerikanische Traum wurde unersättlich und egoistisch: "Spätestens seit der Reagan-Ära bedeutet der amerikanische Traum nur noch, reich zu werden oder großen Erfolg zu haben", so Kamp.

Der Traum vom Anspruch wurde zum sozialen Druck: Obwohl US-Bürger so wohlhabend waren wie noch nie, waren sie in den 1990ern, wie Gregg Easterbrook in einem Buch dokumentierte, so unzufrieden wie noch nie. Nichts war genug. Und um den Nachbarn zu übertrumpfen, um sich immer das Neueste und Beste kaufen zu können, tappten US-Amerikaner in Massen in die Schuldenfalle. Damit einher ging eine zunehmende Gleichgültigkeit gegen die, die nicht mithalten konnten, sowie eine immer krassere soziale Ungleichheit. Der amerikanische Traum war zum Albtraum geworden.

Barack Obama führt dem Traum nun wieder den Aspekt der Solidarität zu - der amerikanische Traum, so macht er immer wieder deutlich, kann nur ein gemeinsamer sein. Und er stutzt unrealistische Erwartungen vom grenzenlosen Wohlstand zurecht und konzentriert sich auf das kleine Glück der Mittelschicht und deren soziale Absicherung.

Mit dieser Diskurskorrektur hat Obama noch lange nicht die Wirtschaftskrise behoben. Aber er tut etwas, was für jede Politik in der idealistischen Kultur der Vereinigten Staaten unerlässlich ist: Er bemüht sich neben dem Kampf gegen die materielle Krise um den dringend benötigten Bewusstseinswandel - und rettet dabei den US-amerikanischen Traum, indem er ihn beschränkt.

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